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Ohnesorg, Aenne; Schleithoff, Ruth [Hrsg.]; Österreichisches Archäologisches Institut [Mitarb.]
Der Kroisos-Tempel: neue Forschungen zum archaischen Dipteros der Artemis von Ephesos — Forschungen in Ephesos, Band 12,4: Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.47146#0143
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VI. Ergänzende Beobachtungen und Überlegungen zum Kroisos-Tempel
A. LAGE UND AUSRICHTUNG DES TEMPELS
Auf Plinius geht die Nachricht zurück, daß der Tempel der Artemis - bzw. Diana - »vom Meer umspült« sei und »auf sumpfigem Gelände« errichtet
wurde, »damit er weder von Erdbeben noch von Erdrissen Schaden leide«738. Der ursprüngliche Anlaß für die Entstehung des Kults an diesem Platz in
mykenischer Zeit hatte sicher nicht diesen pragmatischen, sondern einen kultischen Grund. Noch im 6. Jahrhundert lag die schwache Erhebung inner-
halb des Flußdeltas, die die Wahl des Orts vermutlich mitbestimmte, sehr nah an der Meeresküste739. Bei den frühen, kleineren Bauten im Artemision gab
es offenbar keine gravierenden Probleme mit dem weichen Baugrund. Der erste Monumentaltempel des 6. Jahrhunderts bedurfte aber besonderer
Fundamentierung (s.o. Kap. IIA und B). Der jüngere Dipteros wurde gute 200 Jahre später auf fast 2.70 m höherem Niveau errichtet, was wohl weniger
in den Setzungen der Fundamente des ersten Dipteros als im angestiegenen Meeresspiegel und der zunehmenden Verlandung des Flußmündung begrün-
det lag740. Zur Frage der Siedlung oder der Siedlungen, zu denen das Heiligtum gehörte, faßte P. Scherrer den Kenntnisstand von 2001 zusammen741.
Die mehrfach erwähnte, das Temenos im Süden begrenzende Mauer aus nacharchaischer Zeit liegt heute unter der Erde. Sie ist offensichtlich die auf
einem Plan bei Wood eingetragene, die bei Lethaby und Benndorf reproduziert wird742.
Der Tempel ist gegen die Regel, daß die Mehrzahl der griechischen Tempel geostet ist743, nach Westen ausgerichtet, ein Phänomen, das an mehreren
Artemis-Tempeln auftritt, wie die Beispiele von Sardis und Magnesia lehren; der Altar liegt dann konsequenterweise auch im Westen, wobei seine
Ausrichtung an allen drei Orten nicht restlos geklärt ist - war sein Hof nach Westen geöffnet, die >Opferrichtung< am Altar aber Osten wie anscheinend
im ephesischen Heiligtum, oder war die ganze Anlage nach Osten, auf den Tempel zu, ausgerichtet744?

B. FUNDAMENTIERUNG
Wie war ein so großer Bau wie der ephesische Artemis-Tempel, der im Wesentlichen aus einem großen Hof und einem ihn umgebenden Rahmen aus den
Sekoswändern und den beiden Säulenringen samt der Krepis besteht, fundamentiert? Der Hof selbst bedarf keiner Fundamente, nur die in ihm stehenden
kleinen Anlagen. Für den Rahmen gibt es mehrere Möglichkeiten: sein Fundament kann ganz durchgeschichtet oder in Streifenfundamente für die
Sekoswände und die Säulenringe aufgeteilt sein; des weiteren kann ein innerer Fundamentstreifen mit einem Rost für die Peristasis oder sogar mit
Punktfundamenten unter den einzelnen Säulen kombiniert sein745. Da das Fundament nur stellenweise erhalten ist und uns diese Stellen nicht einmal alle
zugänglich waren, konnte die Art der Fundamentierung nicht restlos geklärt werden. Dazu müßte das Fundament zwischen den Säulenreihen und den
inneren Säulen und den Sekoswänden gründlich untersucht werden, was bisher nur ansatzweise geschah. Den besten Einblick hat man an der Südwest-
ecke der Peristasis, wo das Fundament abbricht und es den Anschein hat, als liefen die Schichten durch (s. auch das Folgende)746.

738 Plin. nat. II 87, 201 und XXXVI 21, 95 ff.; abgedruckt z.B. bei R. C. Kukula in:
Benndorf (1906) 241 Nr. 38 und S. 243 Nr. 69; vgl. o. Anm. 705.
739 Neue geologische Untersuchungen bestätigten die Lage zwischen zwei Flüssen oder
Flußarmen: J. K. Kraft-I. Kayan u.a., ÖJh69,2000,175-233. Abb. 1-17; dies, in: U.
Muss (Hrsg.), Der Kosmos der Artemis (2001) 123-132; auch: H. Brückner, Delta
Evolution and Culture - Aspects of Geoarchaeological Research in Miletos and Priene,
in: G. A. Wagner-E. Pemicka-H.-P. Uerpmann (Hrsg.), Troia and the Troad (2003)
135 ff.; weitere Lit. dieser Forscher bei H. Lohmann in: F. Kolb (Hrsg.), Chora und
Polis, Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 54 (2004) 326 Anm. 5. - F. Hueber,
Ephesos. Gebaute Geschichte (1997) 31 Abb. 39; 41 Abb. 48 hatte das schon vor Ver-
öffentlichung dieser Untersuchungen gut getroffen; und die illusionistische Darstellung
auf dem Stahlstich von Percy Williams Justyne bei E. Falkener, Ephesus and the Temple
of Diana (1862) 189 Frontispiz-Illustration gab schon vor Auffindung des Tempels ei-
nen guten Eindruck von der Lage am Wasser, der nur auf den Schriftquellen beruhte.
740 Bammer (1972) 3 ff; ders., ÖJh47, 1964-65 (Hauptblatt) 126-145 (»... eustatische
Schwankungen des Meeresspiegels«); s. auch vorige Anm. mit ähnlichen Untersuchun-
gen auf der milesischen Halbinsel und generell an den Gestaden der Ägäis: J. Schäfer-
W. Simon (Hrsg.), Sonderheft Strandverschiebungen. Ruperto Carola (1981), bes. die
Beiträge von J. Schäfer, P. Knoblauch, P. Marzolff und A. E. Furtwängler. - Die auf
Naxos und Samos beobachteten »Fundamentierungsprobleme« der ersten Monumental-
tempel (G. Gruben in: Bathron. Beiträge zur Architektur und verwandten Künsten für
Heinrich Drerup zu seinem 80. Geburtstag von seinen Schülern und Freunden,
Saarbrückener Studien zur Archäologie undAlten Geschichte 3 [1988] 159-172; H. J.
Kienast in: A. Hoffmann - E.-L. Schwandner u.a. (Hrsg.), Bautechnik der Antike, Kol-
loquium Berlin 1990, DiskAB 5 [ 1991 ] 123-127; ders., AM 113,1998, 111 ff.) schei-
nen beim ersten Dipteros von Ephesos bereits weitgehend bewältigt: die Setzungen des
Stylobats sind nicht gravierend (s.o. Kap. IV D 5).
741 P. Scherrer (Hrsg.), Ephesos. Der neue Führer (2000) 14ff; ders. in: D. Parrish
(Hrsg.), Urbanism in Western Asia Minor (2001) 57 ff. (mit älterer Lit.); ders. - E.
Trinkl, Die Tetragonos Agora von Ephesos. Grabungsergebnisse von archaischer
bis in byzantinische Zeit - Ein Überblick. Befunde klassischer Zeit (Wien 2006) 55
und Plan 3. - M. Büyükkolanci, The Life and Monument of St. John (2001) 88
äußerte sich knapp zu den Siedlungsresten auf dem Ayasoluk-Hügel; unlängst ders.
in: M. §ahin - I. Hakan Mert (Hrsg.), Festschrift für Ramazan Özgan (2005) 65-
69; ausführlicher W. Alzinger in: Das Altertum 13, 1967, 20-44.

742 Wood (1883) Taf. 42 = Lethaby (1908) Abb. 14; Benndorf (1906) 38 Abb. 9.
743 W. Müller-Wiener, Griechisches Bauwesen in der Antike (1988) 139; Gruben (2001) 385.
744 Ohnesorg (2005) 154 ff. 161 ff. 219 ff: der Altar im Artemis-Heiligtum von Magnesia
wurde mit Front im Osten (von Gerkan, M. Theuer, Der Altar des Artemisions zu Mag-
nesia am Mäander [o.J., nach 1929]) oder im Westen (Kohte, Hoepfner, Schmaltz) re-
konstruiert; beim Altar vor dem Artemis-Tempel von Sardis ist aufgrund des Befundes
schwer zu entscheiden, ob er von Westen oder Osten bedient wurde. - Weitere nach
Westen gerichtete Tempel sind das Metroon von Olympia und der Tempel der Diosku-
ren inNaukratis, des weiteren die viel jüngeren Tempel von Ankara und Pessinus, wohl
beide - ursprünglich - der Kybele geweiht: A. Mallwitz, Olympia und seine Bauten
(1972) 158 ff.; W. M. Flinders Petrie, Naucratis I. II (1888) 16 Taf. 1 und E. Akurgal,
Ancient Civilizations and Ruins of Turkey (1970,21983) 277f. 283 ff. sowie ders.,
Griechische und römische Kunst in der Türkei (1987) 126: »... nach Westen orientiert
wie alle in der kleinasiatischen Tradition stehende Tempel...«; andere Artemis-Tempel
sind >normal< orientiert, wie die Mehrzahl der griechischen Tempel. - Die von Bammer
für Ephesos propagierte »Opferrichtung« nach Süden (in: Muss - Bammer [2001]
Abb. 500, nach Veröffentlichungen von 1972), die dann von Muss (1994) 24 als »Kult-
richtung ... Süden« aufgegriffen wurde, entbehrt m.E. der Grundlage; ein gewichtiger
Grund ist, daß die Parallelität des >Hekatompedos< wegfällt, weil auf seinem Funda-
ment ein Altar stand: H. J. Kienast -A. Ohnesorg in: R. Etienne - M.-Th. Le Dinahet
(Hrsg.), L’ espace sacrificiel dans les civilisations mediterraneennes de l’antiquite,
Kolloquium Lyon 1988 (1991) 317, zu Bammer, ebenda 127 ff.; Weißl (2002) 333 ff.
bes. 344 mit Anm. 188; ders., Hephaistos 21/22, 2003/4, 176; ders. in: G. Keiner u.a.
(Hrsg.), Akten des 10. österr. Archäologentages in Graz 2003 (2006) 191 ff.
745 Dinsmoor (1950) 128 spricht von »continuous mass of masonry«; Bammer (1982)
69 von »mehrschariger (= mehrschichtiger) zusammenhängender Fundamentplatte«,
was Buchert (2000) 93 als »zusammmenhängende Platte« zitiert; für den Pflaster-
bereich zwischen den Säulen sind nur zwei Fundamentschichten unter dem Stylobat
gesichert. - Die Taf. 42 in Wood (1883) reproduziert als Abb. 14 von Lethaby (1908)
16 f. und als Abb. 9 von Schaber (1982) 32, vermittelt den Eindruck, daß das Fun-
dament des (jüngeren?) Tempels in der Ringhalle als Rost gebildet ist, mit verstärk-
ten Einzelfundamenten unter den Säulen.
746 Zur weiteren Klärung wäre ein Nord-Süd-Schnitt zwischen WSW- und SW-Säulen-
basis günstig; das (West-)Profil 27 durch den Stylobat (50 m östlich der AOK und
20 bis 23 m nördlich der ASK), s. Grabungsbericht (1988) Abb. 1 a. b oder Bammer

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