Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
66

Krischan Wehncke's Erlebnisse im nördlichen Eismeer.

„Na, Alte, was fangen wir nun?" rief ich, ganz ver-
gessend, daß das Ungeheuer zu meinen Füßen mich nicht ver-
stehen konnte.

Die Bärin antwortete mit einem verdrießlichen Brummen,
j ein Beweis, daß sie die Ohrfeige noch nicht vergessen hatte.

! Sie machte es gerade so, wie meine Frau jetzt: habe ich ein-
! mal Lust mit ihr zu plaudern, dann ist sie müde und fängt
; an zu brummen; ist sie dagegen aufgelegt, ein vertrauliches
I Wort mit mir zu sprechen, dann fügt es das Unglück immer
j so, daß ich müde bin. Das ist ihr natürlich dann nicht
recht, und sie fängt wieder an zu brummen.

Aber, mein Junge, unter uns gesagt! ich will doch
lieber mit einer Frau als mit einer Bärin in einem so engen
Raum eingeschlossen sein; aber daß keiner dies zu meiner
Frau sage, sie würde sonst eitel werden, und das fehlte noch!

Wie ich also rathlos dastand, glaubte ich ein Schwan-
ken des Eisberges wahrzunehmen, und es ist keine Täuschung
der Sinne — der Eisberg ist im Treiben begriffen! — Einen
Augenblick war ich von Angst und Entsetzen so übermannt,
daß ich ganz betäubt dastand.

Allmählig faßte ich mich jedoch, und mein alter Gleich-
muth kehrte zurück. Ich hatte dem Tod so oft in die Augen
geschaut, daß ich ihn nicht mehr fürchtete. An eine Rettung
war nicht mehr zu denken, mein Untergang war gewiß; aber
! zuvor mußte es noch zu einem grausen Kampf kommen zwi-
! scheu mir und der Bärin. Der Hunger mit allen seinen
Qualen mußte endlich das Band zerreißen, welches uns jetzt
scheinbar verknüpfte, und ich durfte mir nicht schmeicheln, daß
ich als Sieger aus dem Streite hcrvorgehen werde.

Als ich dieses wohl überlegt Halle, war ich vollkommen
resignirt!

Nachdem ich einmal mit dem Leben abgeschlossen hatte,
kehrte sogar meine alte Heiterkeit wieder zurück.

Wir trieben langsam vor dem Winde zwischen Eis-
schollen dahin, und bald erblickte ich unsere Brigg, auf wel-
cher die Mannschaft beschäftigt war, alles zur Abfahrt klar
zumachen. Auf dem Bugspriet standen Capitän Paulsen und
Peter Baars und blickten besorgt nach der Richtung hinaus,
in welcher ich mich entfernt hatte.

Ich zog die Kopfhaut des Bären, soweit ich konnte,
zurück, um von ihnen erkannt zu werden, indem ich vorbei-
segelte; alsdann wußte Paulsen wenigstens, woran er war,
und brauchte meinswegens nicht länger zu warten; und ich
hatte doch die Aussicht, einen ehrenvollen, vielleicht gar einen
poetischen Nachruf in den Zeitungen zu erhalten. Es klingt
jedenfalls verdächtig, wenn es heißt: „Spurlos verschwunden
in der Nähe des Nordpols." Da meint die böse Welt gleich,
daß man aus Lust zum Vagabundiren oder aus Liebe zu
einer schmutzigen Eskimostau von dem Schiffe desertirt ist.

Endlich wurde ich bemerkt. Die Aufregung unter der
Mannschaft zu schildern, als diese das Schreckliche erfuhr,
wäre unmöglich, ich war der Liebling Aller gewesen. Einige
sprangen in's Takelwerk und schwenkten mit dem Hut; andere
hielten die Hand vor die Augen, um die hervorquellenden

Thränen sogleich wegzuwischen, damit sie nicht zu Eis
würden.

^Capitän Paulsen rief mir durch das Sprachrohr zu:
„Adje, Krischan!" und ich sah wie Peter BaarS es auch
versuchte; aber seine Falsettstimme war zu schwach, um durch
das Eis bis zu mir zu dringen.

Ich wußte ihre Abschiedsgrüße nicht anders zu erwidern,
als indem ich ihnen Kußhändchen zuwarf. Diese mußten,
von Bärentatzen ausgeführt, sehr komisch ausseheu, und ich
konnte es eigentlich Keinem verdenken, wenn er lachte; aber
es ärgerte mich doch gewaltig, als ich sah, daß der naseweise
Bengel, der Cajütenjunge, meine Bewegungen, die meins-
wegens nicht graziös sein mochten, nachäffte.

„Junge, Junge, was würde das für Ohrfeigen gesetzt
haben, wenn ich wieder einen Augenblick an Bord hätte
sein können!"

Ich war fest überzeugt — und Paulsen bestätigte es
mir später — daß der infame Bengel ein Gedicht in elenden
Knüppelversen auf ineinen Tod machen würde.

„Na, der Krischan ist geliefert!" hatte Paulsen gesagt,
-als ich ihren Blicken endlich entschwunden war.

„Ja, der ist futsch!" hatte Peter Baars weinend hin-
zugefügt, indem er einen neuen Priem in den Mund schob.

„So laßt uns ihn denn nach altem Seemannsbrauch
bestatten," hatte Paulsen traurig gesagt, und darauf war
commandirt worden: „Alle Mann auf Deck zur Todtcnfeier!"

Da war denn jeder mit seinem Trinkbecher gekommen,
und der Koch hatte ein kleines Faß Rum gebracht, und als
alle mit Getränk versehen waren, hatte Capitän Paulsen sein
Glas erhoben und gerufen: „Unser braver Krischan Wehncke
soll leben!" — und die Matrosen hatten im dumpfen Chor
das alte feierliche Lied angestimmt: „Hoch soll er leben,

dreimal hoch!" — Als alle ihre Becher bis aus die Nagel-
probe geleert hatten, war die Feier zu Ende, und ein Jeder
war wieder an seine Arbeit gegangen, als wenn nichts vor-
gefallen wäre.

Während dessen war der Eisberg, in welchem ich mich
befand, aus der Bucht getrieben und wurde nun von einem
scharfen Nordwind durch den mit Eisschollen bedeckten Ocean
nach Süden gejagt.

Was ich in jenes Augenblickes Oualen ausgestandeu
habe, vermag ich nicht zu sagen; jeder Andere wäre meins-
wegens vor Schreck gestorben.

„Wenn es doch nur erst vorbei wäre!" seufzte ich;
aber eine höhere Hand waltete über mir, der Eisblock, in
welchen ich eingeschlosscn war, entging aller Gefahr und setzte
seinen Weg nach Süden ungehindert fort.

Die Bärin zu meinen Füßen schien ebenfalls ganz
resignirt zu sein. Sie hatte sich in Form eines Knäuels

zusammengerollt und sog an den mächtigen Tatzen. — Sechs
und dreißig Stunden verflossen mir so, ehe der Hunger anfing
in meinen Eingewcidcn zu nagen. Noch einen Tag hielt ich
mich aufrecht, — da war es mit meiner Kraft zu Ende.
Ich warf einen scheuen Seitenblick auf das Ungeheuer zu
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen