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Von Michaelis

| liebend entgegenkämc, voll Sehnsucht nach dem Vater, der
' sie geliebt hatte, und der nun dort drüben lag im Grabe
unter dem tiefen kalten Schnee. Sic schaute hinaus, als
spähcte sie erwartend nach einem Helfer und Erretter, aber
grau, düster und lautlos lag der Schncchimmel weit und
breit auf der Erde — es war keine Hülfe für sie da, keine
Errettung aus dem immer näher kommenden Elend!

-k-

H: *

Um dieselbe Zeit aber, alö das verzagende Kind in
banger Verlassenheit hinausstarrte in die graue Winterluft,
sag im warmen wohnlichen Gemache seines stattlichen Hauses
auf der Freiung in Landshut der Raths- und Handelsherr,

1 Herr Daniel Laufner, im Armstuhl unweit des grünen
Kachelofens und schaute ernst und nachdcnkend vor sich hin,
die Arme in einander geschlagen. Am Fenster, um den
letzten hellen Schein des kurzen Tages noch zu nutzen, hatte
seine Ehcgenossin auf einem Bänklesii Platz genommen, aber
die Spindel ruhte am Boden und den Rocken hiebt die Hand
gesenkt hinab, denn auch sie war in tiefes Sinnen versunken.
ES waren keine aninulhigcn und heiteren Gedanken, die beide
in ihrem Inneren bewegten, sondern gar sorgenvolle, und
mancherlei Bedenken und Befürchtungen erfüllten die Seele
der beiden Leute. Der alte Herr Laufner hatte sich am
Vormittage entschlossen, jetzt, mitten im kalten Winter, eine
Reise gen Straubing anzutreten, eine Reise voll Beschwerden
und nicht geringen Gefahren. Er hatte eine schöne Summe
> — an die vierzehn Mark Goldes — ausstehen beim Kauf-
mann Schiller in Straubing, der ihm schon manches Jahr
Pfeffer, Safran, mancherlei Zeuge und andere Waaren,

I so die Donau heraufgekommen, gen Landshut gesendet
j hatte. Laufner hatte Jahr für Jahr im Sommer in eigener
j Person berichtigt, was er dem Straubinger Geschäftsfreunde
für solche Sendungen schuldete, und oft hatte er, so wie
auch das letzte Mal, im Voraus eine Summe nicdergelegt
beim Handelsfreund, damit dieser dcö Ankaufs Auslagen da-
mit bestreite. Nun aber war in den letzten Tagen ein junger
Bursche, ein Landshuter Kind, des Hufschmieds Frcigangs
Toni heimgekehrt in's elterliche Haus; der hatte in Strau-
bing gearbeitet beim Vetter Burghard auf der Brückenstraße
und hatte mancherlei Kunde mitgebracht von Straubing, und
unter Anderm aüich, wie cs bei Schilter dem Kaufmanne
gar übel stehen solle, und wie derselbe wohl bald werde den
gelben Hut tragen müssen.

Solche Kunde hatten gute Freunde alsbald Herrn Laufner
hinterbracht, und dadurch die Ruhe seines stillen Hauses arg
gestört. Was sollte er thun? Des ausstehenden Geldes war
zuviel, um es gleichmüthig verloren zu geben, wenn er sich
stracks auf den Weg machte, und bei dem unsicher» Geschäfts-
freund einsprach, war vielleicht noch Manches zu retten;
aber — cs >var tiefer Winter, und die zwölf Stunden Weges
in solcher Jahreszeit eine gar beschwerliche Reise; zudem war
das Land voll von herrenlosen Landsknechten, Strolchen und
Bachanten, die, zumal zur nahrungsloscn Winterszeit, sich zu-
sammcnrotteten und wegclagerten und schon manch wackeren

bis Silvester.

Mann überfallen, beraubt und wohl gar erschlagen hatten;
und hatte Herzog Albrechts streng Gebot gegen solch Gesindel
gar wenig gefruchtet, denn der Friede nach den letzten KriegS-
jahren hatte ein unzählig Söldnervolk, wüste, wilde Gesellen,
die des Pfluges und der Hacke entwöhnt waren, brodlos ge-
macht, und diejenigen, die bestellt gewesen, dem Unfug der gartcn-
dcn Knechte, zu steuern, die machten nur zu oft statt dessen
gemeinsame Sache mit den wüsten Rotten und waren, statt
Verfolger — Hehler und Begünstiger der Räuber.

Darum hatte auch Frau Genovefa, als sic von ihrem
erschrockenen und aufgeregten Ehehcrrn die Kunde erfahren,
welch' böses Geschrei über den Straubinger Geschäftsfreund
erschollen sei, und wie für ihn selbst dabei nicht wenig Geld
auf bent Spiele stehe, wie er darum nicht anders könne, als
flugs gen Straubing aufzubrcchcn, um zu retten, was noch
zu retten sei, besorgt und bekümmert gebeten, ihr Herr möge
doch der Einbuße nicht gedenken und daheim bleiben, und
nicht zu böser Winterszeit hinausreitcn in Schnee und Eis,
sintemalen seines Leibeö Kräfte nicht mehr wie früher, auch
möge er eingedenk sein, all' dcö bösen Gesindels, das in den
Dörfern und in den Wäldern Hause und den Reisenden auf-
laure; aber in Herrn Laufner war einmal der Kaufmann !
rege, und die Einbuße bäuchte ihm unerträglich; und obschon
er selbst besser alö Frau Vevcl wußte, wie gefahrvoll und !
beschwerlich die Reise sein dürfte, wies er doch der Hausfrau
Besorgnisse ab und fragte, ob er denn nicht noch in den
besten Jahren stehe, und ob es nicht eine Schande wäre für
ihn, das bischen Winterreise zu scheuen, und vor den Gart
knechten wolle er sich schon wahren; er werde vier Stadlknechte
mitnehmen, und dann möchte er sehen, wer an ihn kommen
könnte! So halte er der Frauen Vorstellungen zurückgewiescn,
daß diese ihm fürder nicht mehr drein zu reden wagte, aber
in ihrem Herzen war sie bekümmert um ihren Eheherrn und
dachte voll Sorge all' den Fährlichkciten nach, die seiner
warteten draußen auf dem weiten öden Wege durch den hohen
Schnee. Und auch Herr Laufner konnte sich, nachdem Alles
zubereitet war zum Ritt ani kommenden Tage, gar schwerer
Sorgen nicht erwehren; doch nach Straubing mußte er, cs
mochte nun kommen, wie cs wollte!

Spät am Abend, cs war schon längst finster, ritt am
zweiten Tage seiner Reise, Herr Laufner in Straubing ein.
Kalt genug war'ö gewesen, und der Athcm der Reisenden
hatte sich alö Reif an Pelzrock und Pelzkappe des Kauf-
manns und an die Goller und eisernen Hirnhäublein der
vier Soldreiter gesetzt, auch Mähnen und Nüstern der Gäule
waren weiß bereift; und langsam genug war cs vorwärts
gegangen, Schritt vor Schritt im tiefen Schnee, und oft
hatten sie rathlos umgeschaut über die weiten Schnecfeldcr
hinweg und hatten nicht gewußt, ob sie noch die Richtung
einhielten ihrem Ziele zu, denn die unbctretene, verschneite
Straße war längst verloren und oft waren die Gäule ge-
strauchelt und gestürzt, wenn sie unvermuthet in einen Graben
geriethcn, den der trügerische Schnee angcfüllt hatte, so daß
weder Roß noch Reiter ihn vorher bemerkte; aber vor raub-
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