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Ein schreckliches Weib.
als heiteres Diner; Anna war die liebenswürdigste Haus-
frau, nur ward sie öfter als mir nöthig schien hinausgerufcn.
Der Diener hatte fortwährend Botschaften auszurichten, die
natürlich im leisen Tone gesprochen wurden, und mir daher
Geheimnisse blieben. — Nach Tische gingen wir in den Salon,
den ich bisher noch nicht betreten, denn man hatte mich so-
gleich aus dem mir bestimmten Gemache in's Speisezimmer
geholt. Ich fing bereits an, mich meiner Rolle zu schämen
— Karl hatte mich nur geladen, um Anna unliebenswürdig
zu finden. Das Letztere schien mir unmöglich, diese Frau
war so bildschön! — Schließlich sagte ich mir: „Was wäre
denn einem schönen Weibe uns Schwächlingen gegenüber un-
erreichbar? Was überhaupt unmöglich? — Gar nichts!"
— „Setz Dich, und zünde Deine Cigarre an, Hugo," sagte
Karl, und während ich cs that, zog Anna einen Bindfaden
aus der Tasche und begann die Wände des Salons zu messen.
— „Hier muß eine Thür ausgebrochen werden," sagte sie,
unter dem ovalen Portrait einer alten Dame stehen bleibend.
— „Ja, um's Himmelswillen!" schrie Karl plötzlich, —
„was ist denn mit dem Bilde der Großmutter geschehen?"
Anna lachte schelmisch. — „Nun siehst Du es endlich!"
sagte sie, „Du hast unlängst Dein Wohlgefallen an der jetzt
modernen Form der Portraits ausgesprochen, mit vieler Mühe
fand ich einen Bereitwilligen, der das alte Bild zerschnitt."
— „Das glaub' ich," seufzte Karl ironisch. „Auch der
neue Nahmen kostet mich schweres Geld," fuhr Anna fort.
„Aber wenigstens gelang es mir, Dich zu überraschen." —
„Das Kunstwerk von Lampi!" rief Karl — „sag doch nur,
welcher Vandale, welch' elender Bäotier hat cs auf sich ge-
nommen!" — „Ich glaube gar Karl, Du bist böse!" sagte
Anna bestürzt. — „Aber ich bitte Dich," rief Karl, „das
lebensgroße Bild so verstümmeln zu lassen!" — „Nun, nun,
Du mußt bedenken, daß cs nur Dir zu Liebe geschah." —
Nun ging die Thür auf, und ein dunkler, bis ans die Haut
geschorener Pintsch stürzte heulend in's Zimmer, lief auf
Karl'n los, und schmiegte sich zitternd an ihn. — „Joli!
Mein armer Joli!" rief Karl, den Hund liebkosend, „was
ist denn mit Dir geschehen? wer hat doch den armen Hund
so gräulich schccren lassen? — Ein geschorener Pintsch —
pfui! — Das ist ja ein Unsinn, eine Anomalie!" — „Aber,
liebster Mann," rief Anna, hochroth werdend, „Du hast ja
neulich selbst gesagt, ein Pintsch sei ein geplagtes Thier
! mit diesen zottigen langen Haaren, ich wollte nur Deinen
! Wunsch erfüllen." — „Hol es der Geier!" sagte Karl zürn-
j end, — „der arme Joli!" — Er sprang vom Sessel auf,
i und sagte, offenbar, um in einsamer Stube Herr seines Un-
! willens zu werden: „Ich habe nun zu arbeiten, und gehe
; ein wenig an meinen Schreibtisch." — „Dein Schreibtisch
| ward heute von dem Tischler abgeholt, Karl," sagte Anna
furchtsam. — „Du weißt, das rothc Tuch darauf paßt nicht
zu den Tapeten Deines Zimmers, — Du hast es selbst gc-
! sagt." — „Gut, gut, — ruhig, ruhig, Joli," sagte Karl,
• mehr zu sich, als zu dem immer noch bebenden Pintsch, und
! suchte eines neuen Zornausbruches Herr zu werden — „wo
sind also alle meine Papiere?" — „Im Schlafzimmer,"
sprach Anna, „ich habe sie recht nett geordnet." — „Wirk-
lich !" rief Karl. „Und ich hatte mir mit namenloser Mühe
alle die Belege für die nöthige Beweisführung der lang- I
welligsten aller Erbschaftsangelcgenheitcn zusammengcsucht — j
nun ist alles wohl schönstens durcheinander." — „Es ist *
nicht meine Schuld, daß die Männer für Ordnung halten,
was wir Frauen für Konfusion erklären," sagte Anna pikirt. i
Karl ging schweigend. — Eben begann eine jener Pausen,
welche man gewöhnlich anszufüllen strebt, indem man etwas !
ungewöhnlich Dummes sagt, als ein Diener eintrat und
sprach: „Draußen wartet der Maler, der Anstreicher, der
Zimmerputzer, der Rauchfangkehrer, Eurer Gnaden." — „Gut,
gut," antwortete Anna und eilte hinaus; fast stieß sic an j
drei Damen, die eben cintreten wollten! — „Ah, Frau von !
Gronikcl! meine Fräuleins, guten Tag! Schön, daß Sic '
Wort halten!" — „Liebste Frau von Frischherz, wie konn- !
ten Sic glauben, wir vergäßen auf Ihre freundliche Ein- !
ladung zum Kaffee!" — Nun ward ich vorgcstcllt, und die
Damen mir: „Herr von Schaller, — Frau von Gronikel,
Fräulein Eveline und Fräulein Sitta Gronikel, — Und nun
entschuldigen Sic einen Moment, meine Damen." — „Ist
der Herr Gemahl zu Hause?" fragte Frl. Eveline. — „O
ja," — entgegncte Anna, „ich rufe ihn sogleich." — „O
nein! stören wir ihn nicht," sagte Eveline. — „Ei!" rief
Anna, „man muß die Männer zuweilen stören, sonst sitzen
sic ewig grübelnd über ihrem Geschreibsel, und werden Hypo-
chonder." — Nun öffnete sie die Thürc von Karls Zimmer.
— „Karl, komme heraus, Frau von Gronikcl ist da mit
ihren Töchtern!" — „Gleich! Gleich! — Ich muß nur noch
Etwas vollenden," rief Karl. — „O, lassen Sie sich nicht
stören," rief Frau von Gronikel, in Karls Zimmer gehend,
— „ich weiß, wie das ist; die Herren haben das nicht gern,
wenn sie bei der Arbeit unterbrochen werden — aber Him-
mel! was sch ich! Eveline! Sitta! seht doch einmal die Herr- ;
liche Photografie unserer lieben Anna! Das ist ja zum j
Sprechen ähnlich!" — „Ja wahrhaftig vortrefflich, wunder- ,
voll!" riefen beide Töchter, zur Mama eilend, und Anna's
Conterfcy betrachtend, „sagen Sie doch, Herr von Frischherz, !
wo ist dies Portrait gemacht worden?" — Und nun ver-
wickelten die drei plauderhaften Damen den unglücklichen Karl
in ein endloses Gespräch über sämmtliche 500 Photographen
Wien's, setzten ihm die Vor- und Nachthelle lichter und
dunkler Toiletten auseinander, erzählten das hochwichtige !
Factum, der berühmte Angcrer habe dem Fräulein Sitta j
anempfohlen, sich im Profil photograsiren zu lassen, well sich '
in dieser Positur ihre unverkennbare Achnlichkeit mit Fräu-
lein Henriette Pustowojtoss herausstelle. — Sitta ward nach
allen Richtungen gestellt und hernmgeschoben, so daß dem
armen Karl nichts übrig blieb, als von seiner Arbeit auf- !
zustchcn, diese Manöver mitzumachen, und schließlich mit den :
Damen in den Salon zurückzukehrcn. — Gleich darauf trat j
Anna herein. — „ Das wird morgen ein bewegter Tag
werden!" rief sie, vergnügt die Hände reibend.
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Ein schreckliches Weib.
als heiteres Diner; Anna war die liebenswürdigste Haus-
frau, nur ward sie öfter als mir nöthig schien hinausgerufcn.
Der Diener hatte fortwährend Botschaften auszurichten, die
natürlich im leisen Tone gesprochen wurden, und mir daher
Geheimnisse blieben. — Nach Tische gingen wir in den Salon,
den ich bisher noch nicht betreten, denn man hatte mich so-
gleich aus dem mir bestimmten Gemache in's Speisezimmer
geholt. Ich fing bereits an, mich meiner Rolle zu schämen
— Karl hatte mich nur geladen, um Anna unliebenswürdig
zu finden. Das Letztere schien mir unmöglich, diese Frau
war so bildschön! — Schließlich sagte ich mir: „Was wäre
denn einem schönen Weibe uns Schwächlingen gegenüber un-
erreichbar? Was überhaupt unmöglich? — Gar nichts!"
— „Setz Dich, und zünde Deine Cigarre an, Hugo," sagte
Karl, und während ich cs that, zog Anna einen Bindfaden
aus der Tasche und begann die Wände des Salons zu messen.
— „Hier muß eine Thür ausgebrochen werden," sagte sie,
unter dem ovalen Portrait einer alten Dame stehen bleibend.
— „Ja, um's Himmelswillen!" schrie Karl plötzlich, —
„was ist denn mit dem Bilde der Großmutter geschehen?"
Anna lachte schelmisch. — „Nun siehst Du es endlich!"
sagte sie, „Du hast unlängst Dein Wohlgefallen an der jetzt
modernen Form der Portraits ausgesprochen, mit vieler Mühe
fand ich einen Bereitwilligen, der das alte Bild zerschnitt."
— „Das glaub' ich," seufzte Karl ironisch. „Auch der
neue Nahmen kostet mich schweres Geld," fuhr Anna fort.
„Aber wenigstens gelang es mir, Dich zu überraschen." —
„Das Kunstwerk von Lampi!" rief Karl — „sag doch nur,
welcher Vandale, welch' elender Bäotier hat cs auf sich ge-
nommen!" — „Ich glaube gar Karl, Du bist böse!" sagte
Anna bestürzt. — „Aber ich bitte Dich," rief Karl, „das
lebensgroße Bild so verstümmeln zu lassen!" — „Nun, nun,
Du mußt bedenken, daß cs nur Dir zu Liebe geschah." —
Nun ging die Thür auf, und ein dunkler, bis ans die Haut
geschorener Pintsch stürzte heulend in's Zimmer, lief auf
Karl'n los, und schmiegte sich zitternd an ihn. — „Joli!
Mein armer Joli!" rief Karl, den Hund liebkosend, „was
ist denn mit Dir geschehen? wer hat doch den armen Hund
so gräulich schccren lassen? — Ein geschorener Pintsch —
pfui! — Das ist ja ein Unsinn, eine Anomalie!" — „Aber,
liebster Mann," rief Anna, hochroth werdend, „Du hast ja
neulich selbst gesagt, ein Pintsch sei ein geplagtes Thier
! mit diesen zottigen langen Haaren, ich wollte nur Deinen
! Wunsch erfüllen." — „Hol es der Geier!" sagte Karl zürn-
j end, — „der arme Joli!" — Er sprang vom Sessel auf,
i und sagte, offenbar, um in einsamer Stube Herr seines Un-
! willens zu werden: „Ich habe nun zu arbeiten, und gehe
; ein wenig an meinen Schreibtisch." — „Dein Schreibtisch
| ward heute von dem Tischler abgeholt, Karl," sagte Anna
furchtsam. — „Du weißt, das rothc Tuch darauf paßt nicht
zu den Tapeten Deines Zimmers, — Du hast es selbst gc-
! sagt." — „Gut, gut, — ruhig, ruhig, Joli," sagte Karl,
• mehr zu sich, als zu dem immer noch bebenden Pintsch, und
! suchte eines neuen Zornausbruches Herr zu werden — „wo
sind also alle meine Papiere?" — „Im Schlafzimmer,"
sprach Anna, „ich habe sie recht nett geordnet." — „Wirk-
lich !" rief Karl. „Und ich hatte mir mit namenloser Mühe
alle die Belege für die nöthige Beweisführung der lang- I
welligsten aller Erbschaftsangelcgenheitcn zusammengcsucht — j
nun ist alles wohl schönstens durcheinander." — „Es ist *
nicht meine Schuld, daß die Männer für Ordnung halten,
was wir Frauen für Konfusion erklären," sagte Anna pikirt. i
Karl ging schweigend. — Eben begann eine jener Pausen,
welche man gewöhnlich anszufüllen strebt, indem man etwas !
ungewöhnlich Dummes sagt, als ein Diener eintrat und
sprach: „Draußen wartet der Maler, der Anstreicher, der
Zimmerputzer, der Rauchfangkehrer, Eurer Gnaden." — „Gut,
gut," antwortete Anna und eilte hinaus; fast stieß sic an j
drei Damen, die eben cintreten wollten! — „Ah, Frau von !
Gronikcl! meine Fräuleins, guten Tag! Schön, daß Sic '
Wort halten!" — „Liebste Frau von Frischherz, wie konn- !
ten Sic glauben, wir vergäßen auf Ihre freundliche Ein- !
ladung zum Kaffee!" — Nun ward ich vorgcstcllt, und die
Damen mir: „Herr von Schaller, — Frau von Gronikel,
Fräulein Eveline und Fräulein Sitta Gronikel, — Und nun
entschuldigen Sic einen Moment, meine Damen." — „Ist
der Herr Gemahl zu Hause?" fragte Frl. Eveline. — „O
ja," — entgegncte Anna, „ich rufe ihn sogleich." — „O
nein! stören wir ihn nicht," sagte Eveline. — „Ei!" rief
Anna, „man muß die Männer zuweilen stören, sonst sitzen
sic ewig grübelnd über ihrem Geschreibsel, und werden Hypo-
chonder." — Nun öffnete sie die Thürc von Karls Zimmer.
— „Karl, komme heraus, Frau von Gronikcl ist da mit
ihren Töchtern!" — „Gleich! Gleich! — Ich muß nur noch
Etwas vollenden," rief Karl. — „O, lassen Sie sich nicht
stören," rief Frau von Gronikel, in Karls Zimmer gehend,
— „ich weiß, wie das ist; die Herren haben das nicht gern,
wenn sie bei der Arbeit unterbrochen werden — aber Him-
mel! was sch ich! Eveline! Sitta! seht doch einmal die Herr- ;
liche Photografie unserer lieben Anna! Das ist ja zum j
Sprechen ähnlich!" — „Ja wahrhaftig vortrefflich, wunder- ,
voll!" riefen beide Töchter, zur Mama eilend, und Anna's
Conterfcy betrachtend, „sagen Sie doch, Herr von Frischherz, !
wo ist dies Portrait gemacht worden?" — Und nun ver-
wickelten die drei plauderhaften Damen den unglücklichen Karl
in ein endloses Gespräch über sämmtliche 500 Photographen
Wien's, setzten ihm die Vor- und Nachthelle lichter und
dunkler Toiletten auseinander, erzählten das hochwichtige !
Factum, der berühmte Angcrer habe dem Fräulein Sitta j
anempfohlen, sich im Profil photograsiren zu lassen, well sich '
in dieser Positur ihre unverkennbare Achnlichkeit mit Fräu-
lein Henriette Pustowojtoss herausstelle. — Sitta ward nach
allen Richtungen gestellt und hernmgeschoben, so daß dem
armen Karl nichts übrig blieb, als von seiner Arbeit auf- !
zustchcn, diese Manöver mitzumachen, und schließlich mit den :
Damen in den Salon zurückzukehrcn. — Gleich darauf trat j
Anna herein. — „ Das wird morgen ein bewegter Tag
werden!" rief sie, vergnügt die Hände reibend.
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