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Ohnesorg, Aenne; Schleithoff, Ruth [Hrsg.]; Österreichisches Archäologisches Institut [Mitarb.]
Der Kroisos-Tempel: neue Forschungen zum archaischen Dipteros der Artemis von Ephesos — Forschungen in Ephesos, Band 12,4: Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.47146#0031
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I. Forschungsgeschichte und frühere Rekonstruktionen des
archaischen Dipteros der Artemis von Ephesos

KURZER ÜBERBLICK ÜBER DIE FORSCHUNGSGESCHICHTE UND NEUER ANSATZ
Bereits seit der späten Renaissancezeit wurde immer wieder versucht, den jüngeren Artemis-Tempel von Ephesos, der in den meisten der hellenistischen
Weltwunderlisten aufgeführt ist, nach den Beschreibungen bei verschiedenen antiken Autoren zu rekonstruieren. Diese Versuche ihrerseits wurden von
diversen modernen Wissenschaftlern wie W. Schaber, A. Rügler, A. Bammer und U. Muss zusammengestellt45. Seit die antike Stadt Ephesos in der
Neuzeit identifiziert war, bemühte man sich, den berühmten Artemis-Tempel zu lokalisieren, was aber erst dem Ingenieur J. T. Wood Ende 1869, nach
einigen Jahren Grabungstätigkeit in Zusammenarbeit mit dem Britischen Museum, gelang.
Dieser erste Ausgräber des Heiligtums hatte bereits erkannt, daß der Dipteros mehr als eine Bauphase hatte. Umfangreiche Nachgrabungen der ebenfalls
für das Britische Museum tätigen D. Hogarth und A. E. Henderson in den Jahren 1904/5 halfen, das Bild der »Croesus Structure« oder des Kroisos-
Tempels, wie der ältere Dipteros hinfort genannt wurde, zu klären; es waren jedoch verhältnismäßig wenig Reste, die die Grundlage für die Rekonstruk-
tion der beiden auf gleichem Grundriß errichteten Tempel bildeten. Nochmalige Impulse erhielt die Forschung durch die Grabungen, die das Österreichi-
sche Archäologische Institut unter der Federführung von A. Bammer seit 1965 im Artemision durchführte und die auch für die Dipteroi neue Erkennt-
nisse brachten; sie wurden in zahlreichen Vorberichten veröffentlicht.
Auf dieser Basis - und mit den teilweise widersprüchlichen Informationen der antiken Überlieferung - haben sich bis in jüngste Zeit Wissenschaftler mit
der Wiederherstellung des älteren und jüngeren Artemis-Tempels beschäftigt (s. das Folgende).
Über diesen Forschungsstand war nur durch eine nochmalige Untersuchung aller erhaltenen Reste hinaus zu kommen, die die Basis für einen erneuten
Rekonstruktionsversuch von Grundriß und Aufriß bildet. Diese neuerliche, detaillierte Dokumentation - fast - aller in den letzten Jahrzehnten freigeleg-
ten Bereiche des Fundaments und der Reste des Aufgehenden sowie der schon bekannten und der neugefundenen Bauteilfragmente wurde mit den in den
letzten Jahren noch verfeinerten Methoden der »klassischen Bauforschung«46 vorgenommen. Sie erlaubt nun, eine besser begründete Rekonstruktion des
Grundrisses mit einem Vorschlag zur Verteilung der überlieferten columnae caelatae einschließlich der Reliefkuben vorzulegen (Abb. 23. 24 Taf. 38).
Des weiteren wurden, aufgrund von Überlegungen zu Bauteilfragmenten der Säulenordnung einschließlich der Lage der Deckenbalken (Abb. 25), die
bekannten Aufrißperspektiven von F. Krischen verbessert und eine neue gezeichnet (Taf. 38-40). Darüber hinaus erbrachte die Analyse von Ritzlinien
und von dem Verhältnis von Plattform bzw. Rahmen des Fundaments zum Baukörper des Tempels wichtige Aufschlüsse zum Bauvorgang; beispielsweise
wurde der Dipteros nicht ganz symmetrisch auf dem - vermutlich durchgeschichteten - Fundament angeordnet, und beim Aufreißen der Fluchten von
Wänden und Säulen in der Bossenfläche des Stylobats wurde noch experimentiert; die Bauteile des Aufgehenden wurden im Bossenstadium versetzt,
das stellenweise nicht mehr die letzte Glättung erfuhr.
Es ist zu hoffen, daß dieser Analyse und Rekonstruktion des Kroisos-Tempels auf absehbare Zeit nichts wesentliches mehr hinzuzufügen sein wird,
außer, es wird nochmal eine Grabung durchgeführt.
Im Folgenden wird die Geschichte der Rekonstruktionen des Kroisos-Tempels zusammengefaßt, um zu veranschaulichen, wie darum gerungen wurde,
das Aussehen dieses bedeutenden frühen ionischen Monumentalbaus wiederzugewinnen.
DIE FRÜHEREN REKONSTRUKTIONEN DES ARCHAISCHEN DIPTEROS DER ARTEMIS VON EPHESOS47
J. T. Wood, der Entdecker und erste Ausgräber des Heiligtums der ephesischen Artemis, legte 1873 eine erste, erstaunlich exakte Grundrißrekonstruktion
des jüngeren Tempels mit 8 mal 18 (insgesamt 100) Säulen und tiefem Pronaos vor. In seiner Monographie von 1877 erweitert er diese auf 8 mal 20 (mit
ebenfalls insgesamt 100) Säulen, verkürzt aber den Pronaos zugunsten eines »Vestibüls« und versieht die Rückseite mit einem »Posticum« hinter einem
»Opisthodomos«. Die columnae caelatae sind markiert, je 2 mal 8 an Front und Rückseite, dazu je zwei in Pronaos und »Posticum«, welche zusammen
die von Plinius überlieferten 36 ergeben. Auf beiden Plänen, und auch auf einem dritten von 1884, trug er die SW- und WSW-Säule nicht ein, obwohl er
sie offenbar kannte48. Auch hatte er schon erkannt, daß der Tempel über einem älteren mit demselben Grundriß stand, für den er - verbal - bereits den
offenen Sekos vertritt, für seinen Nachfolger anscheinend nicht. Der Fund eines skulpierten Fragments mit kleinerem Durchmesser an der Ostseite
bewog Wood zu der merkwürdigen Annahme, daß die 2 mal 8 Säulen dort mit je drei Relieftrommeln übereinander versehen waren; an der Westseite,
»wie auf den Münzen gezeigt«, jedoch nur eine Relieftrommel pro Säule.
Die von Wood postulierte Phase zwischen Kroisos- und jüngerem Tempel, die er auf die literarische Überlieferung bezog, ist hinfällig49.

45 Schaber (1982) 13 ff.; Muss (1983) 21ff. = Muss (1994) 5ff. (columnae caelataej,
Bammer (1984) 14 ff.; Bammer - Muss (1996) 4f. 10 ff.; Rügler (1988) 9ff. - W.
Ekschmitt, Die 7 Weltwunder (1984) 70 ff. faßt hauptsächlich die Geschichte des
Heiligtums und der Grabung zusammen.
46 G. Gruben, Klassische Bauforschung. In: A. Borbein - T. Hölscher - P. Zänker
(Hrsg.), Klassische Archäologie (2000) 251 ff. - s. auch o. Erläuterungen: Grund-
lage der Geländevermessung und Folgerungen.

47 Dazu auch ausführlich und mit Abbildungen W. Alzinger, Das Altertum 13, 1967,
20 ff. mit Klapptafel und Schaber (1982) 27ff.; auch W. Alzinger, 12. Suppl. RE
(1970) 1657ff. s.v. Ephesos.
48 J. T. Wood, Londoner Athenäum Nr.2367 vom 8. 3. 1873, 317 (nach Schaber);
Wood (1877) Pläne nach S. 262 ff.; Wood (1883) 165 ff. Taf. 42.
49 s.u. Anm. 181 und Anm. 852.

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