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| 138 Von Michaelis

heranzog, denn es war ein schöner, warmer Sommer und
ein milder Sonnenschein Tag für Tag.

Nun war's am Zwölfbotentag — ich werd's nie ver-
gessen — da zog wieder ein Fähnlein Spanier aus, sic
hatten drei Tage gerastet in der Stadt, und vor dem Ab-
züge war Fcldmesse draußen auf dem Anger, da war Alles
hinausgegangcn, das mit anzuschauen, und war eine Men-
schenmenge, daß sie Niemand zählen konnte, denn Alle in
der Stadt wollten das mit ansehen.

Als sie aber abgezogen waren, und Alle sich verlaufen
hatten und hcimgekehrt waren, jeder in sein Haus, da war-
teten wir vergeblich auf die Burgel mit dem Kinde, erst
in Aergcr und Ungeduld, aber der Aerger ward zur Angst,
alö der Mittag längst vorüber, und die Erwarteten noch
immer nicht hcimgekehrt waren. Nun mußte, was im Hause
war, hinaus, um die Vermißten zu suchen. Und die Angst
ward zur Verzweiflung, als Niemand eine Spur von den
Beiden gefunden, denn über all dem Lausen und Suchen
und Fragen war's Abend geworden, und die dunkle Nacht
stieg herauf. Da sind wir damals die ganze Nacht durch
draußen umhergelaufen auf dem weiten Jsaranger und in
den Büschen und durch die Scheunen, aber nirgends, nirgends
eine Spur von dem Kinde. An jene Nacht will ich ge-
denken und an die Tage, die nun kamen, und kann sie
nicht vergessen und lebte ich noch tausend Jahre. Kein
Mensch konnte Auskunft geben. Die hatten die Burgel mit
i dem Kinde gesehen dort, jene hier, aber wo sic endlich hin-
! gekommen, konnte keiner sagen. Ach, Herr Winkler, was
| das für Angst und Qual und Verzweiflung gekostet, bis
wir endlich zu der Uebcrzeugung kamen, cs müsse die Bürgel
das Kind außer Acht gelassen haben, und cs sei zu Schaden
! gekommen, vielleicht in den Fluß gefallen und ertrunken, und
die Burgel möge dann vor Angst und Schrecken in die
weite Welt hinausgelaufen sein — es kann sich's Niemand
denken, das muß erlebt sein! Den Fluß, und jedes Wasser
weit und breit ließen wir durchsuchen, aber es ward keine
Spur von der kleinen Leiche gefunden. Ja, Herr, cs mag
wohl das Herz zerreißen, wenn der Tod ein liebes Kind
wegnimmt, aber man hat doch die kleine Leiche und begräbt
sic und weiß, dort ruht das Kind und ist in Sicherheit,
aber ein Kind, ein geliebtes, einziges Kind so zu verlieren,
daß man nicht weiß wie und wo cö umgekommen . . . .!"
und schwer aufseufzend stützte der Erzählende das Haupt in
die Hand und schwieg in trübem, kummervollem Nachsinnen.
Herr Winkler aber wußte nicht, was er auf solch traurigen
Bericht Tröstliches sagen möchte und schwieg mit dem Trau-
ernden, und so war cs still in dem dämmernden Stübchen
eine lange Weile.

„Endlich," begann Herr Laufner von Neuem mit
trauriger Stimme, „mußten wir auch die letzte Hoffnung,
unser Lenchen wieder zu finden, aufgebcn, nicht einmal die
kleine Leiche fanden wir; und nun kamen neue Augsttagc
für mich. Meine Vefel hatte in der Angst und Verzweif-
lung zu viel gethan mit Laufen und Rennen, dazu die rast-

bis Silvester.

lose Furcht und Sorge und die Nächte ohne Schlaf und
der grenzenlose Jammer — cö war zu viel, sie bekam vor-
zeitig ein todtes Söhnlein und war so krank, daß wir Alle
meinten, sie würde den beiden Kindern Nachfolgen in jene
Welt. Das waren Tage, Herr Winkler! Da geht man
hin und thut das täglich Gewohnte, aber wie in einem
bösen Traum, das Leben drückt wie eine unerträgliche Last,
und das Herz im Leibe ist krank und schwer; man hört
die Leute reden, aber man versteht nicht, was sie sagen, man
sicht das Treiben und Hin- und Hergchcn auf der Gasse,
wie cö immer gewesen ist, aber cö ist alö gehörte man nicht
hinein, man ißt und trinkt, weil die Zeit zum Essen da ist,
aber man weiß nicht, was. man ißt. Nun, die Kranke ge-
nas wieder, aber sic hat mir seitdem keine Kinder mehr ge-
schenkt, und so ist unser Haus einsam und still, wir haben
uns wieder gewöhnt in's Leben und Treiben, und thun,
was uns vor die Hand kommt, aber eö ist Niemand da,
für den wir sorgten, und trübe Tage giebt es noch immer,
wo uns das stille, leere Haus gar schmerzlich erinnert an
unfern Verlust; vor allem schmerzlich sind die Zeiten, wenn
andere Eltern sich mit den Kindern freuen; St. Niklaö und
Weihnachten, Neujahr und Ostern gehen nicht vorüber, daß
meine arme Vefel nicht still für sich hinweinte, wenn andere
Mütter die Kinder beschenken und ihnen Freude machen mit
Lichtern und bunten Eiern. Hätten wir nur wenigstens
darüber Gewißheit, wie und wo unser armes Kind ge-
storben ist!"

Der betrübte Mann schwieg von Neuem. Herr Winkler
sagte endlich bewegt und verlegen: „Es thut inir wahrlich
leid, Herr Laufner, daß ich Euch durch meine Fragen gerade
heute daran erinnert habe."

„Laßt Euch daö nicht bekümmern," entgcgnctc dieser
müden Tones. „Solche Dinge vergißt man nie; sie stehen
immer und immer in Herz und Sinn, und ob man auch
Anderes redet, und Anderes hört, cs tönt immer und immer
hindurch, wie der Blutfleck von unschuldig vergossenem Blut
immer wieder hindurchleuchtet durch alle Farben, die man
darüber malen mag."

„Da werdet Ihr wohl, Herr Laufner, schwerlich Lust
haben, herunter zu kommen zu uns; wir haben den Kindern
eine Krippe gebaut, und ich hatte Euch cinladcn wollen zu
einem Becher Würzwein und einem Stück Christstollen,
aber ......!"

„Habt besten Dank, Herr Winkler, ich werde kommen;
warum sollte ich Andere beneiden um ein Glück, daö mir
hart entrissen worden; für mich kehrt cs dadurch ja doch
nicht zurück! Nein, ich werde kommen, aber Ihr wcrdet'ö
dem einsamen Manne nicht übel deuten, wenn er still und
wortkarg ist, wie sich's zum fröhlichen Tage freilich nicht
schickt, und zuweilen sogar ein wenig traurig. Es ist nicht
bös gemeint, und soll Euch nicht stören in Eurer Freude
mit Euren Kindern, die ich Euch vom Herzen gönne!"

Winkler reichte seinem Gast bewegt die Hand und drückte
sie und führte ihn später hinüber in das lichterhelle Gemach,
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