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Die Verhängnis;
eingestand. „Ich habe ganz andere Pläne mit meiner Paula"
hatte Frau Pfeffer beim Scheiden gesagt.
Der arme Oskar war darauf als Lehrling ins Geschäft
eines Materialwaarenhändlers gekommen, wo er zwar in Rosinen
und Mandeln, der ersten Sehnsucht seiner jungen Träume,
wühlen konnte, aber noch mehr in seinen Liebcsschmerzen wühlte,
die nicht ruhen wollten. Das Materielle seiner Arbeit behagte
ihm nicht, auch verfolgte ihn überall Paula's Bild; es blickte
ihm aus jeder Häringstonne, in die er griff, mit den sanften
braunen Augen entgegen; jeder Zuckerhut erinnerte ihn an ihren
herrlichen Wuchs, und so oft er ein Loth Kaffee abzuwägen
hatte, mußte er an die Ungerechtigkeit denken, mit welcher vom
Schicksal sein Loos ihm zugewogen war. Auch konnte er bei
seiner träumerischen Art nicht umhin öfters in Hexametern zu
reden, was den geschäftlichen Verkehr bedeutend erschweren
wußte. Seine Eltern waren inzwischen gestorben. Unter diesen
Umständen war es ihm nach beendeter Lehrzeit nicht zu ver-
denken, daß er seine Waarenkcnntnisse nicht verwerthete, sondern
ßch entschloß, seinem dichterischen Geiste eine andere Beschäftigung
zukommen zu lassen, und so wurde er Schreiber. Da saß er
denn oben in seiner Dachkammer und schrieb und schrieb, den
Bogen für zwei Groschen; aber den Schmerz von seiner Seele
vermochte er sich nicht loszuschreiben, und zuletzt beherrschte ihn
der einzige Gedanke „an Sie" so ganz, daß er unbewußt in
seine Abschriften den Namen Paula's auf jeder Seite zusammcn-
hangslos in den Text brachte, was seine Kunden billiger Weise
ihm schwer verdachten. Von der Geliebten hatte er nichts mehr
gehört, als daß sie. die Frau eines reichen jüdischen Banquiers
geworden war.
Als es auch mit dem Abschreiben nicht mehr gehen wollte,
erhandelte sich Oskar ein fahrendes Schleifgeschäft, welches seinem
Geiste durch die mannigfache Abwechslung eines ewigen Straßen-
wanderlebens und im Schleifen großer und kleiner Messer,
Papier- und Stickscheeren die nöthige anregende Zerstreuung
brachte.
So sehen wir also unseren armen Oskar als Scheeren-
schleifer in der glänzenden Straße, wo die vielen Häuser mit
ben blanken Spiegelscheiben stehen. Sein schnurrendes Rad und
sein lauter Ruf haben aus der Umgebung schnell eine Menge
von Arbeitgebern herbeigelockt; auch aus dem Hause vor ihm,
über dessen Thür in messingenen Buchstaben zu lesen ist:
Salomons Wittwe und Comp., kommt ein Dienstmädchen und
hringt ihm, in rosa Papier cingewickelt, eine Stickscheere. Er
sultet das Papier auseinander, und, o der schmerzlichen Ueber-
^aschung! . . es ist sein Gedicht, von seiner Hand geschrieben.
Äit Thränen in den Augen las er die schönen unvergeßlichen
Worte:
Dann durch sterbende Wüsten ein wildverlorenes Heulen,
Und zuletzt nur ein Hauch düsterer Melancholie! —
Paula, sage mir, stehst Du mit Geistern etwa im Bunde?
Sprichst die Sprache Du mir, die man im Himmel nur spricht?
Und horch! Zugleich erklangen aus der Lsl-otaxo des Hauses
wohlbekannte Accordc. „Das Gebet einer Jungfrau" stieg
uchig und klar zum Abendhimmel über ihm empor. Da ergriff
L
ollen Distichen.
er in schmerzlichem Entzücken die kleine Stickscheere, drückte sic
an seine Lippen und begann sie an dem großem Schleifstein zu
wetzen. Schauerlich kreischte das Eisen an dem spröden Stein,
der sich im Fluge wirbelnd drehte. Oskar befand sich in der
furchtbarsten Aufregung, — er ahnte, daß sein Schicksal hier sich
entscheiden werde; seine bebenden Lippen murmelten zum Schnurren
des Rades seine Distichen, als wolle er ihre Verse schleife»; er
achtete es nicht, daß er den einen Arm der Scheere bereits ab-
geschliffen hatte, bis an den Griff, daß der Stein unter ihm
sprühte, der Stahl in seiner Hand ivie glühend brannte.
Da plötzlich traf ihn ein heftiger Schlag vor den Kopf, und
er sank blutend aufs Pflaster hin. Er hatte vergessen, den
erhitzten Stein mit Wasser anzufeuchten, — seine Thränen, die
darauf niederrannen, konnten ihn nicht sättigen — er war zer-
sprungen, und ein Stück davon war ihm gegen den Kopf geflogen.
Und nun? Ist der arme Oskar todt? fragen meine
empfindsamen Leserinnen und trocknen sich ihre schönen Augen.
Nein, er lebt noch, er lebt noch!
Als er wieder zu sich kam, lag er nicht mehr auf dem
harten Granitpflaster der Straße, sondern in den weichen Armen
von Salomons Wwe. u. Comp., seiner Paula. Ihr Gatte
befand sich seit einem Jahre in Abrahams Schooß. Sie hatte
ihn nie geliebt und nur zu spät, wie sie dem Geliebten gestand,
Oskars Worte schätzen gelernt. Ihrer Vereinigung stand nun
nichts mehr im Wege.
Binnen vier Wochen waren sie ein Paar. Also doch,
sagen die erfreuten Leser.
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Die Verhängnis;
eingestand. „Ich habe ganz andere Pläne mit meiner Paula"
hatte Frau Pfeffer beim Scheiden gesagt.
Der arme Oskar war darauf als Lehrling ins Geschäft
eines Materialwaarenhändlers gekommen, wo er zwar in Rosinen
und Mandeln, der ersten Sehnsucht seiner jungen Träume,
wühlen konnte, aber noch mehr in seinen Liebcsschmerzen wühlte,
die nicht ruhen wollten. Das Materielle seiner Arbeit behagte
ihm nicht, auch verfolgte ihn überall Paula's Bild; es blickte
ihm aus jeder Häringstonne, in die er griff, mit den sanften
braunen Augen entgegen; jeder Zuckerhut erinnerte ihn an ihren
herrlichen Wuchs, und so oft er ein Loth Kaffee abzuwägen
hatte, mußte er an die Ungerechtigkeit denken, mit welcher vom
Schicksal sein Loos ihm zugewogen war. Auch konnte er bei
seiner träumerischen Art nicht umhin öfters in Hexametern zu
reden, was den geschäftlichen Verkehr bedeutend erschweren
wußte. Seine Eltern waren inzwischen gestorben. Unter diesen
Umständen war es ihm nach beendeter Lehrzeit nicht zu ver-
denken, daß er seine Waarenkcnntnisse nicht verwerthete, sondern
ßch entschloß, seinem dichterischen Geiste eine andere Beschäftigung
zukommen zu lassen, und so wurde er Schreiber. Da saß er
denn oben in seiner Dachkammer und schrieb und schrieb, den
Bogen für zwei Groschen; aber den Schmerz von seiner Seele
vermochte er sich nicht loszuschreiben, und zuletzt beherrschte ihn
der einzige Gedanke „an Sie" so ganz, daß er unbewußt in
seine Abschriften den Namen Paula's auf jeder Seite zusammcn-
hangslos in den Text brachte, was seine Kunden billiger Weise
ihm schwer verdachten. Von der Geliebten hatte er nichts mehr
gehört, als daß sie. die Frau eines reichen jüdischen Banquiers
geworden war.
Als es auch mit dem Abschreiben nicht mehr gehen wollte,
erhandelte sich Oskar ein fahrendes Schleifgeschäft, welches seinem
Geiste durch die mannigfache Abwechslung eines ewigen Straßen-
wanderlebens und im Schleifen großer und kleiner Messer,
Papier- und Stickscheeren die nöthige anregende Zerstreuung
brachte.
So sehen wir also unseren armen Oskar als Scheeren-
schleifer in der glänzenden Straße, wo die vielen Häuser mit
ben blanken Spiegelscheiben stehen. Sein schnurrendes Rad und
sein lauter Ruf haben aus der Umgebung schnell eine Menge
von Arbeitgebern herbeigelockt; auch aus dem Hause vor ihm,
über dessen Thür in messingenen Buchstaben zu lesen ist:
Salomons Wittwe und Comp., kommt ein Dienstmädchen und
hringt ihm, in rosa Papier cingewickelt, eine Stickscheere. Er
sultet das Papier auseinander, und, o der schmerzlichen Ueber-
^aschung! . . es ist sein Gedicht, von seiner Hand geschrieben.
Äit Thränen in den Augen las er die schönen unvergeßlichen
Worte:
Dann durch sterbende Wüsten ein wildverlorenes Heulen,
Und zuletzt nur ein Hauch düsterer Melancholie! —
Paula, sage mir, stehst Du mit Geistern etwa im Bunde?
Sprichst die Sprache Du mir, die man im Himmel nur spricht?
Und horch! Zugleich erklangen aus der Lsl-otaxo des Hauses
wohlbekannte Accordc. „Das Gebet einer Jungfrau" stieg
uchig und klar zum Abendhimmel über ihm empor. Da ergriff
L
ollen Distichen.
er in schmerzlichem Entzücken die kleine Stickscheere, drückte sic
an seine Lippen und begann sie an dem großem Schleifstein zu
wetzen. Schauerlich kreischte das Eisen an dem spröden Stein,
der sich im Fluge wirbelnd drehte. Oskar befand sich in der
furchtbarsten Aufregung, — er ahnte, daß sein Schicksal hier sich
entscheiden werde; seine bebenden Lippen murmelten zum Schnurren
des Rades seine Distichen, als wolle er ihre Verse schleife»; er
achtete es nicht, daß er den einen Arm der Scheere bereits ab-
geschliffen hatte, bis an den Griff, daß der Stein unter ihm
sprühte, der Stahl in seiner Hand ivie glühend brannte.
Da plötzlich traf ihn ein heftiger Schlag vor den Kopf, und
er sank blutend aufs Pflaster hin. Er hatte vergessen, den
erhitzten Stein mit Wasser anzufeuchten, — seine Thränen, die
darauf niederrannen, konnten ihn nicht sättigen — er war zer-
sprungen, und ein Stück davon war ihm gegen den Kopf geflogen.
Und nun? Ist der arme Oskar todt? fragen meine
empfindsamen Leserinnen und trocknen sich ihre schönen Augen.
Nein, er lebt noch, er lebt noch!
Als er wieder zu sich kam, lag er nicht mehr auf dem
harten Granitpflaster der Straße, sondern in den weichen Armen
von Salomons Wwe. u. Comp., seiner Paula. Ihr Gatte
befand sich seit einem Jahre in Abrahams Schooß. Sie hatte
ihn nie geliebt und nur zu spät, wie sie dem Geliebten gestand,
Oskars Worte schätzen gelernt. Ihrer Vereinigung stand nun
nichts mehr im Wege.
Binnen vier Wochen waren sie ein Paar. Also doch,
sagen die erfreuten Leser.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die verhängnißvollen Distichen oder Der Scheerenschleifer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 61.1874, Nr. 1520, S. 75
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg