Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Editor]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0300
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
To urs.

To urain e.

Grenzgebiete

den Anschein, als ob mit dem Niedergange der Werkstätten der alten Bischofsstadt
eine starke Auswanderung von Patronenmalern und Wirkern nach den französischen
Gebieten stattgefunden hat.

Jacques de Beaune, scigneur de la Carte et de Semblencay, Oberintendant der
königlichen Finanzen, macht der Saint-Saturnin-Kirche zu Tours eine ähnliche Schen-
kung wie sein verstorbener Freund und Lehrer Pierre Morin, der Bürgermeister von
Tours. Es handelt sich um Darstellungen aus dem Leben des Schutzpatrons. Der
Stifter erlebt schwerlich die Fertigstellung; seine Verhaftung und Hinrichtung (12. August
1527), mit der die Beschlagnahme der Güter verbunden ist, rollt das Verfügungsrecht
über die Folge in wenig erfreulicher Weise auf. Das Parlament erkennt durch Be-
schluß vom 9. Juli 1534 die Saint-Saturnin-Kirche als rechtmäßige Besitzerin an. Die
Wirren der großen französischen Revolution zerstreuen die Behänge, ein Rest (3 Motive) be-
findet sich gegenwärtig im Toxtilienschatze der Kathedrale zu Angers (H. 2,67m, L. 9,60 m);
eine vierte Episode hängt anf Schloß Langeais. An der Identität ist nicht zu zweifeln,
der Stifter Jacques de Beaune kniet in dem dritten Bilde mit seiner Gattin Jeanne
Ruze, in Anbetung versunken, vor Sankt-Saturnin: 0. BON. MARTIR EVESQUE ET
PREMIER DISCIPLE DE JVSCHRIST PRIE POUR NOUS.

Uber das Atelier, in dem die Folge entstand, erfahren wir uichts Näheres. Von ge-
wisser Bedeutung sind die Ausführungen von Benoist de la Grandiere, der sich in
seiner Geschichte von Tours (1780) (45) eingehender mit den Bildwirkereien in den
Kirchen der Stadt beschäftigt. Er überweist dem Duval'schen Atelier außer unserer Folge

— standen ihm heute verloren gegangene dokumentarische Unterlagen zur Verfügung?

— eine Christusserie in der Sankt-Saturnin-Kirche, Szenen aus dem alten und neuen Testa-
ment in der Kathedrale —die Figuren der sieben Behänge erschienen in natürlicher Größe —,
sowie schließlich das Leben der Apostel Petrus und Paulus. Die Sankt-Saturninfolge
muß nach der Abschätzung vom Jahre 1792/93 zehn Pariser Ellen (rund 12 Meter)
lang gewesen sein, der Schätzungspreis war mit 8 Francs für die Quadratelle recht
niedrig angesetzt (46). Der Charakter der Wirkerei, eine typische Chorstuhlserie,
paßt sich vollkommen dem Typ der gleichzeitigen Pariser religiösen Folgen an; die
einzelnen Darstellungen sind durch stark italienisierende Pilaster getrennt — der eine
trägt die Jahreszahl 1527, das Herstellungs- und Todesjahr des unglücklichen, zu Un-
recht gehängten Stifters —, elegante Arabesken decken Pfeiler und Fries. Die Sprache
der Architektur, die klare Einordnung der Gruppen, Ausdruck und Haltung der Ge-
stalten deuten auf einen Patronenmaler, dem die Kunst Italiens geläufig war. Es be-
stehen keinerlei Beziehungen zu den gleichfalls italienisierten Damen aus dem weit stär-
ker dem französischen Stilempfinden angepaßten Feudalleben im Pariser Cluny-Museum.

Das erste Bild auf Schloß Langeais bringt die Berufung des Sankt Saturninus zunächst
durch Johannes den Täufer, dann durch den Heiland selbst, die zweite Episode in der
Kathedrale zu Angers schildert die Aufnahme des Heiligen in den erweiterten Jüngerkreis;
den wunderbaren Fischzug, Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt und Ausgießung
des heiligen Geistes. In klarer Einordnung gruppieren sich die einzelnen Bilder neben
und über der Hauptepisode, ein Schriftband in gotischen Buchstaben erläutert die
Motive. Die dritte Darstellung bringt die Aussendung des Heiligen; Petrus, in vollem
Ornate, die Tiara auf dem Haupte, die Schlüssel der Kirche in der Hand, von einem
Kardinal und einem Geistlichen mit dem Doppelkreuz begleitet, überreicht dem
Erwählten das Bischofskreuz. Die beiden Begleitszenen schildern Sankt Paulus, der
gen Himmel weist und Saturninus auffordert, das Wort des Herrn den Heiden zu
künden, sie zeigen den Heiligen beim Bau einer Kirche. Im letzten Bilde heilt Saturninus,
der Bischof von Toulouse, die Tochter des Kaisers Antonin; der über die Macht des
neuen Gottes ergrimmte Vater läßt den Märtyrer von einem wütenden Stier über die
Stufen der Burg schleppen. Das kniende Stifter-Ehepaar de Beaune bildet den Ab-
takt. Es dürfte schwierig sein, die abhanden gekommenen Motive zu ergänzen. Der
Schluß der Legende, den sich der Patronenmaler seiner dekorativen Wirkung halber
schwerlich hätte entgehen lassen, fehlt vollständig.

282
 
Annotationen