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Ohnesorg, Aenne; Schleithoff, Ruth [Hrsg.]; Österreichisches Archäologisches Institut [Mitarb.]
Der Kroisos-Tempel: neue Forschungen zum archaischen Dipteros der Artemis von Ephesos — Forschungen in Ephesos, Band 12,4: Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.47146#0097
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D. Kapitelle

In Selquk befinden sich, neben den im Fundament der NO-Säule verbauten zwei Fragmenten - eines mit Kanalis und eines vom Echinus unter dem
Polster, s.o. Kap. II B 1 (Taf. 8. 50, 3) -, folgende Kapitellfragmente im Depot des Grabungshauses:
- vom Echinus, gegebenenfalls mit Unterlager: Kat. 186, 204, 205, 209, 210 sowie das Sonderstück Kat. 207 (Abb. 14 Taf. 9);
- vom Volutenteil, gegebenenfalls mit Polsteransatz: Kat. 185,190, 191, 195, 197, 199, 202 und 206 (z.T. Taf. 8. 9443);
- vom Polster: Kat. 187-189, 192-194, 196, 198, 200, 201, 203, 208 und weitere kleine Fragmente ohne Kat.-Nr.444;
- schließlich von der Volute eines kleineren und vielleicht auch etwas jüngeren Kapitells ohne Kat.-Nr. (ohne Inv.-Nr. [39.])445.

Daneben gibt es noch eine größere Anzahl sehr kleiner und unbedeutender Fragmente hauptsächlich von äußeren
Volutenrundstäben, die leicht abbrachen. Von den genannten Fragmenten sind folgende besonders bemerkenswert:
Das Echinusunterlager Kat. 186 mit gut erhaltener Flachmeißelarbeit auf dem Ornamentgrund, unter dem
Ansatz zweier Blätter, und auf dem Unterlagen Vom Unterlager ist zu wenig erhalten, um den Durchmesser
zu ermitteln; über die halbe Blattachse läßt sich jedoch die Gesamtzahl von 18 Blättern angeben446. Auf der
Lagerfläche befindet sich eine lehrenartige Vertiefung von ~11 cm x 13 cm x <lcm mit mittelfeiner Zah-
nung447 über feiner Spitzung (Taf. 68, 10); ein weiteres Fragment vom Unterlager, Kat. 204, das wieder feine
Scharrierung auf der Lagerfläche und dem Ansatz des Ornamentgrundes für den Echinus zeigt sowie einen
Teil eines grober ausgespitzten, im Grundriß trapezförmigen Dübel- oder Zapfenlochs in exzentrischer Lage
(Taf. 69, 2), des einzigen, das an Bauteilen des archaischen Tempels nachzuweisen ist; ein anderes Voluten-
Polster-Fragment, Kat. 202, mit einem Rest der vertikalen Fläche unterhalb des Abakus; das stark versinterte
Polsterfragment Kat. 208, das wieder die zungenartig um die Kehlen umgeführten Rundstäbe zeigt (vgl. Taf. 68,
3); das Polsterfragment Kat. 187 mit ebenfalls starker Versinterung, die die ungünstigen Verhältnisse im Erd-
reich zeigt448; das Polsterfragment Kat. 188 mit fast intakter, nur leicht geschwärzter Oberfläche, die wohl vom
herostratischen Brand stammt (s.u. Kap. VI H); ein weiteres kleines Echinusfragment Kat. 210 und ein kleines
Volutenfragment, Kat. 190, das links eventuell den Ansatz einer Zwickelpalmette zeigt; ein ungewöhnliches
Fragment, Kat. 207, das auf der Polsterseite - nach nur einem äußeren Rundstab statt der gewöhnlichen zwei
- Reste von Blättern aufweist, die sich wohl zu einem Blattfries ergänzen lassen. Dieser Fries scheint nach
oben begrenzt zu sein, überzog also das Kapitellpolster nur teilweise, ähnlich wie die wohl frühesten Anthemien
auf Kapitellpolstern am zweiten Dipteros von Samos (Abb. 14 Taf. 9. 69, 3. 4)449.
Aus allen Fragmenten lassen sich Kriterien gewinnen für die theoretische Rekonstruktion eines ionischen
Normalkapitells des Tempels. Henderson kam auf diese Weise zu einer plausiblen Gesamtlänge von 3.08 m;
die Länge des rekonstruierten Kapitells im Britischen Museum beträgt 2.89 m. Für die Höhe zwischen Ober-
lager und Unterlager wurden von Henderson 86,5 cm ermittelt, für die (maximale) Polstertiefe 1.11m. Die
Durchmesser der Echinusunterlager betragen 1.42 m und 1.25 m an den Kapitellen im Museum450; dazu kom-
men noch die von mir gemessenen bzw. rekonstruierten 1.41m für Kat. 161 und 1.44 m für Kat. 185, das


Abb. 14: Kapitellfragment Kat. 207
(Art 91/K 453[7.]), Versuch der Ergänzung
des Polsteranthemions (M. 1 : 4)

Fragment eines Rosetteneckkapitells. Analog zu den Säulen könnten die größeren Kapitelle für die Westfront und die äußere Säulenreihe der Ringhalle
vorgesehen gewesen sein451 und die kleineren dann für den Pronaos und den eventuellen Opisthodom sowie die innere Säulenreihe der Peristasis, falls
diese nicht mit Blattkranzkapitellen ausgestattet war (s.u. Kap. V C 6).

Für die Voluten stellten Hogarth - Henderson einen »merklichen Deut« von Auswärtsneigung fest452. An den Fragmenten, die ich untersuchte, konnte ich
keine Volutenneigung messen, weil sie zu klein oder zu stark eingebaut sind. Jedoch ergab sich in meiner Rekonstruktion des Eckkapitells eine Voluten-
neigung von ~3 %453.

Diese Maße haben eine so unsichere Grundlage bzw. eine so große Variationsbreite, daß daraus kein Entwurfsschema abzuleiten ist. Im mittleren
6. Jahrhundert wären ohnehin allenfalls »die wichtigsten äußeren Maße bereits durch Proportionen geregelt«454. Von der Kapitellfront läßt sich immerhin

443 Fragment Kat. 205 ähnelt Fragment Kat. 195, deshalb wurde sein Profil nicht ge-
zeichnet; allerdings ist der Kanalisteil ungefähr 22 cm breit und bei Kat. 195 nur etwa
13 cm, so daß dieses Fragment sicher ganz am Anfang der Windung saß und Kat. 195
knapp vor der Verschneidung mit dem Echinus.
444 Darunter ohne Kat.-Nr. (Art 85/K 576[1.]) mit der Zusatz-Nummer 566, vgl. o.
Anm. 355.
445 Das Stück ist nicht so sorgfältig gearbeitet wie die Kapitelle des Tempels. Der Durch-
messer der Volute beträgt mit höchstens 40 cm weniger als die Hälfte des Durch-
messers der Tempelkapitelle und auch deutlich weniger als die -58 cm des kleinen
spätarchaischen Rosetteneckkapitells, das möglicherweise im Temenos der Artemis
veiwendet war: M. Märgineanu-Cärstoiu - M. Büyükkolanci, Dacia 40/42,1996—98,
103-139; Ohnesorg (2001) und (2002).
446 Die halbe Blattachse nahe der Unterkante ist nicht genauer als mit -12,5 bis 13,5 cm
anzugeben; der Durchmesser an der Unterkante ist nur grob mit -1.00 bis 1.50 m
zu ermitteln. Daraus ergibt sich theoretisch ein Spektrum von 14 bis 18 Blättern
(kleinster Durchmesser durch größte Achsbreite und umgekehrt); da weniger als 18
Blätter ausscheiden und, im Vergleich mit den wenigen bekannten Durchmessern
von Kapitellunterlagern, ein größerer Durchmesser wahrscheinlicher ist, dürften für
dieses Kapitell 18 Blätter zu rekonstruieren sein.
447 Auch die Kapitelle können teilweise erst in der zweite Hälfte des 6. Jhs., nach Ein-
führung des Zahneisens, entstanden sein, vgl. die Ausführungen zu den Relieftrommeln
o. vor Anm. 390 und u. Kap. VI C und VIIA 2.
448 Der Durchmesser seines erhaltenen Rundstabpaares beträgt -68 cm; es muß deshalb
seitlich der inneren Polsterkehlen liegen.
449 Zweiter Dipteros von Samos: G. Gruben, Die Kapitelle des Hera-Tempels auf Samos
(1960) 18; G. Gruben -H. Berve-M. Hirmer, Tempel und Heiligtümer der Griechen
(1978) 118 Abb. 108; Gruben (2001) 361 Abb. 271: die untere Zone des Polsters ist mit
einem Lotos-Palmetten-Fries über gegenständigen Spiralen geschmückt, denen zum

Echinus hin weitere Spiralpaare folgen (»Z 44« in der ungedruckten Dissertation, in
Druckvorbereitung für die Samos-Reihe). - Etwa gleichzeitig dürfte ein im Gegensatz
zu unserem ephesischen Kapitellpolster auf der gesamten Polsterfläche mit einem
Blattornament geschmücktes Votivkapitell in Kythera sein: A. Ohnesorg, BSA 99,
2004,283-289 Taf. 26-28; dort Anm. 18 weitere Beispiele für schuppengeschmückte
Polster. - W. Koenigs, IstMitt 30, 1980, 56 kündigte die Publikation eines wohl ar-
chaischen „kleinen Fragments eines Kapitellposters mit Anthemienverzierung“ aus
Milet an. - Ein ungewöhnliches ionisches Kapitellfragment mit konkavem Kanalis
und auf dem Polster elfblättriger Palmette über - unausgeführtem - Spiralpaar existiert
inKeos: P. Graindor, BCH 28, 1905, 341 Nr. 8 Abb. 7; erwähnt auch von M. Schuller,
Jdl 100, 1985, 370 Anm. 125; Photo Inst.Neg. 1973/1685 im DAI Athen.
450 Hogarth - Henderson (1908)277 ff. Die Kapitellrekonstruktion im Britischen Museum
fiel relativ klein aus, was angesichts der eingebauten Oz-zgzftö/fragmente wieder ein
Zeichen vom Spielraum bei allen Maßen ist. Für das Normalkapitell mit Rosetten,
dessen Rekonstruktion hinfällig ist, wurden besonders große Maße angegeben: L
3.21m; H 83,4cm; max. Polstertiefe 1.20,6m; Dm des UL 1.43,6m.
451 Gruben (1963) 164 Anm. 158.
452 Hogarth-Henderson (1908) 269 f. - Diskutiert von H. Drerup, Jdl 69, 1954, 14. 20 f.
und G. Gruben, AM 80, 1965, 206 f. und Kirchhoff a. O. (o. Anm. 435) 79 ff.
453 Ohnesorg (2001) 191: der unteren Polsterbreite von 1.06m (S. 188) steht eine obere
von -1.12 m gegenüber. Aus der Differenz pro Kapitellseite von 3 cm und der Höhe
der Rosette von 97 cm (S. 190), der die Höhe der Volute entsprechen muß, resultiert
eine Neigung von -3 %.
454 L. Haselberger in: H. Bankei (Hrsg.), Carl Haller von Hallerstein in Griechenland
(1986) 213 zum >Archilochos-Kapitell< von Paros aus dem mittleren 6. Jhs., einer
»Übergangszeit«, die zweifellos genauso für Ephesos zutrifft. - s. auch A. Ohnesorg in:
.1. des Courtils-J.-Ch. Moretti (Hrsg.), Les grands ateliers d’architecture dans le monde
egeen du VIe siede av. J.-C., Kolloquium Istanbul 1991 (1993) 111-118 bes. 113 f.

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