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Das Morgenconcert.

habt, ich bin wie gerädert," war die freundliche Begrüßung
des Majors. — „Gnädiger Herr — der Wagen" — wollte
sich Hascnfratz entschuldigen. — „Das Maul halten," unter-
brach ihn der Major. —„Trag' mein Gepäck in'S Zimmer!"
„Franzl! Mirzl!" schrie der Bauer, und aus dem Boden
und aus dem Stalle tauchten plötzlich zwei weibliche Ge-
stalten auf, die mit Hilfe des Burschen das Gepäck in das
Innere des Hauses beförderten.

»Jetzt hört mich gut an," sagte der Major. „Ihr
wißt, daß ich Euch für dieses abscheuliche kleine Loch, das
Ihr ein Zimmer zu betiteln die Keckheit habt, die enorme
Summe von hundert Gulden über den Sommer zahle. Jetzt
muß ich Euch aber erklären, warum ich bei Euch in diesem
Neste wohne, während ich für dasselbe Geld viel bequemer
und eleganter in einem Badeort wohnen könnte. So hört
denn: Ich will Ruhe haben, versteht Ihr? Ruhe! Und
in diesem Dorf hoffe ich sie zu finden! In einem Bade-
orte, da sind Bälle, Tanzunterhaltungcn, und was das
Gräßlichste ist — Morgenconcerte! Das ist das Schreck-
lichste, was ich kenne! Ich bin nicht der Ansicht, wie viele
Andere, daß man auf dem Lande gezwungen ist, zeitig
aufzustehen! Im Gegcntheil, ich schlafe gern lang, und bei
Euch werde ich hoffentlich durch kein Morgenconcert aus denk
Schlafe geweckt werden. Nicht wahr, Ihr habt keine Musik
hier?" »Gar keine," bestätigte Hasenfratz, „blos am Sonntag
Nachmittag spielt der Martin im Wirthshaus auf der Har-
monika auf." — „Bravo, Martin, der blos die Harmonika
spielt! Glückliches Dorf," sagte der Major, und etwas wie
eine entfernte Aehnlichkeit mit einem fröhlichen Lachen erklang
aus seinem Munde. — Der Bauer, um seinem Gaste zu
gefallen, lachte pflichtschuldigst mit, zwang sich aber dabei
ebenso zu lachen als sein Gast. — „Marsch! Gehen wir in
mein Zimmer," sagte der Major, „und das sag' ich Euch,
ich schlafe gern lang, und will nichts als Ruhe. Gebt daher
Acht, daß Eure Leute und Euer Vieh des Morgens keinen
Lärm machen!" Hasenfratz gab die beruhigendsten Versiche-
rungen und einige Minuten darauf sah man im Zimmer
des Majors die Jalousieen schließen, hinter diesen dichte
grüne Vorhänge hcrablassen; die Stallthüre und die Bodcn-
thüre wurden verriegelt, tiefe Stille senkte sich auf das
Dörfchen herab, dessen andere Bewohner fast schon alle
schliefen, und bald vernahm man nichts mehr, als das Rau-
schen der Bäume vom Winde bewegt.

Es mochte ungefähr 3 Uhr Morgens sein, der Sonnen-
gott schirrte grade seine Pferde an, die seinen Wagen den ganzen
Tag zu ziehen bestimmt waren oder, um ohne Bild zu sprechen,
der Tag fing gerade an um die Herrschaft mit der Nacht zu
kämpfen, und ein blaßrother Streifen erschien am äußersten
Saume des Horizontes. — Da kam ein Mann in einen
weiten Mantel gehüllt, in Begleitung eines Hundes von dem
äußersten Ende des Dorfes herauf, und blieb bei dem Hause,
worin der Major wohnte, stehen. Mit einem Hcrrschcrblick
betrachtete er die lange Zeile hinter sich, dann sah er auf
zum Himmel, der sich immer niehr und mehr erhellte, und

sein breites Gesicht erstrahlte von innerer Zufriedenheit, von
stolzem Sclbstbcwußtsein erfüllter Pflicht! Aus seinem Man-
tel hervor zog er alsdann mit feierlichem Ernst — zwei
Waffen, Mordinstrumente eigener Art, in den Arsenalen
zwar wenig bekannt, aber für die Ruhe des Majors tödt-
lichcr als die neuesten gezogenen Kanonen! Der Unglückliche!
Das eine Werkzeug läßt er mit starkem schlaggewohnten
Arm die Luft durchsausen, und wie nach Noten, als
ob er cö dem Sänger Wachtel als Postillon abgelauscht
hätte, knallt die Peitsche taktmäßig durch die Luft, und
noch vibrirt dieselbe davon, und schon hat der Künstler
das eine Werkzeug, die Peitsche, an die Mauer gelehnt
und das andere, ein Horn, an seinen Mund gesetzt.
— O, heilige Kunst, wie groß und erhaben bist du!
Welche Töne weiß der bescheidene Künstler aus seinem In-
strumente zu locken! Die Fenster erzittern, die Häuser er-
beben in ihren Grundfesten, und wie magnetisch angezogcn
von dieser Sirenenmusik, kommen Kühe und Schweine aus
allen Häusern des Dorfes hcrausgelaufen und grunzen und
brüllen ihm freundlich zu, und schaaren sich freudig um ihn,
denn sic kennen ihn gar gut und genau, ihren Vater und
Hüter, der sie alle Tage um diese Zeit unter seine Obhut
nimmt und hinausführt auf die grüne Weide in des Waldes
Schatten, wo sie Speise und Trank im Grünen genießen;
sie kennen ihn und reiben sich alle vor Freude an ihm —
dem Viehhalter des Dorfes! — Der Viehhalter! das also
war der Mann, der vor des Majors Fenster stand und mit
der Peitsche knallte und mit dem Horn blies, und somit mit
einem Knall- und einem Blasinstrumente dem armen Major
ein nie gehofftes, neu geartetes Morgenconcert darbrachte!
Da fielen plötzlich die grünen Vorhänge, die Jalousieen
wurden heftig aufgcstoßcn und am Fenster erschienen die
blitzenden Augen und das hagere, bleiche, vor Wuth ent-
stellte Gesicht des Majors. „Wirst Du schweigen," rief er
mit einer vor Zorn undeutlichen Stimme! Der Viehtreiber
drehte sich erstaunt um, ohne aber zu erschrecken, und ohne
das Horn von seinem Munde zu entfernen. Dieses kam da-
durch ganz nahe an. des Majors rechtes Ohr und ergoß in
dasselbe einen solchen Strom von Musik, daß der Major
entsetzt zurückfuhr, rasch seinen Stock ergriff, und damit dem
Vichhalter das Horn aus dem Mund schlug! Der Letztere,
etwas verblüfft über die Dicke und Größe des Taktirstockes
und über die sonderbare Art des Taktircns selbst, zog mecha-
nisch seine Mütze ab und wortlos schauten der Offensive
und der Defensive einander an. Der Waffenstillstand war
also beiderseitig stillschweigend acccptirt und der diploma-
tische Notenwechsel begann. — „Wer bist Du," fragte der
Major. — „Der Vichhalter," war die Antwort. — „Was
machst Du denn so früh einen solchen Höllenspektakel?" —
„Das ist ja kein Spektakel, gnädiger Herr," sagte der
Halter. „Ich ruf' ja blos das Vieh zusammen." — „Und
auf eine andere ruhigere Art kannst Du das nicht thun?"
fragte wieder der Major. — Der Viehtreibcr sah den Ma-
joren erstaunt und geringschätzend an. Fast fühlte er Mit-
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