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Memoiren eines Opferpfennigs.

„Daß ist ja gut," meint ich, „wenn sie schwer find; das ist
ein Zeichen, daß ihrer Viele beisammen find."

„Nicht immer, Herr! Ein einziger Pfennig kann einen schier
zu Boden drücken, wenn er ein recht schweres Gepräge hat."

Bei dem Worte „Gepräge" fuhr mir ein Gedanke durch die
Seele, in Folge dessen ich mein schon aufgefischtes Almosen-
geld wieder in die Tasche zurückgleiten ließ, und neugierig
fragte: „Schweres Gepräge — wie versteht Ihr das Vater?"

„Wenn ein Pfennig gegeben wird mit einem Fluch, mit
einer Verwünschung, mit Hohn und Spott," entgegnete der
Bettler — „ist das nicht ein schweres Gepräg, zu schwer oft
für meine alten Kräfte? Jedes andere Gepräge wird abgefegt,
aber dieses Gepräg in Ewigkeit nicht. Jeder Almosenpfennig,
der mit diesem Gepräg versehen ist, wird am Tag der Rechen-
schastsablegung wie ein falsches Geld ausgeschieden, und die
Zähren, die ein Bettler darauf weint, bleiben ihm wie eine
unverwischbare, anklagende Umschrift eingeätzt. Ach so ein
Pfennig, wenn er von den unwilligen Blicken des Gebers
wie mit brennendem Feuer übergoffen wird, wie ist er so heiß,
wenn man die Hand darnach ausstrecken muß. Ihr wißt es
: nicht, Herr, aber wahr ist's und Gott weiß es, es ist ein be-
schwerliches Geschäft um das Psennigsammeln, besonders für
: einen alten Mann." —

Das ist der Mann, dacht ich mir, der meinen Pfennig
j haben soll. — „Hier Alter, habt ihr einen Pfennig," sprach
ich, „bei mir soll euch das Einsammeln nicht erschwert werden,

I seid zufrieden, und wendet ihn gut an."

Ich erhielt meinen Vergeltsgott, und der Bettler wankte
fort. „Einwickeln hält' ich den Pfennig nicht sollen," warf ich
mir jetzt in Gedanken vor; „wie der alte Mann das Papier
gesehen hat, hat er gewiß, in der Hoffnung was Rechtes zu
finden, das Papier weggewickelt. Und was fand er. einen
durchlöcherten Zweiring. Diese Täuschung hält' ich ihm wohl
ersparen können. Hätt' ihm noch was anders dazu geben kön-
nen. Statt dessen noch die plumpe Ermahnung, den durch-
löcherten Zweiring gut anzuwenden, als ob er darnach aussah,
daß er einer solchen Mahnung bedurft hätte. Schlecht gefischt,
schlecht gefischt, dacht ich mir." Und das war richtig, denn ich
hatte nur Unzuftiedenheit mit mir selber erfischt.

Ihr könnt euch denken, meine Freunde, daß ich von der Zeit
an jeden Pfennig genau betrachtete, der mir durch die Hände
ging. Ich hatte sonst die Opserpfennige immer ungezählt zu
dem ältern Haufen geworfen, von jetzt an aber nahm ich jeden
in die Hand und ihr errathet leicht warum. So oft ich etwas
einkauste beim Krämer oder beim Bäcker, nahm ich abfichtlich
großes Geld, damit mir herausgegeben werden mußte, und wenn
der Bäcker oder Krämer nicht gleich die verlangte Münze fand,
so sprach ich: „Laßt mich schauen," um seinen ganzen Münzen-
vorrath durchsuchen zu können. Da ich wußte, daß die Bettel-
leute gewöhnlich eine ziemliche Anzahl Pfennige bei fich tragen,
so ließ ich mir oft von ihnen wechseln, ja gab ihnen wohl für
ihren ganzen Vorrath an Kupsergeld, Silbermünze. So erhielt
ich zwar einen großen Pfennighausen, aber der rechte war nicht
darunter. Ich erschrack über die Masse des curflrenden Geldes,

es erschien mir dasselbe wie ein Meer, und mein Pfennig wie
ein Tropfen in demselben. — Wie ihn da herausfinden?

Es war so ein Vierteljahr verflossen, ich hatte die Hoffnung
aufgegeben, meinen durchlöcherten Zweiring wiederzusehen, als ich
einmal nach vollendetem Gottesdienste noch eine Zeitlang in
der Kirche verweilte, weil Niemand mehr d'rin war und ich
solche von der Einsamkeit durchathmete Räume über alles liebe.
Ich hatte an der wohlthätigen Ruhe, die von der Nähe Got-
tes in den Kirchen ausgeht, mich gesättiget und wollte gehen.
Da fiel ein einschichtiger Strahl der vorrückenden Morgensonne
durch das hohe Kirchenfenster auf den Altar, so daß ein auf
demselben bisher von mir unbemerkter Gegenstand hell auf-
glänzte: es war einer von den Opfertellern, den die Frau
Schullehrerin frisch gescheuert hatte und der deswegen so hell
glänzte. Da zog, wie ein scharfer Luftzug der unwillige Ge-
danke durch meine Seele und verscheuchte all' das angenehme
Gefühlswesen, der Gedanke: „Diese Nachlässigkeit, einen Opfer-
teller dastehen zu lassen." Und sofort trat ich hin, um den
vergessenen Teller in die Sakristei zu tragen. Aber wer schil-
dert mein Erstaunen, auf dem Teller lag mein sehnsuchtsvoll
gesuchter, durchlöcherter Zweiring. Wie kam er daher? Wer
hat ihn hingelegt? Ich konnte mir diese Fragen nicht beant-
worten und wollte auch nicht länger grübeln! mit dem Durch-
löcherten in der Hand eilte ich heim, und ich weiß heutigen
Tages nicht, ob ich die getadelte Nachlässigkeit des Meßners
gut gemacht habe und den Opferteller nicht selbst auf dem
Altar habe stehen lassen. Als es eilf Uhr schlug in der Nacht,
saß ich auf meinem Schreibstuhl, das Enakimsmännchen auf
der Streusandbüchse und ich lauschte auf seine Erzählungen.
Da ich meinen Pfennig einmal wieder gefunden, so fand ich
ihn immer öfter und leichter; wie manche Mitternachtsstunde
ist mir zu früh gekommen, wenn das Männchen durch den
lästigen Schlag der Uhr in seinen interessantesten Erzählungen
unterbrochen wurde. Die Erzählungen waren verschiedener Na-
tur, je nach der Art, von woher der Durchlöcherte mir zuge-
kommen war. Sie waren frommer milder Art, wenn ich ihn
als Opfergeld erhalten hatte; wenn er mir vom Wirth heraus-
gegeben wurde, war der Gegenstand der Erzählungen ein tumul-
tarischer; Familien- und Bettlergeschichten wechselten mit den-
selben ab, je nachdem der Pfennig bei dem Einen oder bei dem
Andern geweilt hatte, ehe er in meine Hände gelangte." —
Somit, schloß der alte dicke Pfarrer, gegen den Gerichtshalter
gewendet, Hab ich das meinige zur Zweckerfüllung der Gesell-
schaft beigetragen.

„Nichts! Nichts! das gilt nicht," schallte es von allen
Seiten der Versammlung. „Da habt Ihr uns bloß die Schaale
gegeben, und den Kern wollt Ihr uns mit Eurer gewöhnlichen
Bockbeinigkeit vorenthalten. Wir wollen wissen, was der
Pfennigmann Euch vorgeplaudert hat. Nur heraus damit, das
wollen wir wissen. Oder," setzte drohend ein strickender zwan-
zigjähriger weiblicher Vorwitz dazu, „oder Ihr verfallt in die
gesetzliche Strafe der Gesellschaft."

„Und die wäre?" fragte das pfärrliche Alterthum.

„Ja die bockbeinige Vorenthaltung gilt für Hochverrath an
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