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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0247
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Beauvais

der in Arbeit befindlichen Wirkereien und der zur Verwendung kommenden Wollen
und Seiden obliegt. Als Gegenleistung sichert Charron dem Meister einen Netto-
verdienst in Höhe von 10% des Gesamtumsatzes zu, dergestalt, daß Oudry sowohl
vor etwaigen Verkaufsverlusten gesichert ist, noch sich selbst persönlich mit irgend
welchen Summen an dem Unternehmen beteiligt. Die vertragliche Abmachung der
beiden datiert vom 1. Februar 1754 (77), sie bleibt nicht lange in Kraft, bereits am
30. April 1755 segnet Oudry im Alter von 69 Jahren das Zeitliche. An seine Stelle
tritt Jean-Joseph Dumons, der wiederum 1777 Camousse den Platz räumt.

Die Oudryschen Entwürfe büßen bald nach dem Tode des Meisters ihre Beliebtheit
ein (78).

Die Kartons werden den Betrieben von Aubusson zur Verfügung gestellt oder ver-
kauft. Die einzige Folge, die in Beauvais noch weiter Verwertung findet, sind, ab-
gesehen von den „Verdures fines", die Lafontaine'schen Fabeln; hie und da tauchten
Teppiche mit der Charron'schen Signatur im Kunsthandel auf — der Behang im fran-
zösischen Garde-Meuble (H. 3,64 m, L. 2,72 m) stammt noch aus Besniers Zeit (79).

Die Boucher'schen Entwürfe bleiben nach wie vor „grande mode". Im übrigen
wird der Bestand an Kartons unter Charrons Leitung (1753—1780) nicht unerheblich
vermehrt. Jean-Baptiste-Henri Deshayes (f 10. II. 1765) entwirft 1761 eine „Iliade" mit
sieben Behängen: Raub der Helena, der Zorn des Achilles, Hektor macht Paris heftige
Vorhaltungen, Kalchas kündet Agamemnon den Zorn der Götter, die Opferung der
Iphigeneia, Diomedes verwundet Venus im Kampfe mit Äneas; mit einem Herkules-
behang schließt die Serie, die in den Jahren von 1761—1771 dreimal auf die Gezeuge
gelegt wurde; der Quadratellenpreis stellt sich auf 575 Livres. Eine Folge von sechs

Teppichen verzeichnet der königlich spanische Textilienschatz mit Unternehmer--Lilie

A. C. C. BEAUVAIS — und Malersignatur — P. DES HAYES - - (Abb. 242) (80);
eine unvollständige Reihe birgt der Palazzo Pitti zu Florenz; ein Einzelstück befand
sich unlängst im Besitze der Berliner „Altkunst". Charakteristisch sind die lichten
Farben. Von Deshayes stammen ferner drei Episoden aus dem Asträaroman (1763)
— die schlummernde Asträa, Celadon wird aus dem Wasser gezogen, die Quelle der
wahren Liebe —, die augenscheinlich nur zweimal zur Durchführung gelangten.

Die Zeit des großen Pathos ist vorüber, das Spiel mit der Natur, wohlverstanden
nur im Sinne und in der Auffassung der guten Gesellschaft, wird Mode des Hofes. 1769
entwirft Le Prince seine „Russischen Spiele", die schnell Beliebtheit gewinnen und
bis 1793 neunmal, allerdings zumeist in Teilwiedergaben kopiert werden. Der Auf-
bau lehnt sich den „Ländlichen Spielen" an, nur mit dem Unterschiede, daß die Fi-
guren in Orientalisierenden Kostümen auftreten. Die Folge setzt sich aus sechs Behängen
zusammen: Mahl, Tanz (Abb. 243), Vogelfang, Wahrsagerin (Abb. 244), Milchmädchen
und musikalische Szene. Die Serie wird, wie üblich, durch eine Möbelgarnitur er-
gänzt, die ihre Motive zum Teil Boucher'schen Entwürfen entnimmt (81).

Eine der prächtigsten Reihen der „Russischen Spiele" birgt das erzbischöfliche Palais
zu Aix-en-Provence (Abb. 243, 244) (82). Einzelbehänge erschienen auf der Cleveland-
Ausstellung 1918 (83). Ein Exemplar der „Vogelfänger" tauchte in der Auktion der
Marquise de Ganay (8./10. V 1922) auf. Das „Mahl" eignet der Firma L. Alavoine & Co.

Als fruchtbarster Patronenmaler betätigt sich seit dem Beginn der siebziger Jahre
(bis 1787) Francesco Casanova, der Bruder des bekannten Abenteurers.

Als erste größere Arbeit erscheinen die „ländlichen Freuden" (1772): Jagdzusammen-
kunft, Fischfang, Entenjagd, Tränke (Abb. 245), Mahl, ruhender Falkner, Wäscherin,
Fischkarre, mit zugehöriger Möbelgarnitur (84).

Die Entwürfe Casanovas sind rein bildmäßig aufgefaßt, sie wirken mitunter süßlich
und geziert, die großen eintönigen Architekturflächen — die Entenjagd spielt sich vor
einer Terrasse mit Estrade und Freitreppe ab — und der allzu ausgedehnte Himmel
erwecken den Eindruck der Langweile. Die 1773 oder 1776 mit sechs Behängen für
den König durchgeführte Serie befindet sich im Elysöe-Palast zu Paris, die in der Zeit
von 1772—1779 erzeugten Wiederholungen sind größtenteils nach Amerika abgewandert,

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