146
Eine unfreiwillige Fahrt.
„Nicht immer — aber — ich weiß es nicht. Ich weiß
nur, daß meine Mutter sich nach solchen Anfällen meistens
sehr rasch erholt und daß es alsdann in den meisten Fällen
dennoch beim Alten bleibt, mein Vater beugt den Kopf nicht
gerne. Diesmal scheint es jedoch beängstigend zu sein, mein
Vater würde nicht ohne triftige Gründe meine Heimkehr ver-
langt haben."
Nach diesen sehr offenherzigen Mittheilungen glaubte ich
mich über die befürchtete Störung beruhigen zu dürfen.
Wir unterhielten uns sehr lebhaft und angenehm über
verschiedene Thema's, das Bild Antoniens trat mehr und mehr
in den Hintergrund, es mußte dem Bilde Klara's weichen.
Daran war Antonie natürlich selbst Schuld, ich konnte ihr
Benehmen auf dem Balle nicht vergessen, und die Vermuthung,
daß sie das Betragen ihres Vetters gebilligt hatte, lag zu
nahe, als daß ich sie zurückweisen konnte.
Ich wurde mit der jungen Dame mehr und mehr ver-
traut, ihre Natürlichkeit, ihre herzliche Theilnahme und ihr
weiches, empfängliches Gemüth ermöglichten und begünstigten
eine vertrauliche Annäherung. Nach einer zweistündigen Fahrt
hielt der Wagen vor einem Hause, welches durch die Eleganz
seiner äußeren Erscheinung und durch die herrliche Lage in-
mitten blühender Gärten einen sehr wohlthuenden, ich möchte
sagen, imponirenden Eindruck machte.
Wir stiegen aus, und schon in der nächsten Minute
sah ich mich einem kleinen, wohlbeleibten Herrn gegenüber,
den Klara mir als ihren Vater vorstellte.
Daß dieser Herr mit sehr deutlichen Zeichen der Ueber-
raschung mich anblickte, begriff ich sehr wohl, ich hatte es
erwartet.
„Ich habe den jungen Herrn entführt," sagte Klara
lächelnd, „aber davon später — wie geht's meiner Mutter?"
„Besser, liebes Kind, bedeutend besser," erwiderte der
Gutsbesitzer, ohne den Blick von mir zu wenden, „sie wird
sich rasch wieder erholt haben."
Ein schmollender Zug glitt über die Lippen Klara's.
„Ich hatte mich sehr geängstigt," sagte sie in einem
Tone, m welchem sich ein leiser Vorwurf barg.
„Ach was," fuhr Rennborn fort, „ich konnte Dich nicht
mehr entbehren, weißt Du — Deine Mutter — na, es han-
delte sich wieder um einen Pferdebraten, sie will nicht ein-
sehen, daß das Pferdefleisch ebenso vorzüglich sein kann, wie
jedes andere Fleisch. — Haben Sie schon welches gegessen?"
wandte er sich zu mir.
„Nein," erwiderte ich, über diesen sonderbaren Empfang
verwirrt.
„Na, dann werden Sie auch an dem alten Vorurtheil
kleben."
„Durchaus nicht," sagte ich ruhig
„See mögen Pferdefleisch?"
„Ich wüßte nicht, welcher Grund mich abhalten könnte,
es zu essen."
Der Gutsbesitzer reichte mir mit freudeleuchtcndem Blick
die Hand.
„Wenigstens Ein Vernünftiger unter so vielen Unver- j
nünftigen," sagte er, „seien Sie mir willkommen, Sie sollen
heute Mittag einen famosen Sauerbraten haben!"
„Und mich hast Du wohl hierher beschieden, ihn anzu-
richten?" fragte Klara schmollend.
„Natürlich," erwiderte der kleine Herr vergnügt. „Deine
Mutter wollte es nicht und den Mägden kann ich's doch nicht
überlasten."
„Aber das hättest Du mir schreiben sollen!"
„Dann wärest Du nicht gekommen."
„Gewiß Vater."
„Vielleicht erst heute Nachmittag."
„Aber mußte es denn heute Mittag sein?
„Freilich, freilich, ich habe Gäste geladen. Unter An- 1
deren auch den jungen Herrn Feldhaus, den Sohn des
Commerzienraths. Na, wer weiß, der Pferdebraten kann
noch ein Brautpaar —"
„Vater!" fiel Klara zürnend ihm in's Wort.
Der alte Herr zuckte gleichgültig die Achseln; mir aber
halten seine Worte einen schmerzlichen Stich in's Herz gegeben.
Weßhalb — darüber war ich in jenem Augenblick nicht
klar, aber ich fühlte den Schinerz.
Klara bat mich, in's Haus zu treten, sie führte mich in ,
ein elegant eingerichtetes Zimmer und forderte mich auf, es
mir bequem zu machen.
Ich blieb allein; der Gutsbesitzer war seiner Tochter ge-
folgt, um über mich Aufklärungen von ihr zu fordern.
Ich fand hinreichend Zeit und Muse, über die Sachlage,
die manche komische, manche angenehme und auch manche '
ernste Seite für mich hatte, nachzudenken, denn'die Unter-
redung der Beiden währte eine geraume Weile.
Endlich trat der Gutsbesitzer wieder ein.
Ergab mir lächelnd die Hand und in seinem gutmüthigen
Gesicht las ich nur Freundlichkeit und Wohlwollen.
„Meine Tochter hat Sie entführt und dadurch ein Duell
verhütet, dem eine Lappalie zu Grunde lag," sagte er. „Das
ist der klügste Streich, den sie bisher gemacht hat, mein Herr,
abgesehen davon, daß mir durch denselben das Vergnügen be-
reitet wird, einen Herrn unter meinem Dache zu sehen, den
ich hoch achte."
„Weil er Pferdefleisch nicht verschmäht?" fragte ich lachend. ;
„Lachen Sie nicht," fuhr er fort, „die Sache hat eine
tiefernste Bedeutung. Ich bin Mitglied eines Thierschutzver-
ein3 und habe es mir zur Aufgabe gemacht, niich dieser Sache
mit regem Eifer zu widmen. Aus dem Einen entspringt
das Andere, ich versichere Sie, die Zeit wird kommen, in
der ein Jeder die kulturgeschichtliche Bedeutung des Pferde-
fleisches erkennen wird. — Aber darüber können wir später >
noch plaudern, Sie werden heute nalülich mein Gast sein."
„Ich weiß nicht, ob ich diese freundliche Einladung an-
nehmen darf, erwiderte ich, „mein Vater wird sich sehr be-
unruhigen." —
„Durchaus unnöthig," fiel er mir in's Wort, „Ich habe
1 bereits einen Knecht beauftragt, in die Stadt zu reiten und
Eine unfreiwillige Fahrt.
„Nicht immer — aber — ich weiß es nicht. Ich weiß
nur, daß meine Mutter sich nach solchen Anfällen meistens
sehr rasch erholt und daß es alsdann in den meisten Fällen
dennoch beim Alten bleibt, mein Vater beugt den Kopf nicht
gerne. Diesmal scheint es jedoch beängstigend zu sein, mein
Vater würde nicht ohne triftige Gründe meine Heimkehr ver-
langt haben."
Nach diesen sehr offenherzigen Mittheilungen glaubte ich
mich über die befürchtete Störung beruhigen zu dürfen.
Wir unterhielten uns sehr lebhaft und angenehm über
verschiedene Thema's, das Bild Antoniens trat mehr und mehr
in den Hintergrund, es mußte dem Bilde Klara's weichen.
Daran war Antonie natürlich selbst Schuld, ich konnte ihr
Benehmen auf dem Balle nicht vergessen, und die Vermuthung,
daß sie das Betragen ihres Vetters gebilligt hatte, lag zu
nahe, als daß ich sie zurückweisen konnte.
Ich wurde mit der jungen Dame mehr und mehr ver-
traut, ihre Natürlichkeit, ihre herzliche Theilnahme und ihr
weiches, empfängliches Gemüth ermöglichten und begünstigten
eine vertrauliche Annäherung. Nach einer zweistündigen Fahrt
hielt der Wagen vor einem Hause, welches durch die Eleganz
seiner äußeren Erscheinung und durch die herrliche Lage in-
mitten blühender Gärten einen sehr wohlthuenden, ich möchte
sagen, imponirenden Eindruck machte.
Wir stiegen aus, und schon in der nächsten Minute
sah ich mich einem kleinen, wohlbeleibten Herrn gegenüber,
den Klara mir als ihren Vater vorstellte.
Daß dieser Herr mit sehr deutlichen Zeichen der Ueber-
raschung mich anblickte, begriff ich sehr wohl, ich hatte es
erwartet.
„Ich habe den jungen Herrn entführt," sagte Klara
lächelnd, „aber davon später — wie geht's meiner Mutter?"
„Besser, liebes Kind, bedeutend besser," erwiderte der
Gutsbesitzer, ohne den Blick von mir zu wenden, „sie wird
sich rasch wieder erholt haben."
Ein schmollender Zug glitt über die Lippen Klara's.
„Ich hatte mich sehr geängstigt," sagte sie in einem
Tone, m welchem sich ein leiser Vorwurf barg.
„Ach was," fuhr Rennborn fort, „ich konnte Dich nicht
mehr entbehren, weißt Du — Deine Mutter — na, es han-
delte sich wieder um einen Pferdebraten, sie will nicht ein-
sehen, daß das Pferdefleisch ebenso vorzüglich sein kann, wie
jedes andere Fleisch. — Haben Sie schon welches gegessen?"
wandte er sich zu mir.
„Nein," erwiderte ich, über diesen sonderbaren Empfang
verwirrt.
„Na, dann werden Sie auch an dem alten Vorurtheil
kleben."
„Durchaus nicht," sagte ich ruhig
„See mögen Pferdefleisch?"
„Ich wüßte nicht, welcher Grund mich abhalten könnte,
es zu essen."
Der Gutsbesitzer reichte mir mit freudeleuchtcndem Blick
die Hand.
„Wenigstens Ein Vernünftiger unter so vielen Unver- j
nünftigen," sagte er, „seien Sie mir willkommen, Sie sollen
heute Mittag einen famosen Sauerbraten haben!"
„Und mich hast Du wohl hierher beschieden, ihn anzu-
richten?" fragte Klara schmollend.
„Natürlich," erwiderte der kleine Herr vergnügt. „Deine
Mutter wollte es nicht und den Mägden kann ich's doch nicht
überlasten."
„Aber das hättest Du mir schreiben sollen!"
„Dann wärest Du nicht gekommen."
„Gewiß Vater."
„Vielleicht erst heute Nachmittag."
„Aber mußte es denn heute Mittag sein?
„Freilich, freilich, ich habe Gäste geladen. Unter An- 1
deren auch den jungen Herrn Feldhaus, den Sohn des
Commerzienraths. Na, wer weiß, der Pferdebraten kann
noch ein Brautpaar —"
„Vater!" fiel Klara zürnend ihm in's Wort.
Der alte Herr zuckte gleichgültig die Achseln; mir aber
halten seine Worte einen schmerzlichen Stich in's Herz gegeben.
Weßhalb — darüber war ich in jenem Augenblick nicht
klar, aber ich fühlte den Schinerz.
Klara bat mich, in's Haus zu treten, sie führte mich in ,
ein elegant eingerichtetes Zimmer und forderte mich auf, es
mir bequem zu machen.
Ich blieb allein; der Gutsbesitzer war seiner Tochter ge-
folgt, um über mich Aufklärungen von ihr zu fordern.
Ich fand hinreichend Zeit und Muse, über die Sachlage,
die manche komische, manche angenehme und auch manche '
ernste Seite für mich hatte, nachzudenken, denn'die Unter-
redung der Beiden währte eine geraume Weile.
Endlich trat der Gutsbesitzer wieder ein.
Ergab mir lächelnd die Hand und in seinem gutmüthigen
Gesicht las ich nur Freundlichkeit und Wohlwollen.
„Meine Tochter hat Sie entführt und dadurch ein Duell
verhütet, dem eine Lappalie zu Grunde lag," sagte er. „Das
ist der klügste Streich, den sie bisher gemacht hat, mein Herr,
abgesehen davon, daß mir durch denselben das Vergnügen be-
reitet wird, einen Herrn unter meinem Dache zu sehen, den
ich hoch achte."
„Weil er Pferdefleisch nicht verschmäht?" fragte ich lachend. ;
„Lachen Sie nicht," fuhr er fort, „die Sache hat eine
tiefernste Bedeutung. Ich bin Mitglied eines Thierschutzver-
ein3 und habe es mir zur Aufgabe gemacht, niich dieser Sache
mit regem Eifer zu widmen. Aus dem Einen entspringt
das Andere, ich versichere Sie, die Zeit wird kommen, in
der ein Jeder die kulturgeschichtliche Bedeutung des Pferde-
fleisches erkennen wird. — Aber darüber können wir später >
noch plaudern, Sie werden heute nalülich mein Gast sein."
„Ich weiß nicht, ob ich diese freundliche Einladung an-
nehmen darf, erwiderte ich, „mein Vater wird sich sehr be-
unruhigen." —
„Durchaus unnöthig," fiel er mir in's Wort, „Ich habe
1 bereits einen Knecht beauftragt, in die Stadt zu reiten und