70
Kunst des Mittelalters.
Wisby auf Gotland sind alte Stadtbefestigungen erhalten, in Köln reichen das Hahnen- und
das Severinstor bis in das 12. Jahrhundert zurück. Bologna und S. Gimignano haben
mächtige Wohntürme bewahrt. Nur wenige romanische Wohnhäuser sind noch vorhanden,
bei denen die Rundbogenfenster bald reihenweise geordnet sind (Overstolzenhaus in Köln,
Rathaus in Gelnhausen) und Gesimsbänder die horizontale Flächcnglicderung hervorheben,
bald eine freiere Gruppierung der Fenster beliebt wird (Hofapotheke in Saalfeld). Im
allgemeinen herrschte im Profanbau des Nordens der Fachwerkbau mit hohen Giebeln vor.
5. Der gotische Stil.
Der Stil, der aus der romanischen Kunst hervorgegangen ist und in seinen Zielen all-
mählich einen Gegensatz zu dem romanischen und allem klassisch-antiken Formwesen entwickelt
hat, wird der gotische Stil genannt. Gegenüber der klassischen Antike und den aus
dieser abgeleiteten Stilen erscheint die Gotik als eine Kunstform, in der sich das Kunst-
empfinden germanischer Völker am klarsten in einer für das ganze Abendland ton-
angebenden Weise ausgesprochen hat. Der Name rührt von Giorgio Vasari her, der die
mittelalterliche Kunst gotisch nannte, weil sie nn Vergleich zur irallenischen Kunst seiner
Zeit, der klassischen Renaissance des 16. Jahrhunderts, als barbarisch, d. h. „gotisch",
empfunden wurde. Wiewohl der Name nichts mit den Goten zu tun hat, wird er aus
Bequemlichkeit beibehalten, und als Gotik der Stil bezeichnet, der nach der zweiten Hälfte
des 12. Jahrhunderts entsteht, im 13. und 14. Jahrhundert blüht, nach und nach das
Abendland durchdringt und in einzelnen Gebieten bis über das 16. Jahrhundert hinaus
lebendig bleibt.
Die Verbreiterung der Basiliken hatte schon in spätromanischer Zeit, besonders in
Nordfrankreich gegen Mitte des 12. Jahrhunderts, zu Versuchen geführt, das Kreuzgewölbe
auch auf anderem als quadratischem Grundriß aufzuführen. Um aber das Gewölbe über
ein Rechteck mit ungleichen Spannweiten zu schlagen, war man genötigt, zum Spitzbogen
zu greifen, der den geringsten Seitenschub ausübt und beliebig erhöht werden kann
(Abb. 451 e). Die verlängerten Rippen, die in einem Schlußstein gipfeln und zwischen
denen die Gcwölbekappen zu viert und zu sechst eingespannt sind, üben auf die vertikalen
Stützen, auf denen die Rand- und Kreuzbogen der Gewölbe Zusammentreffen, einen Seiten-
schub aus. Diesem gefährlichen Drucke zu begegnen, legte man starke Widerlager an durch
ein selbständiges Strebesystem (Abb. 451, 468, 476). Die äußeren Strebepfeiler,
die oft hoch über die Dächer der niedrigen Seitenschiffe aufsteigen, werden mit den Mittel-
schiffpfeilern durch Strebebogen verbunden, welche den Seitenschub des Gewölbes auf-
nehmen und zu den Strebepfeilern überleiten.
So entsteht ein geschlossenes System sich gegenseitig bedingender Glieder: stützende
Pfeiler, Gewölberippen und Gurte im Innern, den Seitenschub abfangende Strebepfeiler
und verbindende Strebebogen im Äußeren bilden das feste Gerüst des ganzen Baues. Alles
was diesem statischen Gerüst oder Gerippe nicht dient, wird als bloßes Füllwerk behandelt
(Gerüststil). Alles erscheint in rastlos aufwärtsstrebender Bewegung (Vertikalismus),
als ein Drängen unruhig wirkender Kräfte. Die Wandmassen, die nichts mehr zu tragen
haben, werden durchbrochen, und geben Raum für gewaltige Fenster, die in fortgesetzter
Flächenteilung durch ein kunstvolles Spiel vervielfältigter Einzelgliedcr belebt und mit bunten
Glasbildern geschmückt werden (Abb. 473). Das hohe Mittelschiff ist durchaus raum-
beherrschend, die schmalen Seitenschiffe sind eine Reduktion des Hauptraums.
Kunst des Mittelalters.
Wisby auf Gotland sind alte Stadtbefestigungen erhalten, in Köln reichen das Hahnen- und
das Severinstor bis in das 12. Jahrhundert zurück. Bologna und S. Gimignano haben
mächtige Wohntürme bewahrt. Nur wenige romanische Wohnhäuser sind noch vorhanden,
bei denen die Rundbogenfenster bald reihenweise geordnet sind (Overstolzenhaus in Köln,
Rathaus in Gelnhausen) und Gesimsbänder die horizontale Flächcnglicderung hervorheben,
bald eine freiere Gruppierung der Fenster beliebt wird (Hofapotheke in Saalfeld). Im
allgemeinen herrschte im Profanbau des Nordens der Fachwerkbau mit hohen Giebeln vor.
5. Der gotische Stil.
Der Stil, der aus der romanischen Kunst hervorgegangen ist und in seinen Zielen all-
mählich einen Gegensatz zu dem romanischen und allem klassisch-antiken Formwesen entwickelt
hat, wird der gotische Stil genannt. Gegenüber der klassischen Antike und den aus
dieser abgeleiteten Stilen erscheint die Gotik als eine Kunstform, in der sich das Kunst-
empfinden germanischer Völker am klarsten in einer für das ganze Abendland ton-
angebenden Weise ausgesprochen hat. Der Name rührt von Giorgio Vasari her, der die
mittelalterliche Kunst gotisch nannte, weil sie nn Vergleich zur irallenischen Kunst seiner
Zeit, der klassischen Renaissance des 16. Jahrhunderts, als barbarisch, d. h. „gotisch",
empfunden wurde. Wiewohl der Name nichts mit den Goten zu tun hat, wird er aus
Bequemlichkeit beibehalten, und als Gotik der Stil bezeichnet, der nach der zweiten Hälfte
des 12. Jahrhunderts entsteht, im 13. und 14. Jahrhundert blüht, nach und nach das
Abendland durchdringt und in einzelnen Gebieten bis über das 16. Jahrhundert hinaus
lebendig bleibt.
Die Verbreiterung der Basiliken hatte schon in spätromanischer Zeit, besonders in
Nordfrankreich gegen Mitte des 12. Jahrhunderts, zu Versuchen geführt, das Kreuzgewölbe
auch auf anderem als quadratischem Grundriß aufzuführen. Um aber das Gewölbe über
ein Rechteck mit ungleichen Spannweiten zu schlagen, war man genötigt, zum Spitzbogen
zu greifen, der den geringsten Seitenschub ausübt und beliebig erhöht werden kann
(Abb. 451 e). Die verlängerten Rippen, die in einem Schlußstein gipfeln und zwischen
denen die Gcwölbekappen zu viert und zu sechst eingespannt sind, üben auf die vertikalen
Stützen, auf denen die Rand- und Kreuzbogen der Gewölbe Zusammentreffen, einen Seiten-
schub aus. Diesem gefährlichen Drucke zu begegnen, legte man starke Widerlager an durch
ein selbständiges Strebesystem (Abb. 451, 468, 476). Die äußeren Strebepfeiler,
die oft hoch über die Dächer der niedrigen Seitenschiffe aufsteigen, werden mit den Mittel-
schiffpfeilern durch Strebebogen verbunden, welche den Seitenschub des Gewölbes auf-
nehmen und zu den Strebepfeilern überleiten.
So entsteht ein geschlossenes System sich gegenseitig bedingender Glieder: stützende
Pfeiler, Gewölberippen und Gurte im Innern, den Seitenschub abfangende Strebepfeiler
und verbindende Strebebogen im Äußeren bilden das feste Gerüst des ganzen Baues. Alles
was diesem statischen Gerüst oder Gerippe nicht dient, wird als bloßes Füllwerk behandelt
(Gerüststil). Alles erscheint in rastlos aufwärtsstrebender Bewegung (Vertikalismus),
als ein Drängen unruhig wirkender Kräfte. Die Wandmassen, die nichts mehr zu tragen
haben, werden durchbrochen, und geben Raum für gewaltige Fenster, die in fortgesetzter
Flächenteilung durch ein kunstvolles Spiel vervielfältigter Einzelgliedcr belebt und mit bunten
Glasbildern geschmückt werden (Abb. 473). Das hohe Mittelschiff ist durchaus raum-
beherrschend, die schmalen Seitenschiffe sind eine Reduktion des Hauptraums.