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Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Editor]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0291
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To urs.

Touraine.

Grenzgebiete

gewissem Widerspruche stehen. Wir finden diese technische Eigentümlichkeit z. B. bei
dem Obergewande der Dame, die die Rosenkette dem Schmuckkästchen entnimmt. Auf
einen tiefroten Schattenton folgt ein durch Schraffen vermitteltes sattes Zinnoberrot,
eine blaurote schmale Zwischenzone schließt sich an, um streifenartig in Hellrot zu
verlaufen. Ähnlich wandelt sich bei den Achselstücken der Dienerin das Braunrot zu
Weiß. Die vorwiegend senkrechten langen Schraffen von Tournai sind verlassen, sie
sind kürzer geworden und schmiegen sich mehr den Formen der Konturen an. Cha-
rakteristisch ist ein eigentümlich mattblauer Schimmer, der sich mitunter weich und
reizvoll über das in konträren Tönen gehaltene klare Brokatmuster legt. Besonders
deutlich fällt die stark dem Faltenwurf angepaßte Schraffenlage in dem Innenfutter
des Obergewandes der das Kränzlein flechtenden Dame ins Auge. Die Abweichungen
von der in Tournai geübten Technik sind unverkennbar.

Am wesentlichsten will mir die Art der Durchbildung der „raenue verdure" er-
scheinen. Den Yerger d'honneur umgibt ein roter Grund mit Blütenzweigen über-
streut, zwischen denen allerlei Vierfüßer und Yögel ihr Wesen treiben. Wir finden
Veilchen, Stiefmütterchen, Winden, Kittersporn, Nelken, Wicken, Gänseblumen,
Fingerhut, Narzissen, Akelei, Immergrün, Margueriten, kurz ein buntes Gemisch von
Feld- und Modeblumen. Die Auffassung ist naturalistisch, die Zeichnung, fast einem
botanischen Lehrbuch entnommen, ist flach, gleichsam körperlos. Typisch sind die
stets am Ende umgebogenen Stengel, die den Eindruck erwecken sollen, als ent-
sproßten die Pflanzen dem saftroten Grunde. Ziemlich wrahllos sind die Tierfiguren
eingeschaltet, wenngleich zu beobachten ist, daß die Füchse, Kaninchen, Affen, Lämmer,
Hunde, Störche, Amseln, Reiher, Falken, Ziegen, Jagdleoparden und dergleichen nur
in seltenen Fällen die Blumen überschneiden oder decken. Die Mehrzahl ist sorgsam
in die freien Zwischenräume disponiert; mitunter wird allerdings das eine oder andere
Tier, z. B. der große Hund über der bannertragenden Dame, willkürlich auf das
Blumenwerk gesetzt, in so ausgesprochener Weise, als ob ein besonderer Wunsch des
Auftraggebers diese nachträgliche Einfügung bedingt hätte.

Ganz anders geartet ist die Durchführung des Pflanzenwuchses innerhalb des
Verger d'honneur. Die Stengel schießen vollsaftig aus dem Dunkelblau des Bodens;
die Blüten heben sich keck vom Blattkranze. Das Tournaiser Vorbild — es sei
nur an den Wappenteppich Karls des Kühnen im Berner Historischen Museum er-
innert — ist unverkennbar. Merkwürdigerweise finden wir auch den durch fünf
gebogene Striche angedeuteten Graswuchs, der so charakteristisch auf den Arraser
Teppichen des 15. Säkulums sproßt. Besonders stark ist die Modeblume, die Feuer-
nelke, vertreten, die neben den blauen Winden und den gelben Narzissen das Feld
beherrscht.

In Verbindung mit der „Dame mit dem Einhorn", sowohl was die Lösung der
Flora, als auch die Durchbildung der figürlichen Staffage angeht, stehen verschiedene
zumeist in französischem Besitze noch erhaltene Teppiche. Es gilt dies zunächst
von den Arbeiten, ehedem im Textilienschatze des Pierre de Rohan, marechal de Gie
(35). Die den Behängen eingefügten Wappen ermöglichen eine einigermaßen ein-
wandfreie Datierung. Die langen niedrigen Chorbehänge wanderten einst als fromme
Stiftung des Marschalls an die Kirche Sainte-Croix de la Bretonnerie, sie befinden
sich gegenwärtig im Besitze der Kathedrale zu Angers. Pierre de Rohan-Gie, ein
Sproß der Rohan-Guemenee, w7urde 1453 geboren, er spielte als Erzieher Franz' I.
und als Marschall von Frankreich unter Ludwig XII. eine bedeutsame Rolle, sein
Ableben erfolgt am 22. April 1513. Er war in erster Ehe mit Francoise de Porhoet
(t 1503), in zweiter mit Marguerite d'Armagnac vermählt. Die Familiengeschichte ist
insofern von Bedeutung, als sich außer dem Kreuze von Sainte-Croix auf dem Schilde
Rohans auch ein Allianzwappen, von einer schnurartigen, durch Knoten unter-
brochenen Fassung umgeben, mehrfach vorfindet. De Farcy (36) deutet die eine
Hälfte des Hoheitszeichens auf das Haus Armagnac, die Schnur auf den Witwen-
knoten, verlegt also die Entstehung der Behänge in die Zeit zwischen 1513 und

Gobel, Wandteppiche II.

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