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Eine g c [t ö r t e
Böhme, ihnen erklärt, daß er den Herrschaften nichts weiter
bieten könne, als Butter, Brot und Eier. Bald aber wurde
der Berliner Rentier gesprächiger und vertraulicher gegen den
Lommatzscher.
„Aber ein Töpfchen Bier können wir doch wohl be-
kommen?" frug der Letztere den Wirth.
„Bier?" entgegnete dieser kopfschüttelnd. „Damit kann
ich heut nicht dienen, das Hab ich nur, wenn der Ditters-
bacher Bote ein Fässel mitbringt, und der ist die Woche
nicht gekommen!"
»Herr Jemersch, hier in Böhmen nicht einmal böhmisches
Bier, das ist doch zu komisch!" rief der Lommatzscher ärgerlich.
„Dann is wohl von Wein jar kecne Rede nich?" frug
spöttisch der Berliner.
„Wein? o den können Sie schon bekommen!" sprach
der Wirth und kehrte bald darauf mit einer Flasche Melncckcr
Rothwein und zwei Gläser zurück.
„Na, Mäuneckcn, denn läßt sich'S schonst ertragen!"
rief der Berliner seinem Gefährten zu, und schenkte die
Gläser voll. „Dieß Böhmen ist en merkwürdiges Stück
Land, sehr romantisch, aber eene Armuth, die iö doch greu-
lich und keene Kultur, reene Urwildniß. Jott, wenn wir
dct hätten, wat wäre da draus zu machen. Jeht denn die
Felsengeschichte noch tiefer hinein, oder is des blos so en
Anhang von die sächsische Schweiz?"
„Da können Sie halt' noch acht Tage laufen, Sie
kommen nicht durch!" entgegnete der Wirth.
„Na, denn jeben Sie noch en Bullcken her, weil Sie
so steinreich in Böhmen sind," lachte der Berliner und langte
die leer gewordene Flasche dem Wirth zu.
Dieser aber schüttelte den Kopf und sprach: „Heut wird
halt hier nir mehr gereicht, eS ist Zeit zum Schlafengehen."
„Na, bet iS eenzig!" rief der Berliner und wollte seinem Un-
muth darüber durch einige Witze Luft machen, der Wirth aber
nahm das einzige im Zimmer befindliche Licht und sprach
brummend: „Ich will den Herrschaften die Schlafstuben zeigen!"
worauf den beiden Touristen nichts weiter übrig blieb, als
ihr Lager zu suchen, auf welchem sie, trotz des draußen wild
vom Wind gepeitschten Regens, der prasselnd an die kleinen
Fenster ihrer Kammer anschlug, bald in festen Schlaf ver-
sanken.
Als sie am andern Morgen etwas spät erwachten, war
der Himmel noch in seinen dichtesten Wolkenmantel gehüllt,
und der Vormittag ging vorüber, ohne daß der Regen nach-
ließ; ringsum aber stiegen graue Dunstmassen aus den be-
waldeten Häuptern der Berge, welche das Dörfchen umschloffen
hielten, und der Berliner, welcher an's Fenster getreten war,
um den Himmel zu beobachten, bemerkte bald deutlicher, daß
sich das Gewölk zertheilte, und in der Ferne ein hervor-
brechendcr Sonnenstrahl das saftige Grün einer Waldwiese
auf das herrlichste erglänzen ließ, während der Lonimatzscher
Fabrikant eine frische Flasche Melnecker entkorkte, dem Beide
schon während des Frühstücks fleißig zugcsprochen hatten, und
dadurch die Mißstimmung fern hielten, in welche Vergnügungs-
reisende leicht verfallen können, welche ein Tage lang anhalten-
der Regen in einem dürftigen Dorfwirthshause festhält.
„Det is noch det eenzige Glück, daß es in diesem Nest,
wo der Teufel seine Jungen nicht sucht, ein jutcs Jlas
Wein siebt!" begann der Berliner vom Fenster zurücktretend
und sein Glas leerend. „Denn wat hilft mich hier all'
diese romantische Irgend, in welcher wir wahrscheinlich bis
über die Ohren im Morast stecken bleiben, wenn wir aus-
rücken, da, wie unser mufflicher Wirth sagt, im janzen Dorfe
keen Fuhrwerk uffzutreiben ist!"
„So schlimm ist cs schon nicht!" entgegnete der Fa-
brikant, der ebenfalls den Himmel genauer beobachtet hatte.
„Um den Rand herum wird es wieder hell, und das bischen
Regenwasser verläuft sich schnell in den Waldwegen!"
„Nun, eS wird ook Zeit!" sprach der Rentier; „denn
ick habe nun jenug von all dem Kram, und den Schwindel
mit der Felsenkletterei bekommt man jründlich satt!"
„Aber was würden Sie wohl in Berlin darum geben,
wenn Sic nur den zehnten Theil der sächsischen Schweiz
hübsch in der Nähe hätten?" frug der Lommatzscher lächelnd
und nahni mit seinem Gefährten am Tische Platz, wo der
Wirth wieder Brot, Butter und Eier nebst eiueni Stück
rohen Schinken als Mittagessen auftrug.
„Ja, det wäre ooch etwas janz anderes!" rief der
Berliner, der mit dem Fabrikanten während des Essens wieder-
holt die Gläser füllte. „Dann würden wir der Natur durch
die Kunst zu Hülfe kommen, und dct Janze noch jeschmack-
voller und comfortabler hcrauöputzen, so daß cs Euch Sächser
eben so zahlreich nach Berlin und Umjegend ziehen sollte,
als unö nach Dresden und Schandau."
„Wie weise von der Natur, daß dieß eben nicht der
Fall ist, denn dann wäre eS mit Euch gar nicht mehr auSzu-
haltep!" lachte der Lommatzscher, dessen Augen bereits feuchter
erglänzten, und dessen Gesicht eine dunkle Röthe färbte, von
welcher auch das blasse lebcrfarbenc Antlitz des Berliner
Rentiers einen leisen Anflug zeigte, während der Wirth die
vierte Flasche hereinbrachte.
„Nun! man nich jlcich obendruff!" entgegnete der
Rentier etwas empfindlich über die letzte Bemerkung seines
Gefährten.
„Es ist aber doch so," fuhr dieser fort, der vom Wein
angeheitert, sich an dem Berliner zu reiben suchte. „Ihr
denkt doch, daß alles bei Euch bester ist, als anderswo und
müßt dennoch alle Jahr nach Sachsen kommen, um zu sehen,
was Euch in Eurer Uckermärkischen Sandbüchse fehlt, und
die Folge davon ist, daß man fünf Meilen um Dresden
überall den unvermeidlichen Berliner trifft!"
„So?!" frug sein Gegner gedehnt. „Det also ist
Ihre Ansicht Sie gemüthvoller Sächser. Na," setzte er
spöttisch hinzu: „Mäuneckcn. lassen Sie dat man jut sind,
und freuen Sie sich, dct wir Ihne» dat biskcn hübsches
Land noch jelassen haben, wo die Naturschönheiten so dicke
uff einander sitzen, det man vor Romantik nich aus den
Ovgen sehen kann!"
Eine g c [t ö r t e
Böhme, ihnen erklärt, daß er den Herrschaften nichts weiter
bieten könne, als Butter, Brot und Eier. Bald aber wurde
der Berliner Rentier gesprächiger und vertraulicher gegen den
Lommatzscher.
„Aber ein Töpfchen Bier können wir doch wohl be-
kommen?" frug der Letztere den Wirth.
„Bier?" entgegnete dieser kopfschüttelnd. „Damit kann
ich heut nicht dienen, das Hab ich nur, wenn der Ditters-
bacher Bote ein Fässel mitbringt, und der ist die Woche
nicht gekommen!"
»Herr Jemersch, hier in Böhmen nicht einmal böhmisches
Bier, das ist doch zu komisch!" rief der Lommatzscher ärgerlich.
„Dann is wohl von Wein jar kecne Rede nich?" frug
spöttisch der Berliner.
„Wein? o den können Sie schon bekommen!" sprach
der Wirth und kehrte bald darauf mit einer Flasche Melncckcr
Rothwein und zwei Gläser zurück.
„Na, Mäuneckcn, denn läßt sich'S schonst ertragen!"
rief der Berliner seinem Gefährten zu, und schenkte die
Gläser voll. „Dieß Böhmen ist en merkwürdiges Stück
Land, sehr romantisch, aber eene Armuth, die iö doch greu-
lich und keene Kultur, reene Urwildniß. Jott, wenn wir
dct hätten, wat wäre da draus zu machen. Jeht denn die
Felsengeschichte noch tiefer hinein, oder is des blos so en
Anhang von die sächsische Schweiz?"
„Da können Sie halt' noch acht Tage laufen, Sie
kommen nicht durch!" entgegnete der Wirth.
„Na, denn jeben Sie noch en Bullcken her, weil Sie
so steinreich in Böhmen sind," lachte der Berliner und langte
die leer gewordene Flasche dem Wirth zu.
Dieser aber schüttelte den Kopf und sprach: „Heut wird
halt hier nir mehr gereicht, eS ist Zeit zum Schlafengehen."
„Na, bet iS eenzig!" rief der Berliner und wollte seinem Un-
muth darüber durch einige Witze Luft machen, der Wirth aber
nahm das einzige im Zimmer befindliche Licht und sprach
brummend: „Ich will den Herrschaften die Schlafstuben zeigen!"
worauf den beiden Touristen nichts weiter übrig blieb, als
ihr Lager zu suchen, auf welchem sie, trotz des draußen wild
vom Wind gepeitschten Regens, der prasselnd an die kleinen
Fenster ihrer Kammer anschlug, bald in festen Schlaf ver-
sanken.
Als sie am andern Morgen etwas spät erwachten, war
der Himmel noch in seinen dichtesten Wolkenmantel gehüllt,
und der Vormittag ging vorüber, ohne daß der Regen nach-
ließ; ringsum aber stiegen graue Dunstmassen aus den be-
waldeten Häuptern der Berge, welche das Dörfchen umschloffen
hielten, und der Berliner, welcher an's Fenster getreten war,
um den Himmel zu beobachten, bemerkte bald deutlicher, daß
sich das Gewölk zertheilte, und in der Ferne ein hervor-
brechendcr Sonnenstrahl das saftige Grün einer Waldwiese
auf das herrlichste erglänzen ließ, während der Lonimatzscher
Fabrikant eine frische Flasche Melnecker entkorkte, dem Beide
schon während des Frühstücks fleißig zugcsprochen hatten, und
dadurch die Mißstimmung fern hielten, in welche Vergnügungs-
reisende leicht verfallen können, welche ein Tage lang anhalten-
der Regen in einem dürftigen Dorfwirthshause festhält.
„Det is noch det eenzige Glück, daß es in diesem Nest,
wo der Teufel seine Jungen nicht sucht, ein jutcs Jlas
Wein siebt!" begann der Berliner vom Fenster zurücktretend
und sein Glas leerend. „Denn wat hilft mich hier all'
diese romantische Irgend, in welcher wir wahrscheinlich bis
über die Ohren im Morast stecken bleiben, wenn wir aus-
rücken, da, wie unser mufflicher Wirth sagt, im janzen Dorfe
keen Fuhrwerk uffzutreiben ist!"
„So schlimm ist cs schon nicht!" entgegnete der Fa-
brikant, der ebenfalls den Himmel genauer beobachtet hatte.
„Um den Rand herum wird es wieder hell, und das bischen
Regenwasser verläuft sich schnell in den Waldwegen!"
„Nun, eS wird ook Zeit!" sprach der Rentier; „denn
ick habe nun jenug von all dem Kram, und den Schwindel
mit der Felsenkletterei bekommt man jründlich satt!"
„Aber was würden Sie wohl in Berlin darum geben,
wenn Sic nur den zehnten Theil der sächsischen Schweiz
hübsch in der Nähe hätten?" frug der Lommatzscher lächelnd
und nahni mit seinem Gefährten am Tische Platz, wo der
Wirth wieder Brot, Butter und Eier nebst eiueni Stück
rohen Schinken als Mittagessen auftrug.
„Ja, det wäre ooch etwas janz anderes!" rief der
Berliner, der mit dem Fabrikanten während des Essens wieder-
holt die Gläser füllte. „Dann würden wir der Natur durch
die Kunst zu Hülfe kommen, und dct Janze noch jeschmack-
voller und comfortabler hcrauöputzen, so daß cs Euch Sächser
eben so zahlreich nach Berlin und Umjegend ziehen sollte,
als unö nach Dresden und Schandau."
„Wie weise von der Natur, daß dieß eben nicht der
Fall ist, denn dann wäre eS mit Euch gar nicht mehr auSzu-
haltep!" lachte der Lommatzscher, dessen Augen bereits feuchter
erglänzten, und dessen Gesicht eine dunkle Röthe färbte, von
welcher auch das blasse lebcrfarbenc Antlitz des Berliner
Rentiers einen leisen Anflug zeigte, während der Wirth die
vierte Flasche hereinbrachte.
„Nun! man nich jlcich obendruff!" entgegnete der
Rentier etwas empfindlich über die letzte Bemerkung seines
Gefährten.
„Es ist aber doch so," fuhr dieser fort, der vom Wein
angeheitert, sich an dem Berliner zu reiben suchte. „Ihr
denkt doch, daß alles bei Euch bester ist, als anderswo und
müßt dennoch alle Jahr nach Sachsen kommen, um zu sehen,
was Euch in Eurer Uckermärkischen Sandbüchse fehlt, und
die Folge davon ist, daß man fünf Meilen um Dresden
überall den unvermeidlichen Berliner trifft!"
„So?!" frug sein Gegner gedehnt. „Det also ist
Ihre Ansicht Sie gemüthvoller Sächser. Na," setzte er
spöttisch hinzu: „Mäuneckcn. lassen Sie dat man jut sind,
und freuen Sie sich, dct wir Ihne» dat biskcn hübsches
Land noch jelassen haben, wo die Naturschönheiten so dicke
uff einander sitzen, det man vor Romantik nich aus den
Ovgen sehen kann!"