I. Remitiere und Fische aus der Höhle
von Lonet. Renntier von Thaingen, Konstanz.
I. Die Kunst des Altertums.
1. Kunstanfänge.
ältesten Äußerungen eines künstlerischen Darstellungstriebes sind Tierbilder ans einer
nach Jahrzehntausenden zurückliegenden vorgeschichtlichen (prähistorischen) Zeit, in der
der Mensch in Höhlen hauste, geschlagene Steinwerkzeuge benutzte und sich von Jagd und
Fischerei ernährte. Der älteren Steinzeit, dem Paläolithikum, gehören Tierschilderungcn
an, die an die Wände der Höhlen eingcritzt oder auch mit Erdfarben gemalt sind, oder die
mit primitiven Instrumenten an Nadeln oder Harpunen aus Knochen geschnitzt sind. Unter
der Menge solcher Darstellungen sind eine Anzahl durch verblüffende Naturwahrheit aus-
gezeichnet (Textabb. 1): sie beweisen, wie scharf das Auge dieses Urmenschen die bezeich-
nenden Ausdrucksmerkmale der Tiere, die er jagte, aufzufassen und aus der Erinnerung
wicderzugeben wußte. Die merkwürdigsten Funde derart sind in Südfrankreich (Höhle von
Combarclles) und in Nordspanien (Höhle von Altamira) gemacht worden. Geschildert werden
das Remitier, der Bison, das Mammut, der Steinbock und andere Tiere mehr. Sie er-
scheinen bald einzeln, oft über einen Meter groß, bald wie sie in Herden hintereinander
wandern. Selten sind Darstellungen von Menschen in Relief oder in kleinen Elfenbcin-
und Tonfignren. Dabei fällt es auf, daß die Männer schmal und schlank, die Frauen
aber breit und ungeheuer fett mit quer über die Brust gelegten Armen erscheinen. Man
merkt den Versuch, die Verschiedenartigkeit der beiden Geschlechter durch Übertreiben einzelner
Beobachtungen auszudrücken. In der Ornamentik der Knochengerätc erscheinen neben den
primitivsten linearen Motiven (Zickzacklinien, Rauten, Spiralen) Pflanzenstengel, sogar mit
Wurzel, als gelte es bestimmte eßbare Pflanzen zu bezeichnen.
Diese der wirklichen Erscheinung oft erstaunlich nahckommende Kunst bricht ab,
denn in der jüngeren Steinzeit, dem Neolithikum, die in das 7. oder 8. Jahrtausend
zurückreichen mag, aber in den verschiedenen Ländern verschieden lang andauert, sind die
Lcbensbedingungen des Menschen ganz andere als in der älteren Steinzeit. Der Mensch
lebt zumeist in kleinen Siedelungcn, in Höhlen oder in Holzbauten, auf dem Lande und auf
dem Wasser (Pfahlbauten). Er bebaut jetzt das Feld und treibt Viehzucht, er ist ein Meister
im Behauen, Bohren und Schleifen der Steingeräte, und vermag gewaltige Denksteine
(Menhir) aufzurichten, und zu Einhegungen (Crvmlechs) oder Grabkammern (Dolmen) zu
ordnen. In der Bretagne finden sich die größten Anlagen derart, einer jüngeren Zeit gehört
Graul, Kunstgeschichte. 7. Auflage. 1