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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0023
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Paris

und die Blume unmittelbar auf dem grüngelben Grunde. Nicbt minder charakteristisch
ist die Durchführung des Blattwerkes und der seltsamen Blüten der drei Bäumchen,
der Leuchter und der Leuchterbank. In dem blauen Fond erscheinen verschiedene
alte Ausbesserungen, die stark verblaßt ohne weiteres ins Auge springen.

Im sechsten Bilde des 1. Teppichs (Abb. 1) legen die 24 Alten dem Herrn der Welten
ihre Kronen zu Füßen (12). Sankt Johannes beobachtet den Vorgang vom Fenster
eines beichtstuhlartigen Baues aus. Es genügt ein Blick, um erkennen zu lassen, daß
ganz andere Hände am Werke tätig gewesen sind. Nur der Johanneskopf zeigt einen
Anklang an die merkwürdig schwere Detaillierung; das Haupt des Weltenrichters ist
wesentlich weicher aufgefaßt, die Köpfe der Alten sind in der technischen Durch-
bildung ungleichartig — die Erscheinung erklärt sich aus der Tatsache, daß jeder Ma-
nufaktur nur wenige „Kopfarbeiter", Wirker erster Klasse, zur Verfügung standen, so
daß bei einer Häufung von Figuren sich naturgemäß Qualitätsabweichungen ergaben —,
ganz verschieden von dem ersten Bilde ist der Graswuchs gelöst. Der wellige Cha-
rakter des Bodens ist durch eingelegte Schraffen weit stärker betont, die Hügelchen
fehlen gänzlich, abgesehen von zwei vereinzelten kümmerlichen Dolden, ist von den
so typischen dreiteiligen Blüten nichts mehr zu finden; das Gras schießt in flammen-
artigen Linien in die Höhe. Die Detaillierung der Gewänder ist hart und entschieden.
Wir müssen uns bei der Beurteilung dieser Eigenschaften stets vergegenwärtigen, daß
gerade in der Wiedergabe des Graswuchses, der Durchbildung der Kleiderfalten und
anderen Dingen des Kleinwerkes in erster Linie sich der Charakter des betreffenden
Ateliers manifestiert. Für die Gesichtszüge sind in weit stärkerem Maße die großen
Kartons maßgebend, natürlich bleibt es auch hier dem ausübenden Wirker überlassen,
wie er sich mit seiner Vorlage abfinden will, wie und in welcher Stärke er seine
Farbenflecke und Schraffen setzt. Um die mehr nebensächlichen Dinge, die Durch-
führung der Grasbüschel z. B., kümmert sich der Patronenzeichner nur insofern, als
er sich mit oberflächlichen Andeutungen begnügt. Farbig angelegte Kartons kennt das
14. Säkulum nicht; handschriftliche Notizen, wenn es hoch kam flüchtig hingeworfene
Töne unter jedem Verzicht auf Detaillierung — die altüberkommene Wirkertechnik
besaß ihre eigenen Farbenzirkel—, mußten genügen. Das sechste Bild des ersten Tep-
pichs stammt zwar aus der gleichen Zeit, jedoch aus einem anderen Atelier als das
zuvor besprochene. Der Kronenniederlegung geht eine Episode vorauf: ein Engel, in
Händen die Schriftrolle, richtet an den weinenden Johannes die Frage, wer würdig
sei, die Siegel des Buches zu lösen; einer der Greise spricht dem Evangelisten tröstend
zu (Abb. 9) (13). Die Szene steht auf blauem Grunde; die Kronenniederlegung ver-
wandte den roten Fond. Der Boden ist in papiermach^artige Felder aufgeteilt, die
unmittelbar dem Miniaturenstil entlehnte Lösung findet sich noch im 15. Säkulum in
den großen Tournaiser und Brüsseler Folgen, in der Geschichte Alexanders des Großen
im römischen Palazzo Doria und anderen Behängen mehr. Die stilisierten Bäumchen,
das Gewand des Engels und verschiedene sonstige Einzelheiten erinnern an das vor-
besprochene 3. Bild (Abb. 8); die Wiedergabe der Köpfe ist unterschiedlich, sie stam-
men von verschiedenen Wirkern. Im 12. Motive des ersten Behanges (roter Grund)
reitet der Tod, ein grinsendes, von gelblicher Haut überzogenes, in weißes Leinen ge-
hülltes Skelett, in der Faust das Schwert, über das grüne Feld (14). Der Adler, das
vierte Tier, erscheint in den Wolken und spricht zu Johannes: Komm und schau. Dem
Tod folgt die Hölle. Die greulich ausstaffierten Teufel der Mysterienspiele schleudern
von der zinnenbewehrten Plattform der Burg des Bösen die sündigen Seelen in den
Rachen Behemoths. Eigenartig ist die Durchbildung des Graswuchses und des schollen-
ähnlichen Gefüges, über das das Roß schreitet. Elipsoide, halbkreisförmige Gebilde
werden durch zwei- und dreifach getönte Striche, die Vorläufer der Schraffen, in eine
von Dunkelgrün zu Gelb verlaufende Zone zerlegt; vollkommen unvermittelt steht in
scharfer Linie — ganz rechts — das Dunkelgrün des Hügellandes gegenüber der strich-
geteilten Lage unterhalb der Baumwurzel. Die Lösung des Grundes unter den Vorder-
füßen des Rosses ist so unmotiviert, daß unwillkürlich die Frage auftaucht, ob nicht

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