II. Kunst des Mittelalters.
1. Die altchristliche und die byzantinische Kunst.
^^ie altchristliche Kunst entsteht aus einer allmählichen Veränderung der hellenistisch-
römischen Antike, wie sie sich bei den Mittelmeervölkcrn entwickelt hatte. Italien,
Syrien, Palästina, Kleinasien, Ägypten und Nordafrika haben alle Teil an diesem Um-
wandlungsprozeß. Wie die christliche Lehre dem Osten entstammt, so beginnt die christliche
Kunst im Ostgebiet der antiken Welt. Was sie in der westlichen Hälfte des 395 für immer
geteilten römischen Weltreiches, besonders in Rom geleistet hatte, verkümmerte unter den
Wirren, die der Einbruch germanischer Volksstämme in Italien hervorbrachte: erst die karo-
lingische Zeit brachte eine Art von künstlerischer Wiedergeburt hervor. Dagegen gedieh die
merkwürdige Mischung hellenistischer und orientalischer — besonders syrischer und klein-
asiatischer — Knnstformen im griechischen Osten, in Byzanz zu einer Stileinheit, der byzan-
tinischen Kunst, deren erste Blüte in die Regierungszeit Kaiser Justinians (526—565) fällt.
Wie weit sich auch die spätantike Kunst der römischen Kaiscrzeit von dem Geiste der
klassischen Antike entfernt hatte, erst das triumphierende Christentum, das unter Konstantin
dem Großen staatlich anerkannt wurde (325), hat die antiken Ideale vernichtet. Indem
es von der Kunst eine Verkörperung religiöser Gedanken, den Ausdruck seelischen Wesens
verlangte, setzte es den geistigen Inhalt über die Schönheit der Form, in der der antike
Mensch seine Götter und Helden vorgestellt hatte. Dadurch wurde der monumentalen
Skulptur, der Höchstleistung der klassischen Kunst, der Boden entzogen. Hingegen wurde
das Darstellungsgebiet der Malerei über das Bildnis und eine nur dekorative Wirkung
hinaus wesentlich erweitert, indem sie geschickt wurde, nicht nur die Geschehnisse der heiligen
Geschichte zu schildern, sondern auch geistige Beziehungen und Zusammenhänge symbolisch
anzudcuten. Vollends wurden der Baukunst neue Aufgaben gestellt. Aber das auf Inner-
lichkeit gerichtete Christentum verlangte keine glänzenden Gotteshäuser, sondern schlichte
Bauten, in denen die Gemeinde dem Gottesdienste anwohnen konnte. Die an geheiligten
Orten, in Jerusalem und in Rom von Konstantin errichteten Kirchen waren durchaus prunk-
lose Zweckbauten, erst in Byzanz erstand in der Sophienkirche ein Monumentalbau, der
im Innern und im Äußern mit den Tempeln und Palästen der späten Antike verglichen
werden kann. Wie die frühchristliche Kunst aus der Antike hervorwächst, ist überall dort
deutlich, wo die christlichen Anschauungen den heidnischen verwandt sind: im Totenkult und
im Unstcrblichkeitsglaubeu. Wo es anging, hielt mau an den antiken Gewohnheiten fest,
ganz allmählich entfernte sich die christliche Darstellung von der antiken Weise.
In den gemeinsamen Begräbnisstätten (Coemeterien, Schlafkammern), welche die Christen
im Umkreis großer Städte unterirdisch anlegten (Hypogäen), in den Katakomben, finden
wir die ersten Regungen altchristlicher Kunst. In Rom, an den alten Straßen, nahe bei
der Stadt, befinden sich zahlreiche derartige Anlagen. Ursprünglich offen zugänglich, wurden
die Eingänge zu den Katakomben in den Zeiten der Verfolgungen versteckt (namentlich im
3. Jahrhundert). Die Katakomben dienten den Gläubigen als Zufluchtsorte, und gewannen
1. Die altchristliche und die byzantinische Kunst.
^^ie altchristliche Kunst entsteht aus einer allmählichen Veränderung der hellenistisch-
römischen Antike, wie sie sich bei den Mittelmeervölkcrn entwickelt hatte. Italien,
Syrien, Palästina, Kleinasien, Ägypten und Nordafrika haben alle Teil an diesem Um-
wandlungsprozeß. Wie die christliche Lehre dem Osten entstammt, so beginnt die christliche
Kunst im Ostgebiet der antiken Welt. Was sie in der westlichen Hälfte des 395 für immer
geteilten römischen Weltreiches, besonders in Rom geleistet hatte, verkümmerte unter den
Wirren, die der Einbruch germanischer Volksstämme in Italien hervorbrachte: erst die karo-
lingische Zeit brachte eine Art von künstlerischer Wiedergeburt hervor. Dagegen gedieh die
merkwürdige Mischung hellenistischer und orientalischer — besonders syrischer und klein-
asiatischer — Knnstformen im griechischen Osten, in Byzanz zu einer Stileinheit, der byzan-
tinischen Kunst, deren erste Blüte in die Regierungszeit Kaiser Justinians (526—565) fällt.
Wie weit sich auch die spätantike Kunst der römischen Kaiscrzeit von dem Geiste der
klassischen Antike entfernt hatte, erst das triumphierende Christentum, das unter Konstantin
dem Großen staatlich anerkannt wurde (325), hat die antiken Ideale vernichtet. Indem
es von der Kunst eine Verkörperung religiöser Gedanken, den Ausdruck seelischen Wesens
verlangte, setzte es den geistigen Inhalt über die Schönheit der Form, in der der antike
Mensch seine Götter und Helden vorgestellt hatte. Dadurch wurde der monumentalen
Skulptur, der Höchstleistung der klassischen Kunst, der Boden entzogen. Hingegen wurde
das Darstellungsgebiet der Malerei über das Bildnis und eine nur dekorative Wirkung
hinaus wesentlich erweitert, indem sie geschickt wurde, nicht nur die Geschehnisse der heiligen
Geschichte zu schildern, sondern auch geistige Beziehungen und Zusammenhänge symbolisch
anzudcuten. Vollends wurden der Baukunst neue Aufgaben gestellt. Aber das auf Inner-
lichkeit gerichtete Christentum verlangte keine glänzenden Gotteshäuser, sondern schlichte
Bauten, in denen die Gemeinde dem Gottesdienste anwohnen konnte. Die an geheiligten
Orten, in Jerusalem und in Rom von Konstantin errichteten Kirchen waren durchaus prunk-
lose Zweckbauten, erst in Byzanz erstand in der Sophienkirche ein Monumentalbau, der
im Innern und im Äußern mit den Tempeln und Palästen der späten Antike verglichen
werden kann. Wie die frühchristliche Kunst aus der Antike hervorwächst, ist überall dort
deutlich, wo die christlichen Anschauungen den heidnischen verwandt sind: im Totenkult und
im Unstcrblichkeitsglaubeu. Wo es anging, hielt mau an den antiken Gewohnheiten fest,
ganz allmählich entfernte sich die christliche Darstellung von der antiken Weise.
In den gemeinsamen Begräbnisstätten (Coemeterien, Schlafkammern), welche die Christen
im Umkreis großer Städte unterirdisch anlegten (Hypogäen), in den Katakomben, finden
wir die ersten Regungen altchristlicher Kunst. In Rom, an den alten Straßen, nahe bei
der Stadt, befinden sich zahlreiche derartige Anlagen. Ursprünglich offen zugänglich, wurden
die Eingänge zu den Katakomben in den Zeiten der Verfolgungen versteckt (namentlich im
3. Jahrhundert). Die Katakomben dienten den Gläubigen als Zufluchtsorte, und gewannen