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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0251
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Beauvais

zahlreiche Wild- und Fruchtstilleben im Pariser Salon zur Ausstellung brachte. Der
französische Garde-Meuble ist reich an derartigen Bildwiedergaben Beauvais' aus den
ersten vier Jahrzehnten des 19. Säkulums, die sich im wesentlichen auf die Schlösser
Fontainebleau und Compiegne verteilen. Die kurzen Andeutungen müssen genügen;
es ist nicht Aufgabe des vorliegenden Teiles, die Manufaktur der neuesten Zeit (ab 1810)
eingehender zu behandeln, die Bearbeitung ist einem späteren Bande vorbehalten.
Kleinwirkereien der Manufaktur, die auf das 18. Jahrhundert zurückgehen, finden sich
nur noch selten in Sammlungen und im Kunsthandel. Die Kollektion des Grafen Jacques
de Bryas (1898) verzeichnet eine kleine reizvolle Szene — ein Junge und ein Mädchen
lassen ein Hündchen zum Klang des Tamburins sich in possierlichem Tanze drehen,
H. 62 cm, L. 70 cm —; ein fein durchgeführtes Kücheninterieur eignet der Münchener
Kunsthandlung A. S. Drey. Ein Blumenstück (Vase) verzeichnet das Landesmuseum
zu Schwerin; ähnliche Arbeiten — „vase de fleurs, au pied duquel est etendu un
oiseau mort, fond marron; fruits et fleurs sur fond marron" — kamen mit der Ver-
steigerung der Sammlung Mme C. Lelong (Paris, 11— IS. Mai 1903) auf den Markt.
Zwei gewirkte Stilleben — Lebensmittel in malerischer Anordnung neben einem Glas;
auf ein chinesisches Tischchen sind Früchte gestreut — nach Entwürfen von Jean-
Baptiste-Simeon Chardin (7 6. XII. 1779) erschienen als Leihgabe des Pariser Hauses
Jamarin auf der Bildteppichausstellung von San Francisco (1922).

Die offiziellen Möbellisten der Manufaktur beginnen mit dem Jahre 1725, als erstes
Stück erscheint „I canape" ä pavots", eine ornamentale Fassung rahmt das blühende
Bunt des Klatschmohns. Bis zum Ende des 18. Säkulums bleibt der Blnmendekor, in
ständig wandelnden Formen, die „piece de r^sistance" der Manufaktur — gefüllte
Vasen, Sträuße mit flatternden Bändern usw. —, mitunter in Verbindung mit Tier-
figuren — die Lafontaine'schen Fabeln nach Oudry spielen eine große Rolle (Abb. 252) —,
Grotesken werk, Landschaftsbildern oder orientalisierenden Hafenszenen. Als selbst-
ständige Gattung erscheint daneben die rein erzählende Form in ornamentaler oder
Banken-Fassung. Die ovalen Mittelbilder der 1903 versteigerten Fauteuils und Kanapees
der Kollektion C. Lelong z. B. schildern Tierszenen von Lorbeergewinden gerahmt,
Banken- und Muschelwerk deckt den noch freien gelben Grund. Ein etwas späteres
Exemplar der gleichen Sammlung (Kanapee, um 1750) weist der Tierepisode fast den
ganzen Bücken zu, ein breiter Stab (Palmen- und Blumengewinde) faßt das langge-
zogene, geschwungene Oval. Hervorragende Stücke erschienen ferner in den Samm-
lungen Ernest Cionier (Abb. 253, versteigert in Paris am 4/5. Dezember 1905) und
Mme Roussel (Abb. 252, versteigert in Paris am 25./28. März 1912). Die Hauptmasse
der von Oudry beeinflußten Möbelwirkereien fällt in die sechziger Jahre. Die reine
Tierfabel wird später verlassen, der Vierfüßer oder Vogel, nunmehr ein Motiv zweiter
Klasse, erscheint im Sitzblatt; der Rücken bleibt figürlichen Darstellungen, zumeist im
Stile Bouchers, vorbehalten, bis schließlich das figurale Moment die Flächen voll-
kommen überwuchert (98). Blieb zunächst das Möbel unabhängig von den Darstellungen
der zugehörigen großen Folgen — die Lafontaine'schen Fabeln werden z. B. mit der
zweiten „tenture chinoise" kombiniert —, so macht sich im letzten Drittel des 18. Sä-
kulums immer stärker das Bestreben geltend, Serie und Garnitur nach einheitlichen
Gesichtspunkten zu entwerfen und durchzuführen. Die „Bussischen Spiele" (1769) er-
öffnen den Reigen, Casanova führt den Grundsatz folgerichtig durch (Abb. 256) (99).
Eine Sonderstellung nehmen die Schirme (öcrans) und Paravents ein, zumeist als
selbständige Dekorationsstücke behandelt und abgesetzt (100). Die figürlichen Motive
herrschen naturgemäß stark vor. Einen hervorragenden sechsblättrigen Schirm —
Bauern lagern rauchend und trinkend am Fluß, zwei Frauen melken Kühe, ein Junge
macht sich mit der Laterna magica zu schaffen, ein junges Paar bietet einer Frau
Blumen dar, Schäfer und Schäferinnen drehen sich im Tanz, Damen und Herren be-
steigen ein Boot — eignet dem französischen Garde-Meuble national; die Signatur
nennt I. B. Oudry 1742. Seit den achtziger Jahren erscheinen die „cantonnieres", die
gewirkten Fensterdraperien, fast bei jedem Auftrage von Bedeutung. Ein besonders

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