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Von Michaelis

Seele so tief bewegt, vielleicht ist eines der Eltern tödtlich
krank!" Er schickte sich nun an, seiner Herberge zuzugehen.
Wie er aber, der weinenden Beterin denkend, dahin schritt,
glitt er plötzlich aus auf der unebenen, schneeigen Straße
und indem er ans das eine Knie niedcrfiel, fuhr ein stechen-
der Schmerz durch den heftig gebogenen Fuß. „Heiliger
Gott!" dachte er erschrocken, „jetzt hier in der Fremde und
den Fuß gebrochen!" Er versuchte sich wieder aufzurichten
und stöhnte laut dabei auf.

„Seid Ihr gefallen, Herr?" fragte eine freundliche,
theilnehmcnde Stimme hinter ihm. „Kann ich Euch aufhelfen?"
Ein Mägdlein schien cs zu sein, das herangetreten war und
Herrn Laufner die Hand reichte; in der Dunkelheit des
Morgens konnte er nur undeutlich die Gestalt wahrnehmen.
„Danke Dir, mein Kind," erwiederte er. „Wirst Du auch
Kraft genug haben?" — „Ich deirke doch," war die freundliche
Antwort. „So . . nun legt die Hand auf meine Schulter,
ich stehe fest!" Und cs ging. Herr Laufner richtete sich
auf, aber mit dein Weiterschreitcn sah's schlimm genug aus,
der Fuß schmerzte gar sehr bei jedem Tritt. Er mußte sich
mit der einen Hand auf seinen Stock, mit der andern auf
des Kindes Schultern stützen, um nur einigermaßen fortzu-
kommen. „Willst Du mich geleiten bis in meine Herberge?"
fragte der Beschädigte. — „Ja wohl, wo seid Ihr denn zu
Hause?" fragte daö Mägdlein, dessen Stimme dem Kaufmann
wohlthuend zu Herzen drang. „Bei dem Kaufmann Winkler
in der untern Jakobsgasse."

Da zuckte das Kind unwillkürlich zusammen, aber gleich
darauf erwiederte es: „Gern will ich Euch dorthin geleiten.
Stützt Euch nur recht fest auf mich." Schweigend schritten
sie langsam weiter. Der mühsame Gang nahm beider Auf-
merksamkeit genug in Anspruch, so daß sic zu weiteren Worten
keine Zeit fanden. Endlich war daö Hauö erreicht. Winkler
mit den Seinen war noch in der Christmette bei St. Veit,
und Niemand daheim, als die alte Afra, die Magd, die
beim Oeffnen der Hausthür mit düster brennendem Lämpchen
herzukam und über des Gasteö Unfall nicht wenig bestürzt
war. Laufner berichtete in kurzen Worten, was ihm begegnet
und meinte, cö möchte der Arzt herbeigeholt werden, damit
er nur gleich wisse, woran er sei. Es bedurfte aller An-
strengung beider, der Magd und der kleinen Führerin des
Kaufmanns, um diesen in den Stand zu setzen, die Stiege
hinaus in sein Kämmerlein zu gelangen. Droben aber, als
Herr Laufner sich ächzend niedergelassen in den Sessel, und
Afra die Kerze angezündet hatte, da erkannte jener zu seiner
freudigen Ueberraschung in seiner kleinen Helferin die weinende
Beterin aus der Jakobökirchc. „Sag mir, mein Kind, wie
heißt Du denn?" fragte er hastig. „Ich heiße Magdalene
Weiler," erwiederte die Gefragte, die verlegen das Gesicht
abwendete, da sie sich der rothgeweinten Augen bewußt war.
„Ich will nach dem Arzte gehen, Herr, wenn Ihr es wünscht,"
fuhr sie fort, denn sic wollte allen weiteren Fragen ausweichen.

„Aber, mein Kind," erwiederte Laufner, der bestimmt
glaubte, dem Mädchen müsse daheim irgend Jemand ernstlich

bis Silvester.

krank darniederliegen, und dies möchte die Ursach ihres Kummers
sein, „Du hast Dich mit.mir schon so lange verweilt, Du
wirst bald nach Hause wollen, sie werden nicht wissen, wo
Du bleibst und ängstlich auf Dich warten?"

Darauf aber schüttelte das Kind den Kopf, wendete
sich noch mehr ab und sagte mit stockender, thränenersticktcr
Stimme: „Nein, auf mich wartet Niemand."

„Ja, Lene, geh' Du zum Herrn Balthasar Häßler, er
möge nur gleich kommen," sagte die Afra freundlich zu dem
Kinde, Herr Laufner aber rief, als diese nun schnell hinaus-
cilte, ihr nach: „Komm aber selbst wieder, mein Kind, hörst
Du! Du hast mir einen gar großen Dienst erwiesen ..."

Aber schon war das hülfreiche Mägdlein zur Thüre
hinaus und die Stiege hinab.

Das unvermuthete Zusammentreffen mit eben dein
Mägdlein, dessen trostloser Schmerz am Morgen allgemeiner
Freude sein Gcmüth so tief ergriffen, hatte Herrn Laufncr'S
Theilnahme für dasselbe wo möglich noch erhöht, und da er
aus Afra's Auftrag an das Mädchen schließen konnte, daß
die Magd dasselbe kennen müsse, fragte er, trotz der heftigen
Schmerzen, die nach der Anstrengung des Heimwegs in
seinem Fuße tobten, die Alte nach dem Mägdlein und ihrem
Kummer, indem er erzählte, wie ihm drüben in der Kirche
des Kindes Trostlosigkeit das Herz tief bewegt habe.

„Ja, achtbarer und fürsichtiger Herr," entgegnete die
Gefragte, „die Arme hat wohl Grund zu weinen und sich
zu fürchten vor den künftigen Tagen. Es ist ein angenommen
Kind des Webermeisters Weiler, und die Leute haben sic
schon seit langer, langer Zeit, die Lene; da ist aber neulich
der Weiler gestorben, ganz jählings . . gesund und lobt!
und nun meint die Frau, sie habe genug zu sorgen für ihre
eigenen Kinder und könne das fremde nicht auch noch er-
nähren, und hat daö arme Ding als Kindermädchen vcr-
miethct drüben zu dem Drachen, der Frau Ursel Lehnwaldin.
O Herr, das ist ein Weibsstück . . . nun, ich will lieber
nichts sagen! aber erst hat sie den Mann unter die Erde
geärgert und gezankt, und nun läßt sie alle Bosheit ans an
den armen Geschöpfen, die etwa aus Noth gezwungen sind,
bei ihr zu dienen. Es halt's übrigens Keine auö. Na,
wir wohnen ja nahe genug, um die Wirthschaft da zu kennen.
Gnade Gott Jeder, die dahin kommt!" So fuhr die ge-
schwätzige Alte noch lange fort in lebendigen Farben die
Hölle auszumalen, die eines jeden Dienstboten dort warte.
„Mit dem neuen Jahre aber soll die Lene dort hinziehen,"
fügte sie hinzu, „da kann man'S dem armen Kinde nicht
verdenken, wenn's vor Angst sich kaum zu fassen weiß!
Heil'ger Tiburtius! wo soll denn das arme Ding hin, die
Lene, wenn sie's drüben nimmer länger aushält? Sic hat
ja Niemand, zu dem sie flüchten konnte!" Ucberdem kam
Herr Winkler mit seiner Familie heim. Alle beklagten des
Gastes Unfall. Ein bequem Spanbett wurde in'S Gemach
geschafft, daß der Leidende sich daraus ausstrecken möge. Herr
Laufner aber war so erfüllt von Theilnahme für das arme
Kind, daß er alsbald von Neuem zu fragen anfing, und
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