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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Editor]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0250
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Beauvais

seiner Leute nicht beschaffen zu können und tritt zurück. Die Wirker sind brotlos,
länger als ein Jahr bleiben die Werkstätten geschlossen; der Erlaß des Komitees für
Ackerbau und Künste vom 13. prairial des Jahres III (1794) weist den Patronenmaler
Camousse in die Direktorenstelle von Beauvais ein. Camousse ist Staatsbeamter, der
Charakter des freien Unternehmers besteht nicht mehr, als Hilfskraft fungiert ein Ma-
gazinverwalter. Lediglich bei der Abfindung der Wirker wird der kaufmännische
Grundsatz, mit dem Beauvais steht und fällt, noch aufrecht erhalten. In richtiger Er-
kenntnis der Eigenart des Betriebes wird von einer Monatsbesoldung, wie sie die
Gobelins als Revolutionserrungenschaft in Anwendung bringen, abgesehen; es bleibt
bei der Bezahlung nach Leistung, die Sätze werden auf das Dreifache des Jahres 1789
erhöht. Der Betrieb der Manufaktur ist zunächst mehr als kümmerlich; Camousse
arbeitet mit sechs Mann. Mittel für neue Kartons sind nicht vorhanden, geübt wird
lediglich die billige Möbelwirkerei; die alten Vorlagen werden, so gut es geht, moder-
nisiert. 1800 stirbt Camousse, an seine Stelle tritt der altbewährte, von Lucien Bona-
parte protegierte Patronenmaler Huet, der als Einführung eine fünftägige Ausstellung
der noch auf dem Lager befindlichen Wirkereien veranstaltet, die immerhin den Er-
folg zeitigt, die Aufmerksamkeit des Ersten Konsuls auf das Unternehmen zu lenken.
Die brennende Frage der Kartonbeschaffung wird im Oktober 1801 überwunden, dem
Leiter werden vierzehn Gemälde, — nach Vien, Lagrenöe, Monnoyer und Oudry —
aus dem Schlosse Versailles leihweise zur Verfügung gestellt (97).

Die Errichtung des Kaisertums und damit umfangreiche Aufträge, durch die Reprä-
sentationspfiieht des neuen Hofes bedingt, räumen die Schwierigkeiten, mit denen Huet
noch zu kämpfen hat, endgültig aus dem Wege. Die Gezeuge sind für die Möbel-
wirkereien der kaiserlichen Schlösser — Saint-Cloud, Fontainebleau, Trianon — fast
ausschließlich in Anspruch genommen; die Wandteppicherzeugung tritt stark zurück.
Der mythologische Behang, „Boreas raubt Oreithyia" und eine Allegorie auf den Ersten
Konsul, „La Renommee publiant au son de la trompette les exploits du premier Con-
sul, d'apres van den Berghe", werden 1801 in Wolle und Seide übertragen, 1804
liefert die Manufaktur zwei gewirkte Porträts auf seidener (!) Kette: Napoleon als
Erster Konsul und Lucien Bonaparte als Minister des Inneren. Die Bestandesaufnahme
vom 29. Thermidor des Jahres XII nennt unter den im Lager befindlichen Wand-
behängen eine Allegorie des Ackerbaues (auf 1800 liv. geschätzt), den Raub der
Oreithyia nach Boucher (1200 liv.), zwei militärische Episoden nach Casanova (3600 liv.),
Neptun und die beiden Najaden nach Boucher (1200 liv.), ein Stilleben (Blumenvase
und Girlanden, 800 liv.), zwei Blumenstücke in Verbindung mit Ornamenten, Drape-
rien, Vögeln und sonstigem Getier nach Monnoyer (2400 liv.), die Allegorie des Han-
dels (8100 liv.), söwie drei kleinere Wirkereien: (tun petit tableau genre pittoresque et
paysages (600 liv.), un tableau figure d'Apollon avec satyre (300 liv.), un tableau re-
prösentant une Naiade avec son urne" (300 liv.).

Die Möbelaufträge Napoleons häufen sich von Jahr zu Jahr, die Zahl der gelieferten
Stücke geht hoch in die Hunderte — Jules Badin gibt ausführliche Aufstellungen der
einzelnen Serien —; die Jahre 1808 und 1809 bringen die stärksten Belastungen. Ab-
gesehen von den französischen Schlössern werden auch die auswärtigen Residenzen
des Kaisers, u. a. der römische Palast Monte-Cavallo (1814), mit Beauvaismöbeln aus-
gestattet.

Huet stirbt 1814, ihm folgt sein ältester Sohn, der bis zum 31. Januar 1819 den
Direktorposten bekleidet, um ihn an seinen jüngsten Bruder abzutreten, der bereits
am 1. Oktober 1819 Guillaumet den Platz räumt. Das Inventar vom 1. November 1814
(nach Huets; des Vaters, Ableben) bringt eine ausführliche Aufstellung der auf Lager
befindlichen zahlreichen Möbelwirkereien. Von Wandteppichen kleineren Umfanges
ist erst am 14. Januar 1817 wieder die Rede. Das Musee Royal stellt den Werk-
stätten leihweise verschiedene Bilder zur Verfügung, in der Hauptsache Tierstücke von
„Desportes neveu" — gemeint ist Nicolas Desportes, der Neffe und Schüler des
Francois Desportes, der in den fünfziger und sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts

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