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Eine Nacht auf der Lausche.

Laune oft wegen einer Kleinigkeit sofort zum Ausbruch ge-
langte, und er sich dann in einer bestialischen Wildheit zeigte.

An einem heißen, wolkenlosen Augusttage des Jahres 1846
saß der Lauschenwirth mürrisch und der ganzen Welt grollend
in seiner Gaststube. Zahlreiche Gewitter und darauf folgende
Regentage hatten in den letzten vierzehn Tagen allen Besuch
von der Lausche fern gehalten und der Wirth, hatte voll
Ingrimm darüber und um die Grillen zu vertreiben, während
dieser Zeit für seine Person eine größere Quantität Wein
und Branntwein vertilgt, als er bei zahlreichem Besuch hätte
verbrauchen können, und dicß Geschäft auch an diesem ersten
schönen Tage fortgesetzt, an welchem, obgleich die Sonne sich
schon stark nach Westen neigte, sich wiederum kein Besuch
blicken ließ, und als jetzt eine Magd hereintrat und aus
Versehen beim Abwischen des Tisches, an welchem Mathes
saß, dessen schon sehr oft auch heute wieder leer gewordenes
Schnapsglas umwarf, machte dessen stiller Ingrimm sich da-
durch Luft, daß er derselben die Schiefertafel an den Kopf
warf, auf welcher er zu wiederholten Malen vergeblich ver-
sucht, zusammenzurechnen, wie viel er selbst als Gast in der
letzten Woche verzehrt hatte, und als die Magd laut auf-
schreiend sich aus der Stube geflüchtet, erhob er sich etwas
beruhigter von seinem Sitze, nahm die Schiefertafel wieder
auf und setzte sein Rechnungswerk fort.

In derselben Zeit befanden sich zwei Touristen von
Waltersdorf ans auf dem Wege nach der Lausche, beide an-
ständig gekleidet und ihre Plaids auf den Schultern tragend.
Der Erste der Reisenden, welcher dem Zweiten ein großes
Stück Weges voraus war, und seinen Gefährten häufig an-
trieb, nicht so langsam nachzuziehcn, war ein kleiner hagerer
Mann von ungefähr 50 Jahren und Doctor der Philosophie,
der Andere einige Jahre jünger und von starker Corpulenz, der
Pächter einer fürstlichen Domainc mit dem Titel als Amtmann,
welcher, wie es oft geschehen, eben wieder stehen geblieben
war und durch den Ausruf: Wundervoll! herrlich! seinen

Gefährten in dem Glauben erhalten wollte, als fehle die
prachtvolle Umgebung seine Schritte, obgleich gerade an dieser
Stelle dichter Wald ihn umgab, der nicht die geringste Ans-
sicht gestattete und dieser Ausruf ihm eben nur als Vorwand
diente, um nicht bemerkbar werden zu lassen, wie schwer ihm
das Bergsteigen wurde, und wie oft er ausruhen mußte, um
wieder weiter steigen zu können.

„Aber, Herr Amtmann! wenn Sie alle zehn Schritte
stehen bleiben, kommen wir vor einbrechender Nacht nicht auf
die Lausche," rief der kleine hagere Herr, auf seinen Gefährten
wartend, welcher tief aufseufzend mit seinem Taschentuche den
ihm von Kopf und Nacken in hellen Tropfen herabperlenden
Schweiß abtrocknete.

„Nur Geduld, Herr Doctor! wir werden schon noch hinauf
kommen, wenn es auch etwas später wird, als Sie es sich
ausgerechnet, und wenn wir überhaupt auf dem richtigen
Wege sind," entgegnete der Dicke, der, so schwer ihm auch
diese Bergpartie wurde, seine gute Laune noch nicht ver-

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loren hatte, und jetzt, die Hand vor den Mund haltend:
„Droschke, Omnibus!" laut schallend in den Wald hinein rief.

„Ja, ja, ich glaube es," lachte der Doctor. „Das käme
Ihnen hier gerade recht, denn sie würden, statt dieser Ihnen
sehr wohlthätigen Anstrengung lieber gleich von Waltersdorf
heraufgefahren sein, wenn dieß möglich gewesen wäre; aber
da wir hier ein Fuhrwerk weder bekommen noch gebrauchen
können, so lassen Sie uns nur rüstiger vorwärts schreiten,
das steilste Stück Weges ist überstanden, und in einer halben
Stunde sind wir auf der Höhe!"

„Immer noch eine halbe Stunde," schrie der Amtmann -
entsetzt. „Doktor, wenn ich mir durch diese Pferdetour den
Tod hole, dann haben Sie mich auf Ihrem Gewissen und
können für meine Familie sorgen. Herr meines Lebens,"
fuhr er raisonnirend fort, „drei Stunden keuche ich nun schon
hinter Ihnen her und als ich vor einer Stunde frug, wie
weit es noch sei, da sagten Sie schon, in 40 Minuten sind
wir oben, und jetzt ist's immer noch eine halbe Stunde, das !
ist ja zum toll werden, und sicher, wie ich mir es gedacht,
haben wir uns verlaufen, und der Himmel mag es wissen, ,
wann wir aus dieser Wildniß herauskommen."

„Darüber können Sie ganz ruhig sein," entgegnete der |
Doktor. „Ich habe mir diesen Weg zu genau beschreiben
lassen, als daß ich irren könnte, und von Waltersdorf aus ;
ist dies eben der kürzeste und beste; daß Ihnen aber das :
Bergsteigen so schwer wird, hätte ich nicht gedacht; Sie soll-
ten alle Wochen solche Partien machen, das würde Ihr !
Asthma schon vertreiben."

„Ich danke schönstens," ächzte der Dicke und folgte dem
fortschreitenden Doktor, der jetzt an einer Stelle anlangte, '
von wo aus sich ein freier Blick auf die nächste Umgebung
bot und nun bemerkte, daß der Himmel sich bedenklich zu
trüben begann und die untergehende Sonne durch eine große
dunkle Wolkenschicht verdeckt wurde, die immer drohender sich
gestaltete und immer höher aufstieg.

„Wenn wir uns nicht sputen, so trifft uns das Ge-
witter, noch ehe wir ein Obdach erreichen," sprach der Doktor,
sich eine Cigarre anzündend. „Da drinnen im Walde hatte
man keine Ahnung, daß der Himmel sich so verändert hat."

„Das fehlte noch," grollte der Amtmann, „ich habe an
meinem Körper keinen trocknen Faden, Vatermörder, Hals-
tuch und Vorhemdchen sind zum Auswinden naß und nun

noch ein Regenguß, da kann man ja den Tod davon tragen."

'„Darum vorwärts," trieb der Doktor und schritt weiter
und da die steilsten Stellen des Weges überstanden und der-
selbe nun weniger anstrengend sich nach der von Holz ent-
blößten Kuppe der Lausche zog, so blieb auch der Amtmann

nicht mehr wie bisher zurück und suchte ebenfalls so schnell j
als möglich an's Ziel der Wanderung zu gelangen.

Aber schneller als die Touristen vorwärts eilten, kam
das Gewitter näher, immer stärker wurde der bisher nur
schwach aus der Ferne vernehmbar gewesene Donner, immer
finsterer der Himmel, und als der erste Blitz die schwarzen
Wolkenmassen durchzuckte, rief der Amtmann ernstlich besorgt:

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