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Ratten als
wieder eine aromatische Rauchwolke von sich, begleitet von einem
gelinden Seufzer. Der dicke Bayer faßte sich nach einiger
Zeit wieder Herz und fragte freundlich:
„Der Herr ist wohl nicht aus Bayern, vielleicht gar
nicht ans Deutschland?" „Giebt es in Mülheim Ratten?"
ließ sich der Andere vernehmen, ohne seine Situation nur im
Geringsten zu verändern. Dies ging unserm Bayern denn
doch etwas über den Spaß, die friedliche Morgenröthe seines
Vollmondgesichtes machte einem Dnnkelroth des Zornes Platz.
„Entweder sind Sie verrückt oder ich!" schrie er hitzig.
„Ob cs in Mülheim Ratten giebr, lieber Mann, habe
ich Sie gefragt?. Ich will nämlich dorthin übersiedeln."
Jetzt fing der Dicke sehr geräuschvoll an zu lachen und
meinte: „Nun, nun, da hätten Sie mir immer schon ant-
worten können, die Vornehmen denken aber immer, sie
sind nur zum Fragen und wir zum Antworten da. Nun,
meinetwegen, dessenthalben schmeckt mir das Bier doch und
Hunger sieht man mir auch nicht an. Was aber Mülheim
anbelangt, so glaube ich, sind die Ratten dort erfunden wor-
den, so viele giebt es dort, da wird der Herr bald wieder
ausreißen. Sagen Sie nur, ich hätte es gesagt, der Mühlen-
steffel von Schorgen."
Ein eigenthümlicher Blitz leuchtete in den matten Augen
des Hypochonders; dann schloß er sie und that sie auch nicht
eher wieder ans, als zu Mülheim, wo er, ebenso wie sein
Reisegefährte, ausstieg.
Der praktische Bayer betrachtet die inzwischen hervor-
getretcne Sonne durch ein gefülltes Glas und sagte zur
Kellnerin, auf den Sonderling deutend:
„Der dort kann keine Ratten leiden, Christel, wie lang
er's wohl in Mülheim aushalteu wird!"
„Wenn er nur so lange hier bleiben will, bis ihn die
Ratten gefressen haben, braucht er blos zum Gerber Jahn zu
gehen, so kann er mit dem nächsten Zug gleich weiter fahren."
Beide lachten und der Dicke stieg ivieder in sein Coupö.
Mülheim ist ein freundliches Landstädtchen vierten Ran-
ges, liegt schön und gesund, die Bewohner sind grob und doch
freundlich, denn man muß die Gewohnheit von der Gesin-
nung unterscheiden. Nach Tische sehen wir unfern Herrn
von Winzendorf, ein kleines Zettelchen in der Hand, ver-
schiedene Häuser scharf mustern; er schüttelte oftmals den
Kopf, als habe er an jedem etwas anszusetzen; sein gclang-
weiltes Gesicht lvurde noch griesgrämiger, bis er endlich in
eines der Häuser trat und den Besitzer zu sprechen verlangte.
Man führte ihn in ein elegant ausgestattetes Zimmer, wohin
in kurzer Zeit der Eigenthümer, ein kleiner, freundlicher
Mann, Seifensieder von Profession, folgte, um sich nach dem
Begehren des Fremden zu erkundigen, was in der ausgesucht
höflichsten Weise geschah.
„Mein Name ist Clemens von Winzendorf, ich bin
Rittmeister außer Dienst und gedenke den Sommer hier zu
verleben. Ich brachte in Erfahrung, daß Sie Räumlichkeiten
zu vermiethen hätten uud möchte mich mit Ihrer gütigen
Erlaubniß davon überzeugen."
Ehestifter.
„Sie thun meinem Hause all zu viel Ehre an, gnädig-
ster Herr Rittmeister, all zu viel Ehre, Sic werden es aber
auch gewiß nicht bereuen, mir den Vorzug gegeben zu haben.
Wollen Sie sich vielleicht gnädigst mit mir bemühen! Ent-
schuldigen Sie nur tausendmal, daß ich keinen Frack auhabe.
Wer hätte sich heute aber auch solch' ein Glück vorgestellt!"
Die Appartements entsprachen den großen Lobeserheb-
ungen nicht ganz, waren indeß recht hübsch und bequem.
Bevor sich der Baron zu einer bindenden Erklärung entschloß,
fragte er, die Augen scharf auf den Hauswirth gerichtet:
„Giebt es in Ihrem Hause Ratten?"
Dieser wurde etwas befangen, stotterte und meinte
schließlich, der Herr werde sein Hans doch nicht in so schlech-
tem Verdachte haben, daß es derartiges Ungeziefer berge und
schien ordentlich schluchzen zu wollen. Winzendorf erklärte
jedoch, seine Entscheidung sich vorzubehalten und ging. Der
Seifensieder ballte ihm die Faust nach und murmelte in
einem Tone, der sehr von dem vorhergehenden abstach:
„Du wirst mir ein schöner Rittmeister gewesen sein,
fürchtet sich vor einem Paar Ratten. Jn's Bett wären sie
Dir wahrscheinlich nicht gekomuicn und gebissen hat mich auch
noch keine. Nun, vielleicht besinnt er sich noch!"
Der Baron geht in ein anderes stattliches Hans, dessen
Besitzer, ein ehemaliger Schauspieler, in der Lotterie gewon-
nen uud sein Vermögen merkwürdiger Weise zusammenge-
haltcn hatte. Auf die Frage nach einer Wohnung, streckt
der Wirth die Hand aus und ruft pathetisch:
„Kennst du das Haus, ans Säulen ruht sein Dach!
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach!"
„Wie viel Zimmer und Kammern und wie hoch gele-
gen kann ich bekommen," versetzte der durch den Ton unan-
genehm berührte Baron.
„In dreimal dreißig Stufen steigt
Der Pilgrim zu der steilen Höhe.
„Doch sind es nicht jedesmal dreißig, sondern zehn Stu-
fen, Mio Signore!"
„Giebt es Ratten im Hause?"
„Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewahrt die kindlich reine Seele,
Ihm dürfen sie nicht rächend nahen."
„Nun, wenn Sie keine Ratten haben, sind sie gewiß
vor Ihren Deklamationen ausgcrissen! Das Logis steht mir
nicht an, Adieu!"
„Des Menschen Wille ist sein Himmelreich! — Adieu."
Nach diesem abermaligen fruchtlosen Versuch sehen wir
unseren Baron einen anderweitigen Besuch in einem neuge-
bauten Hause machen. Ein langer, griesgrämiger Mann
empfängt ihn und fragt ihn barsch nach seinem Begehr, wel-
chem Wunsche er entsprach.
„Ihr Name, Ihr Stand?"
„Clemens von Winzendorf, Rittmeister außer Dienst."
„Wieviel wünschen Sie Piecen?"
„Drei Zimmer, zwei Kammern!"
Ratten als
wieder eine aromatische Rauchwolke von sich, begleitet von einem
gelinden Seufzer. Der dicke Bayer faßte sich nach einiger
Zeit wieder Herz und fragte freundlich:
„Der Herr ist wohl nicht aus Bayern, vielleicht gar
nicht ans Deutschland?" „Giebt es in Mülheim Ratten?"
ließ sich der Andere vernehmen, ohne seine Situation nur im
Geringsten zu verändern. Dies ging unserm Bayern denn
doch etwas über den Spaß, die friedliche Morgenröthe seines
Vollmondgesichtes machte einem Dnnkelroth des Zornes Platz.
„Entweder sind Sie verrückt oder ich!" schrie er hitzig.
„Ob cs in Mülheim Ratten giebr, lieber Mann, habe
ich Sie gefragt?. Ich will nämlich dorthin übersiedeln."
Jetzt fing der Dicke sehr geräuschvoll an zu lachen und
meinte: „Nun, nun, da hätten Sie mir immer schon ant-
worten können, die Vornehmen denken aber immer, sie
sind nur zum Fragen und wir zum Antworten da. Nun,
meinetwegen, dessenthalben schmeckt mir das Bier doch und
Hunger sieht man mir auch nicht an. Was aber Mülheim
anbelangt, so glaube ich, sind die Ratten dort erfunden wor-
den, so viele giebt es dort, da wird der Herr bald wieder
ausreißen. Sagen Sie nur, ich hätte es gesagt, der Mühlen-
steffel von Schorgen."
Ein eigenthümlicher Blitz leuchtete in den matten Augen
des Hypochonders; dann schloß er sie und that sie auch nicht
eher wieder ans, als zu Mülheim, wo er, ebenso wie sein
Reisegefährte, ausstieg.
Der praktische Bayer betrachtet die inzwischen hervor-
getretcne Sonne durch ein gefülltes Glas und sagte zur
Kellnerin, auf den Sonderling deutend:
„Der dort kann keine Ratten leiden, Christel, wie lang
er's wohl in Mülheim aushalteu wird!"
„Wenn er nur so lange hier bleiben will, bis ihn die
Ratten gefressen haben, braucht er blos zum Gerber Jahn zu
gehen, so kann er mit dem nächsten Zug gleich weiter fahren."
Beide lachten und der Dicke stieg ivieder in sein Coupö.
Mülheim ist ein freundliches Landstädtchen vierten Ran-
ges, liegt schön und gesund, die Bewohner sind grob und doch
freundlich, denn man muß die Gewohnheit von der Gesin-
nung unterscheiden. Nach Tische sehen wir unfern Herrn
von Winzendorf, ein kleines Zettelchen in der Hand, ver-
schiedene Häuser scharf mustern; er schüttelte oftmals den
Kopf, als habe er an jedem etwas anszusetzen; sein gclang-
weiltes Gesicht lvurde noch griesgrämiger, bis er endlich in
eines der Häuser trat und den Besitzer zu sprechen verlangte.
Man führte ihn in ein elegant ausgestattetes Zimmer, wohin
in kurzer Zeit der Eigenthümer, ein kleiner, freundlicher
Mann, Seifensieder von Profession, folgte, um sich nach dem
Begehren des Fremden zu erkundigen, was in der ausgesucht
höflichsten Weise geschah.
„Mein Name ist Clemens von Winzendorf, ich bin
Rittmeister außer Dienst und gedenke den Sommer hier zu
verleben. Ich brachte in Erfahrung, daß Sie Räumlichkeiten
zu vermiethen hätten uud möchte mich mit Ihrer gütigen
Erlaubniß davon überzeugen."
Ehestifter.
„Sie thun meinem Hause all zu viel Ehre an, gnädig-
ster Herr Rittmeister, all zu viel Ehre, Sic werden es aber
auch gewiß nicht bereuen, mir den Vorzug gegeben zu haben.
Wollen Sie sich vielleicht gnädigst mit mir bemühen! Ent-
schuldigen Sie nur tausendmal, daß ich keinen Frack auhabe.
Wer hätte sich heute aber auch solch' ein Glück vorgestellt!"
Die Appartements entsprachen den großen Lobeserheb-
ungen nicht ganz, waren indeß recht hübsch und bequem.
Bevor sich der Baron zu einer bindenden Erklärung entschloß,
fragte er, die Augen scharf auf den Hauswirth gerichtet:
„Giebt es in Ihrem Hause Ratten?"
Dieser wurde etwas befangen, stotterte und meinte
schließlich, der Herr werde sein Hans doch nicht in so schlech-
tem Verdachte haben, daß es derartiges Ungeziefer berge und
schien ordentlich schluchzen zu wollen. Winzendorf erklärte
jedoch, seine Entscheidung sich vorzubehalten und ging. Der
Seifensieder ballte ihm die Faust nach und murmelte in
einem Tone, der sehr von dem vorhergehenden abstach:
„Du wirst mir ein schöner Rittmeister gewesen sein,
fürchtet sich vor einem Paar Ratten. Jn's Bett wären sie
Dir wahrscheinlich nicht gekomuicn und gebissen hat mich auch
noch keine. Nun, vielleicht besinnt er sich noch!"
Der Baron geht in ein anderes stattliches Hans, dessen
Besitzer, ein ehemaliger Schauspieler, in der Lotterie gewon-
nen uud sein Vermögen merkwürdiger Weise zusammenge-
haltcn hatte. Auf die Frage nach einer Wohnung, streckt
der Wirth die Hand aus und ruft pathetisch:
„Kennst du das Haus, ans Säulen ruht sein Dach!
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach!"
„Wie viel Zimmer und Kammern und wie hoch gele-
gen kann ich bekommen," versetzte der durch den Ton unan-
genehm berührte Baron.
„In dreimal dreißig Stufen steigt
Der Pilgrim zu der steilen Höhe.
„Doch sind es nicht jedesmal dreißig, sondern zehn Stu-
fen, Mio Signore!"
„Giebt es Ratten im Hause?"
„Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewahrt die kindlich reine Seele,
Ihm dürfen sie nicht rächend nahen."
„Nun, wenn Sie keine Ratten haben, sind sie gewiß
vor Ihren Deklamationen ausgcrissen! Das Logis steht mir
nicht an, Adieu!"
„Des Menschen Wille ist sein Himmelreich! — Adieu."
Nach diesem abermaligen fruchtlosen Versuch sehen wir
unseren Baron einen anderweitigen Besuch in einem neuge-
bauten Hause machen. Ein langer, griesgrämiger Mann
empfängt ihn und fragt ihn barsch nach seinem Begehr, wel-
chem Wunsche er entsprach.
„Ihr Name, Ihr Stand?"
„Clemens von Winzendorf, Rittmeister außer Dienst."
„Wieviel wünschen Sie Piecen?"
„Drei Zimmer, zwei Kammern!"