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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Bearb.]; Meyer, Bruno [Bearb.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 4) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62337#0338
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Murillo.
Während Velazquez der größte Bildnißmaler seiner Nation ist, steht Murillo als ihr
bedeutendster Meister in der Kirchenmalerei da. Man kann sagen, daß die gesammte Kunst des
modernen Katholicismus nichts hervorgebracht hat, was seine Ideale so vollständig und so glänzend
verkörpert wie die Bilder Murillo's. Nirgend hatte die Gegenreformation so fest Wurzel geschla-
gen wie in Spanien. Jm Verhältniß zu seinem Glauben offenbart der Spanier denselben lebhaften,
südlichen Enthusiasmus wie der Jtaliäner, aber er ist in seiner Empfindung noch aufgeregter,
glühender, düsterer, fanatischer Jahrhunderte lang war ja hier die religiöse Erregung in den
Kämpfen gegen die Araber genährt worden, sie hatte einen Zug ritterlicher Romantik, kühner
Streitlust und feurigen Ungestüms angenommen.
Der prunkliebende Hof bot damals den Künstlern ein reiches Feld der Thätigkeit, aber
immerhin in einseitiger Weise, da es sich hierbei wesentlich um Portraits oder gelegentlich um ein
Genre- und Geschichtsbild handelte. Ideale künstlerische Aufgaben wurden fast nur von der Kirche
gestellt, die in Spanien Macht, Reichthum, Länderbesitz und Einfluß auf alle Classen des Volkes
vereinigte. Die Inquisition erstreckte ihre Herrschaft auch auf das künstlerische Gebiet. Das
Classisch-Mythologische wurde eingeschränkt, ja fast ausgeschlossen, auch die religiösen Gegenstände
selbst wurden in ganz eigenthümlicher Weise und mit einer gewissen Beschränkung aufgefaßt. So
fällt zum Beispiel das Alte Testament beinahe ganz fort, und wie in der damaligen Kirchenmalerei
Italiens werden nicht sowohl biblische als vielmehr legendarische Stoffe, unter diesen aber vorzugs-
weise Visionen und Martyrien der Heiligen dargestellt.
Vor Allem hat aber die Inquisition einen bestimmten Einfluß auf die Behandlung der
Kunstwerke. In der kirchlichen Malerei ist die Darstellung des Nackten verpönt. Während in der
Blüthezeit der italiänischen Malerei der heilige Sebastian von Künstlern hauptsächlich, um einen
schönen, jugendlichen Körper entkleidet darzustellen, so gemalt wurde, wie wir es in Hundert Bei-
spielen sehen, während die Lust an der reizenden nackten Knabenfigur uns so häufig bei den Christus-
und Johanniskindern der Jtaliäner entgegentritt, wurde jetzt von den Spaniern auch das Christus-
kind selten nackt dargestellt, und bei den Bildern der heiligen Jungfrau galt es für anstößig, auch
nur die Füße zu zeigen. Was uns die Praxis der spanischen Malerei in dieser Hinsicht zeigt, wird
durch schriftliche kunsttheoretische Aufzeichnungen bestätigt. Pacheco, der von den Ideen der In-
quisition durchdrungen ist, warnt den Künstler davor, nach dem nackten weiblichen Modell zu studiren.
Nur Kopf und Hände möge er nach der Natur malen, den Körper aber nach Statuen, guten Bil-
dern und den trefflichen Zeichnungen Dürer's ausführen.
Diese Scheu vor dem Sinnlichen ist aber gerade in einem allgemein verbreiteten Hang zur
Sinnlichkeit begründet. Dieser durchdringt die ganze Kirchenmalerei der Spanier, wie er ihre
religiöse Empfindungsweise überhaupt erfüllt; selbst die heilige Jungfrau ist, trotz aller züchtigen
Verhüllung, in den spanischen Gemälden von irdischer Gluth erfüllt, und aus ihren Augen, ihren
Zügen leuchtet ein sinnliches Feuer, das dann auch mit zündender Gewalt auf die Sinne wirkt.
Die volle Bestätigung hierfür gewähren die Schöpfungen Murillo's. Der Künstler hieß
eigentlich Bartolome Estöban, den Namen Murillo nahm er von seiner Großmutter mütter-
licherseits an. Er wurde zu Sevilla Ende 1617 geboren und am 1. Januar 1618 dort gelaust.
Sein erster Meister in der Kunst war Juan del Castillo, ein Verwandter seiner -Familie. Um
 
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