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Concordia.

106

es entgangen sein, daß unsere Stadt im Vergleich mit den
Nachbarstädtcn stiefmütterlich behandelt ist." —

Einige Mitglieder, die ihren Patriotismus durch den
Ausdruck stiefmütterlich beleidigt glaubten, unterbrachen
den Redner durch lebhaftes Murren. Obermann verlor aber
nur einen Augenblick die Fassung und fuhr dann fort: „Meine
Herren, ich wiederhole das Wort stiefmütterlich, und ich
bitte erst zu hören und dann zu murren, wenn Sie durchaus
murren wollen. Meine Herren, wenn ich sage: stiefmütter-
lich, so meine ich stiefmütterlich im Besondern, aber nicht
stiefmütterlich im Allgemeinen; denn im Allgemeinen, meine
Herren, hält unsere Stadt, so klein sie auch an Umfang ist,

! gottlob! den Vergleich mit jeder andern Stadt aus (All-
gemeiner Beifall.) Aber, meine Herren, mit Schmerz muß
jeder unserer Mitbürger, dem das Wohl unserer Stadt am
! Herzen liegt, gesehen haben, daß unsere Nachbarstädte ihren
j großen verstorbenen Bürgern Denkmale setzen von Erz und
j Marmorstein und so eine heilige Pflicht erfüllend gegen die
! Vergangenheit, am besten zeigen, daß dieGegenwart verdient,
von der Zukunft geachtet zu werden. (Lebhafter Beifall.)
Ich frage Sie, meine Herren, hat unsere Stadt keine großen
Männer hervorgebracht? Mit Stolz müssen wir sagen: sie
! hat große Männer hervorgebracht, mit Stolz, aber mit Be-
schämung zugleich; denn unsere großen Männer schlummern
vergessen auf dem Kirchhof und wir haben kein Gedächtuiß
j für die Wohlthaten unserer Verstorbenen. Gegen keinen
unserer verstorbenen Mitbürger haben wir aber eine so große
j Schuld abzutragen wie gegen unfern großen Mitbürger
Ehristian Bär; denn er war es, der die herrliche Pappel-
Allee anlcgte, die wie ein grüner Kranz unsere Stadt um-
gibt, (rauschender Beifall) und wenn wir uns jetzt mit un-
j seren Weibern und Kindern im Schooße dieser herrlichen Allee
! erquicken, so haben wir es unserm unvergeßlichen Bär zu
danken. (Lebhafte Zustimmung.) Meine Herren, ich bin
kein Redner und will auch keine Rede halten; aber ich will


Ihnen nur ein paar Worte in's Ohr rufen und ich hoffe,
daß dieselben einen Widerhall nicht nur in Ihrem Herzen,
sondern auch in dem Herzen der Gesammtbevölkerung unserer
theuern Stadt finden werden. Diese Worte lauten: Ein

Denkmal für unfern Christian Bär!"

Unter rauschendem Beifall setzte sich Karl Obermann nie-
der und wischte sich den Schweiß von der Stirne. Der Stadt-
rath aber beschloß mit ansehnlicher Stimmenmehrheit, in der
nächsten Sitzung den Antrag Obermann's in Betracht zu ziehen.

Zweites Kapitel.

Obermann's Rede hatte eine große Wirkung hervorge-
bracht, daran zweifelte Niemand, am allerwenigsten aber Ober-
mann selbst. Stolz und selbstbewußt wie ein siegreicher Gott
durchschritt er nach der eben erwähnten Sitzung die Straßen,
und zu Hause angelangt, theilte er seiner ganzen Familie
freudestrahlenden Gesichtes das Gcheimniß mit, das sie ihm
vor der Sitzung vergebens zu entreißen gestrebt. Die Frau
Obermann vergaß in der Wonne des Sieges den Mangel
an Vertrauen, den ihr Gatte zu ihrer Verschwiegenheit be-
wiesen und noch an demselben Tage erzählte sie wenigstens
einem Dutzend ihrer Freundinnen den Triumph ihres Gatten,
so daß noch vor Sonnenuntergang in Vogelheim — so heißt
nämlich der Schauplatz dieser Erzählung — kein menschliches
Wesen athmete, dem nicht der Inhalt der Rede Obermann's
bis in die kleinsten Einzelnheiten bekannt gewesen wäre.

Es sollte sich aber bald zeigen, daß Obermann zu früh
triumphirt hatte. Als nämlich sein Antrag in der nächsten
Sitzung zur Verhandlung kam, begehrte das Mitglied Lorenz
Kerze das Wort. Lorenz Kerze war ein dünnes, feines,
glattes Männchen, welches von dein Grnndfatz ansging, daß
jedes Ding seine zwei Seiten habe, und sich nicht gern voni
blinden Enthusiasmus Hinreißen ließ. Kerze hatte auch einen
offenbaren Hang zur Satyre, die ihm den Spitznamen
„Krakeeler" zugezogen hatte. Er erhob sich und sprach:
„Meine Herren, ehe man an's Schöne denkt, sollte man an's
Nützliche denken; bevor man an die Verstorbenen denkt, sollte
man an die Lebenden denken und bevor man die Eitelkeit
befriedigt, sollte man die nothwcndigen Bedürfnisse befriedigen.
(Murren.) Das ist meine bescheidene Ansicht. Nur sieben
Straßen in unserer theuern Vaterstadt sind gepflastert, und
was dieses Pflaster für ein Pflaster ist, empfindet Jeder, der
daraus wandelt, zu seinem größten Schmerze. Außer diesen
sieben auserwählten Straßen gibt es in unserer Stadt nur
Marschland und Sumpfgcgenderr, so daß, wer bei schlechter
Witterung einen Freund besuchen will, oft zu ihnr ivaten muß
und von Glück sagen kann, wenn er nicht auf halbem Wege
stecken bleibt. Von den zehn Laternen, die sich einbilden,
unsere Stadt zu beleuchten, haben fünf den grauen Staar
und schon um neun Uhr geht ihnen sämmtlich das Lebenslicht
ans. Es kann nun unserm verstorbenen Schöpfer der Pappel-
Allee ganz gleichgültig sein, ob man ihm ein Monument
setzt oder nicht; es kann uns Lebenden aber durchaus nicht
gleichgültig sein, ob wir Abends in cgyptischcr Finsierniß Hals
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Concordia"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Gemeinderatssitzung
Mangel
Ehrung
Denkmal
Hörer
Redner
Klage
Karikatur
Menschenmenge <Motiv>
Sitzungssaal
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 52.1870, Nr. 1290, S. 106

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