Geschichten ci
Sie warf einen zärtlichen Blick auf die Tochter und
fuhr fort: „Höre mich an, Kosak. Wir sind nicht von
niedriger Herkunft und sind früher glücklich und reich ge-
wesen, aber die polnischen Pfaffen haben uns unser Vermögen
geraubt, doch haben wir uns einen einzigen Schatz bewahrt,
der kostbarer ist als Gold und Silber — den heiligen ortho-
doxen Glauben. Er hielt uns aufrecht und wir unterlvarfen
uns ohne Murren dem Willen des Allmächtigen . • . Bitter
war der Kelch meines Lebens, vor wenigen Tagen habe ich
ihn bis zum Grunde geleert: vor meinen Augen wurde mein
Mann, — mein Sohn erschlagen ..."
Schluchzen unterbrach die Leidende, sic sank auf Pen
Boden zurück und weinte. Nach einer Minute raffte sie sich
jedoch mit Gewalt wieder auf und fuhr fort: „Als ich den
Tod herannahen fühlte, habe ich um Eines zu Gott gebetet,
und Er, der Barmherzige, hat mein Flehen erhört: Du
wirst die Waise nicht verlassen und Gottes mächtige Hand
wird Dich kräftigen und belohnen!"
„Ja, Mütterchen," rief mein Ahnherr gerührt, „ich
werde Deiner Tochter ein wahrer Bruder sein!"
„Werde ihr Mann," eutgegnete die Sterbende, „dann
bist Du ihr Alles, Barer, Mutter und Bruder zugleich!"
„Der Wille des Himmels geschehe!" sagte mein Vor-
fahr'und sank mit Marnssa — so hieß das Mädchen —
zu den Füßen der Mutter nieder. ^Sie wollte die Kinder
mit ihrem Brustkreuze segnen, aber sie fand es nicht, wahr-
scheinlich hatte sie es auf der Flucht verloren.
„Womit" — rief sic schmerzlich — „soll ich Euch
segnen? Was Euch als Andenken znrücklassen?" — Da
raffte sie eine neben ihr liegende Eichel von der Erde auf
und sagte mit begeisterter Stimme: „Der Segen Gottes
komme über Euch, meine Kinder! . . . Hier, nehmet diese
Eichel, legt sie in die Erde — es wird eine hohe, mächtige
nsderUkräne. 179
Eiche aus ihr hcrvorwachsen — und so lange als der Baum
in der Erde stehen wird, so lange seine Wurzeln im Boden
nicht verfaulen werden, so lange werdet Ihr und Euer Ge-
schlecht blühen und gedeihen, glücklich und geehrt sein und
ein hohes Alter erreichen!"
Die Alte sprach dies mit verklärtem Gesichte und über-
irdischer Kraft. Noch einmal erhob sich dann das brechende
Auge zum Himmel, flüsterte: „Seht ... die Engel
Lebt wohl!" . . . sank in die Arme der Tochter und hauchte
sanft ihre Seele ans.
Während Marnssa den tobten Körper ihrer Mutter mit
Thränen benetzte, grub mein Ahn mit seinem Kinschak*)
ein Grab für die Leiche; dann beteten sic vor der Märtyrin,
begruben sie und streuten auf den Grabhügel eine Schichte
Eicheln.
In dem Walde stand eine kleine Hütte, deren Bewohnerin
eine arme Kosakenwittwe, meinem Ahnherrn bekannt war.
Dahin führte er Marnssa und übergab sie der Obhut der
Frau. Nack einigen Tagen kam er in Begleitung eines
Popen tvieder, um der Verstorbenen ein christliches Begräbniß
zu Theil werden zu lassen.
Marnssa empfing ihn mit lebhafter Freude, und als sie
mit ihren klaren blauen Augen ans ihn sah, ihm ihre kleinen
weißen Hände entgegcnstreckte und ihn mit ihrer engelhaften
Stimme begrüßte, da war es meinem Ahn, als ob ein neues
Leben in ihm erwachte und entbrannte sein Herz in treuer
und keuscher Liebe für sie.
Sie begaben sich an das Grab der Mutter und waren
sehr erstaunt, als sie an einem Aste der Eiche, unter tvelcher
jene gestorben war, ein kleines Muttergottesbild hängen sahen,
das ans ein ziemlich starkes Brettchen von Cypressenholz
gemalt war. — Ich werde Ihnen das Bild nachher zeigen.
— Nachdem eine Todtenmesse gehalten war und sic vor
dem bezeichneten Mnltergottesbilde gebetet hatten, nahm
Marnssa dasselbe vom Baume herab und hing es meinem
Ahn um den Hals. „Dies —• sagte sie — schickt dir
meine Mutter als Talisman. Möge die Allerreinste Dich
vor jeder Noth und Gefahr bewahren!" — Als er dann
von Marnssa für lange Zeit Abschied nahm, gab ihr mein
Vorfahr ein ledernen Beutel voll Dukaten, welche er von
, den Polen erbeutet hatte.
Der Krieg währte noch vier Jahre, und während dieser
Zeit beschützte Gott sichtlich meinen Ahn. Zweimal rettete
das Bild ihn vom Tode; einmal, als ein Soldat mit der
Lanze nach ihm stieß, wobei das Bild den Stich auffing,
■ das andere Mal drang eine für seine Brust bestimmte Kugel
in das Brett. — Das werden natürlich Viele für einen
bloßen Zufall erklären, denn cs ist jetzt Mode, Nichts mehr
zu glauben. —
*) Ein großes Dolchmcsser.
iSchluß folgt.)
23*
Sie warf einen zärtlichen Blick auf die Tochter und
fuhr fort: „Höre mich an, Kosak. Wir sind nicht von
niedriger Herkunft und sind früher glücklich und reich ge-
wesen, aber die polnischen Pfaffen haben uns unser Vermögen
geraubt, doch haben wir uns einen einzigen Schatz bewahrt,
der kostbarer ist als Gold und Silber — den heiligen ortho-
doxen Glauben. Er hielt uns aufrecht und wir unterlvarfen
uns ohne Murren dem Willen des Allmächtigen . • . Bitter
war der Kelch meines Lebens, vor wenigen Tagen habe ich
ihn bis zum Grunde geleert: vor meinen Augen wurde mein
Mann, — mein Sohn erschlagen ..."
Schluchzen unterbrach die Leidende, sic sank auf Pen
Boden zurück und weinte. Nach einer Minute raffte sie sich
jedoch mit Gewalt wieder auf und fuhr fort: „Als ich den
Tod herannahen fühlte, habe ich um Eines zu Gott gebetet,
und Er, der Barmherzige, hat mein Flehen erhört: Du
wirst die Waise nicht verlassen und Gottes mächtige Hand
wird Dich kräftigen und belohnen!"
„Ja, Mütterchen," rief mein Ahnherr gerührt, „ich
werde Deiner Tochter ein wahrer Bruder sein!"
„Werde ihr Mann," eutgegnete die Sterbende, „dann
bist Du ihr Alles, Barer, Mutter und Bruder zugleich!"
„Der Wille des Himmels geschehe!" sagte mein Vor-
fahr'und sank mit Marnssa — so hieß das Mädchen —
zu den Füßen der Mutter nieder. ^Sie wollte die Kinder
mit ihrem Brustkreuze segnen, aber sie fand es nicht, wahr-
scheinlich hatte sie es auf der Flucht verloren.
„Womit" — rief sic schmerzlich — „soll ich Euch
segnen? Was Euch als Andenken znrücklassen?" — Da
raffte sie eine neben ihr liegende Eichel von der Erde auf
und sagte mit begeisterter Stimme: „Der Segen Gottes
komme über Euch, meine Kinder! . . . Hier, nehmet diese
Eichel, legt sie in die Erde — es wird eine hohe, mächtige
nsderUkräne. 179
Eiche aus ihr hcrvorwachsen — und so lange als der Baum
in der Erde stehen wird, so lange seine Wurzeln im Boden
nicht verfaulen werden, so lange werdet Ihr und Euer Ge-
schlecht blühen und gedeihen, glücklich und geehrt sein und
ein hohes Alter erreichen!"
Die Alte sprach dies mit verklärtem Gesichte und über-
irdischer Kraft. Noch einmal erhob sich dann das brechende
Auge zum Himmel, flüsterte: „Seht ... die Engel
Lebt wohl!" . . . sank in die Arme der Tochter und hauchte
sanft ihre Seele ans.
Während Marnssa den tobten Körper ihrer Mutter mit
Thränen benetzte, grub mein Ahn mit seinem Kinschak*)
ein Grab für die Leiche; dann beteten sic vor der Märtyrin,
begruben sie und streuten auf den Grabhügel eine Schichte
Eicheln.
In dem Walde stand eine kleine Hütte, deren Bewohnerin
eine arme Kosakenwittwe, meinem Ahnherrn bekannt war.
Dahin führte er Marnssa und übergab sie der Obhut der
Frau. Nack einigen Tagen kam er in Begleitung eines
Popen tvieder, um der Verstorbenen ein christliches Begräbniß
zu Theil werden zu lassen.
Marnssa empfing ihn mit lebhafter Freude, und als sie
mit ihren klaren blauen Augen ans ihn sah, ihm ihre kleinen
weißen Hände entgegcnstreckte und ihn mit ihrer engelhaften
Stimme begrüßte, da war es meinem Ahn, als ob ein neues
Leben in ihm erwachte und entbrannte sein Herz in treuer
und keuscher Liebe für sie.
Sie begaben sich an das Grab der Mutter und waren
sehr erstaunt, als sie an einem Aste der Eiche, unter tvelcher
jene gestorben war, ein kleines Muttergottesbild hängen sahen,
das ans ein ziemlich starkes Brettchen von Cypressenholz
gemalt war. — Ich werde Ihnen das Bild nachher zeigen.
— Nachdem eine Todtenmesse gehalten war und sic vor
dem bezeichneten Mnltergottesbilde gebetet hatten, nahm
Marnssa dasselbe vom Baume herab und hing es meinem
Ahn um den Hals. „Dies —• sagte sie — schickt dir
meine Mutter als Talisman. Möge die Allerreinste Dich
vor jeder Noth und Gefahr bewahren!" — Als er dann
von Marnssa für lange Zeit Abschied nahm, gab ihr mein
Vorfahr ein ledernen Beutel voll Dukaten, welche er von
, den Polen erbeutet hatte.
Der Krieg währte noch vier Jahre, und während dieser
Zeit beschützte Gott sichtlich meinen Ahn. Zweimal rettete
das Bild ihn vom Tode; einmal, als ein Soldat mit der
Lanze nach ihm stieß, wobei das Bild den Stich auffing,
■ das andere Mal drang eine für seine Brust bestimmte Kugel
in das Brett. — Das werden natürlich Viele für einen
bloßen Zufall erklären, denn cs ist jetzt Mode, Nichts mehr
zu glauben. —
*) Ein großes Dolchmcsser.
iSchluß folgt.)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Geschichten aus der Ukräne"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 46.1867, Nr. 1143, S. 179
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg