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Memoiren eines Opferpfennigs.

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der Gesellschaft, und die Strafe dafür ist furchtbar. Ihr wer-
det des Rechts verlustig, die Gesellschafrskokarde zu ttagen,
macht Euch für ewige Zeiten unfähig, ein Gesellschaftsamt zu
bekleiden, werdet des Pfandspieldirectoriums ohne Anerkennungs-
bezeugung schimpflich entlassen, dürft keine Sylbe mehr kriti-
firen, und die Viertelstunde, die man Euch aus besonderer
Rückstcht auf Euer Alter täglich zu politifiren eingeräumt hat,
wird gestrichen." —

„Die Last einer solchen Strafe ist für mich zu schrecklich,"
unterbrach er den mit drohend aufgehobenen Strickapparat da-
stehenden Richter, unr zog aus der Brusttasche ein kleines,
mit rothem Faden umwundenes Manuscript hervor. „Ich habe
nämlich," fuhr er zum männlichen Theil der Gesellschaft gewen-
det fort, „in jeder Nacht, unmittelbar nach dem Verschwinden
des Männchens seine Mittheilungen zu Papier gebracht, und
wenn ich der Nachsicht der Gesellschaft versichert bin, will ich
sie vorlesen."

Die Nachsicht wurde zugesichert und er begann zu lesen:

1. Der alte und junge Melcher.

Am löten mensis anno Domini zwischen 11 und 12 Uhr
erzählte mir das Pfennigmännchen:

„In seiner Brusttasche trug mich der Bettler fort. Es
kamen noch viele Pfennige zu mir herein, einige sehr unge-
hobelte Bursche, die sich schämten, in der Tasche meines Bett-
lers zu sein; andere, die unanständig schrieen und lärmten, man
habe sie gezwungen, in diese Höhle hereinzugehen, sie feien
nicht da, um schmutzigen Bettlern zu dienen und dergleichen
mehr. Ich lag dem Herzen des Bettlers am nächsten und so
oft dasselbe schmerzhaft zuckte, oder recht ängstlich schlug, durfte
man gewiß sein, daß ein ungebärdiger Pfennig hereinkam. Als
wir bei der Wohnung des Bettlers angekommen waren, drang
uns aus derselben der Lärm mehrerer streitenden Personen ent-
gegen. Es war der Hausherr, bei dem der Bettler wohnte,
welcher mit seinem Weibe in Hader gerathen war. Dem Bett-
ler schien dieß nichts ungewöhnliches, er schüttelte traurig den
Kopf und schlich zur Stallthüre hinein. Im Stall stand eine
magere Kuh, die nach Futter schrie, und ein Geischen, das un-
geduldig herumsprang. Der Bettler steckte demselben eine Hand-
voll Blätter zu und raffte einen Büschel Heu zusammen, dm
er der hungemden Kuh hinwars. Welche Unordnung war in
diesem Stalle! Rechen, Schaufeln und Besen lagen durchein-
ander, die Futterkrippe war leer, dagegen lagen die schönsten
Heubauschen auf dem Dünger, die Kuh streckte vergeblich den
Hals, das geliebte Heu zu erreichm. Der Bettler ging so leise
als möglich durch den Stall, an der fmer- und holzleeren
Küche vorbei und stieg eine Leiter hinan. Er gab sich viele
Mühe, nicht zu laut zu athmen, damit ihn das streitende Ehe-
paar nicht hörte, denn leirer könnt ihm kaum entgangen sein,
daß die Eheftau ihr Kapitel „vom alten Lumpen" angesangen,
welches Kapitel einen für den Bettler sehr unerquicklichen
Inhalt hatte, indem es alle die Schimpfwörter enthielt, womit
die Eheftau ihrem Mann die Last vorzuhalten pflegte, die dem
Hauswesen aus der Ernährung des alten Lumpen, das war

eben der Bettler, der Vater des Hausherm, erwuchs. Das
Stübchen des Bettlers war noch die angenehmste Stelle, die
ich im Hause bemerkt hatte. Klein war es zwar und unter
das Dach hineingebeugt, aber für seine Einrichtung groß genug.
Eine Bettstelle mit einem Strohsack, ein dreieckiges Tischlein
in der Ecke und ein Stuhl war Alles, was auf dem Boden
stand. An den Wänden hing ein Krucifir und waren ein paar
Bilder hingenagelt. Der Bettler setzte fich ganz ermattet auf
seinen Stiehl; da war Niemand, der ihn begrüßte, Niemand,
der ihn ftagte, wie es ihm gegangen; statt dem Knistern eines
suppmversprechenden Feuers, der Lärm der Streitenden. Nach-
dem der Bettler ein wenig ausgeruht hatte, wurden wir sammt
und sonders aus der Tasche gefischt und auf ein Brettchen ge-
legt, das ganz oben an der Wand angebracht. Obgleich für
uns Taschen und Geldbeutel so gut durchsichtig sind, wie für
den Fisch das Wasser, in dem er schwimmt, so war mir das >
Brettchen in der Wand doch sehr angenehm, wegen der ftische-
ren Luft, die dort herrschte, und wegen der freieren Ausficht, die

man von dort aus genoß. Jetzt öffnete sich die hölzerne Thür-
klinke und ein gar schmuckes Mädchen von 16 — 18 Jahren
trat herein. Sie ging auf den Alten zu, schlug ihr Schürzchen
zurück und stellte ein dampfendes Schüffelchen auf den Tisch.
Jetzt blickte der Alte aus, reichte dem Kinde die Hand und
sagte in zärtlichem Tone: „gute Marietta — was bringst du
mir denn? Wahrhaftig, eine ganze Schüssel voll, welch ein
Ueberfluß! Setze dich her zu mir." Das Mädchen folgte der
Einladung, und da der Alte zu reden fortfahren wollte, sprach
sie: „Du hast mich zu deiner Hoftöchin erwählt, und du weißt,
Köchinnen Habens nicht gern, wenn man ihre Sachen nicht gleich
ißt." Der Bettler lächelte und nahm den in einer Spalte der
hölzernen Wand steckenden Löffel, ihrer Aufforderung zu folgen.

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Memoiren eines Opferpfennings"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Muttenthaler, Anton
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Zwerg
Bettler <Motiv>
Stube
Karikatur
Servieren
Junge Frau <Motiv>
Krug <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 9.1848, Nr. 199, S. 51
 
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