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Kunst des Mittelalters.
4. Der romanische Stil.
Die Neues schaffende Befähigung der jungen für die Kunst gewonnenen Völker zeigt
sich in der Art und Weise, wie sie die ihnen vermittelten Formen der Antike umwandeln
und durch eigene Phantasietätigkeit erneuern. In der immer selbständigeren Verwendung
des großenteils in der ost- und weströmischen Antike wurzelnden Formcnschatzes gingen die
gewerblichen Künste der Architektur voran und haben die Banornamcntik mannigfach be-
einflußt. Um der Anlehnung an die spätantiken Formen willen, heißt der seit dem 9. Jahr-
hundert bis zum 12. und 13. sich im Abendlande entwickelnde Stil der romanische Stil.
Die mit dem Kloster St. Gallen auf einem Plane, der um 820 entstanden ist,
verbundene Basilika (Abb. 403, 405) lehrt mannigfache Neuerungen im Vergleich mit
der altchristlichen Basilika kennen. Das Halbrund des Chors erhält einen niedrigeren
Umgang. Ein Querhaus schiebt sich ein, das aus drei Quadraten besteht, aus dem
mittleren — der Vierung, wo sich Lang- und Querhaus kreuzen, — und den zwei
Kreuzarmen (Nord- und Südarm). Häufig wird das Vicruugsquadrat der Abmessung
des Langhauses zugrunde gelegt. Zuweilen werden dem konzentrischen Chorumgang um
den Altarraum halbrunde Kapellen angesetzt, dann erhalten bei großen Kirchen der
Hauptchor und selbst die Kreuzflügel Nebcnchörc (Abb. 427, 428). Die der Reliquien-
verehrung dienende Krypta führt namentlich bei kreuzförmigen Anlagen zu einer Erhöhung
des Chors, so daß er wie eine Bühne in der Kirche erscheint (Abb. 405, 439). Die Anlage
eines zweiten Chores, dem Ostchor gegenüber (Abb. 403, 443, 445), hatte zur Folge, daß
die altchristliche Vorhalle im Westen anfgegeben und der Eingang an die Seiten gelegt
wnrde. Im Innern treten weniger Abweichungen von der altchristlichen Weise auf: die
Bogen von Stütze zu Stütze werden weiter, die Säulen werden durch massige Pfeiler er-
setzt, oder Säulen und Pfeiler wechseln miteinander ab, Emporen erscheinen in den Seiten-
schiffen. Nach und nach werden Türme mit dem Bau verbunden, erst an der Eingangs-
seite im Westen, dann auch an beiden Seiten und als Zentralturm über der Vierung
(Abb. 428, 434, 438, 442).
Eine wichtige Neuerung betrifft die Art der Bedachung. Als man begann, an Stelle
der feuergefährlichen flachen Holzdeckcn das steinerne Gewölbe zu setzen, wurde die durch das
Herkommen geheiligte Basilikenform noch mehr verändert. In den Krypten, in den Halb-
kuppeln der Apsiden und anderen Orts hatte man wohl die Wölbungstechnik geübt, aber
die Versuche zur Einwölbung ganzer Kirchen führten erst zu einer befriedigenden Lösung,
als der Baubetrieb, den die Geistlichkeit leitete, in die Hände von berufsmäßig organisierten
Bauhandwerkern (Laienbrüdern) überging. Dadurch wurde der technische Fortschritt be-
fördert und auch der Anteil einer volkstümlichen nationalen Kunstempfindung erst recht mög-
lich. Neben dem einfachen Tonnengewölbe (Abb. 418, 430) trat bald das Kreuzgewölbe
(Abb. 417, 441) auf, dessen vier dreieckige Kappen nur an den unteren Ansatzstellen gestützt
zu werden brauchen.
Die Stützen zeigen vielfache Bildungen. Wo Pfeiler mit Säulen abwechseln, also
ein „Stützcnwechsel" eintritt, wie namentlich bei niedersächsischen Kirchen (Abb. 433, 439),
erscheinen die künstlerisch vornehmeren Säulen als die Vertreter einer altertümlicheren Bau-
weise. Die Pfeiler sind anfangs einfach gegliedert, was ihnen an plastischen Zierformen
fehlt, ergänzte die Malerei; am Kopf zeigen sie einen Kämpferabschluß, an den Ecken sind
sie zuweilen ausgekehlt, „abgefast"; sie haben wie die Säulen meist eine attische Basis
und ruhen auf einer viereckigen Platte (Abb. 410). Später werden sie reicher gegliedert;
in die Ecken des Stammes schieben sich z. B. schmächtige Säulchen ein (Abb. 409). Auf
Kunst des Mittelalters.
4. Der romanische Stil.
Die Neues schaffende Befähigung der jungen für die Kunst gewonnenen Völker zeigt
sich in der Art und Weise, wie sie die ihnen vermittelten Formen der Antike umwandeln
und durch eigene Phantasietätigkeit erneuern. In der immer selbständigeren Verwendung
des großenteils in der ost- und weströmischen Antike wurzelnden Formcnschatzes gingen die
gewerblichen Künste der Architektur voran und haben die Banornamcntik mannigfach be-
einflußt. Um der Anlehnung an die spätantiken Formen willen, heißt der seit dem 9. Jahr-
hundert bis zum 12. und 13. sich im Abendlande entwickelnde Stil der romanische Stil.
Die mit dem Kloster St. Gallen auf einem Plane, der um 820 entstanden ist,
verbundene Basilika (Abb. 403, 405) lehrt mannigfache Neuerungen im Vergleich mit
der altchristlichen Basilika kennen. Das Halbrund des Chors erhält einen niedrigeren
Umgang. Ein Querhaus schiebt sich ein, das aus drei Quadraten besteht, aus dem
mittleren — der Vierung, wo sich Lang- und Querhaus kreuzen, — und den zwei
Kreuzarmen (Nord- und Südarm). Häufig wird das Vicruugsquadrat der Abmessung
des Langhauses zugrunde gelegt. Zuweilen werden dem konzentrischen Chorumgang um
den Altarraum halbrunde Kapellen angesetzt, dann erhalten bei großen Kirchen der
Hauptchor und selbst die Kreuzflügel Nebcnchörc (Abb. 427, 428). Die der Reliquien-
verehrung dienende Krypta führt namentlich bei kreuzförmigen Anlagen zu einer Erhöhung
des Chors, so daß er wie eine Bühne in der Kirche erscheint (Abb. 405, 439). Die Anlage
eines zweiten Chores, dem Ostchor gegenüber (Abb. 403, 443, 445), hatte zur Folge, daß
die altchristliche Vorhalle im Westen anfgegeben und der Eingang an die Seiten gelegt
wnrde. Im Innern treten weniger Abweichungen von der altchristlichen Weise auf: die
Bogen von Stütze zu Stütze werden weiter, die Säulen werden durch massige Pfeiler er-
setzt, oder Säulen und Pfeiler wechseln miteinander ab, Emporen erscheinen in den Seiten-
schiffen. Nach und nach werden Türme mit dem Bau verbunden, erst an der Eingangs-
seite im Westen, dann auch an beiden Seiten und als Zentralturm über der Vierung
(Abb. 428, 434, 438, 442).
Eine wichtige Neuerung betrifft die Art der Bedachung. Als man begann, an Stelle
der feuergefährlichen flachen Holzdeckcn das steinerne Gewölbe zu setzen, wurde die durch das
Herkommen geheiligte Basilikenform noch mehr verändert. In den Krypten, in den Halb-
kuppeln der Apsiden und anderen Orts hatte man wohl die Wölbungstechnik geübt, aber
die Versuche zur Einwölbung ganzer Kirchen führten erst zu einer befriedigenden Lösung,
als der Baubetrieb, den die Geistlichkeit leitete, in die Hände von berufsmäßig organisierten
Bauhandwerkern (Laienbrüdern) überging. Dadurch wurde der technische Fortschritt be-
fördert und auch der Anteil einer volkstümlichen nationalen Kunstempfindung erst recht mög-
lich. Neben dem einfachen Tonnengewölbe (Abb. 418, 430) trat bald das Kreuzgewölbe
(Abb. 417, 441) auf, dessen vier dreieckige Kappen nur an den unteren Ansatzstellen gestützt
zu werden brauchen.
Die Stützen zeigen vielfache Bildungen. Wo Pfeiler mit Säulen abwechseln, also
ein „Stützcnwechsel" eintritt, wie namentlich bei niedersächsischen Kirchen (Abb. 433, 439),
erscheinen die künstlerisch vornehmeren Säulen als die Vertreter einer altertümlicheren Bau-
weise. Die Pfeiler sind anfangs einfach gegliedert, was ihnen an plastischen Zierformen
fehlt, ergänzte die Malerei; am Kopf zeigen sie einen Kämpferabschluß, an den Ecken sind
sie zuweilen ausgekehlt, „abgefast"; sie haben wie die Säulen meist eine attische Basis
und ruhen auf einer viereckigen Platte (Abb. 410). Später werden sie reicher gegliedert;
in die Ecken des Stammes schieben sich z. B. schmächtige Säulchen ein (Abb. 409). Auf