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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Editor]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0042
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gerüstet zugleich mit fein empfindendem ästhetischen Gefühl,
das sich auch in eignen Versen aussprach, voll von historischen
Kenntnissen, durfte er nicht ohne ein starkes Selbstgefühl
Goethe gegenüber treten, das dieser anerkannte. Goethe war
ein Gegenstand sich unterordnender Verehrung für Müller,
zugleich aber doch ein Object kühler Beobachtung. Ein Be-
amter beobachtet immer im Gefühl von Ueberlegenheit. Goethe
wurde von Müller behandelt und empfand sich als behandelt.
Dies Verhältniß jedoch legte beiden keinen Zwang auf, nöthigte
Goethe zugleich aber zu einer gewissen Rücksichtnahme. Müller's
Tagebuchnotizen waren nur Anhaltspunkte für etwaige aus-
führliche Protokolle, in denen der Kanzler genau, aber frei,
feine Zusammenkünfte mit Goethe zu beschreiben gedachte.
Einige Jahre erst nach Goethe's Tode unternahm er die Ar-
beit. In einer Reinschrift von der Hand John's, des ehe-
maligen Goethe'fchen Dieners, lagen diese später ausgearbei-
teten Protokolle Burkhardt später vor, und zwanzig Jahre
erst nach Müller's Tode sind sie dann gleichsam wieder ent-
deckt und zum ersten Male herausgegeben worden. Ueber
das, was der Kanzler v. Müller außerdem als Verfasser und
als Executor des Goethe'fchen Testamentes für Goethe gethan
hat, gibt Burkhardt's Einleitung Auskunft. Blanches zu Er-
wartende hat Müller wohl auch nicht gethan. Des Kanzlers
spätere Laufbahn hat die günstige Meinung bestätigt, die man
von ihm hegte. In meinen Augen zeichnet ihn aus, daß er
die Gesichtspunkte eines Staatsmannes gehegt hat, der die
Angelegenheiten eines kleines Landes im Hinblicke auf dessen
mächtige Nachbarn und auf die allgemeine europäische Lage
mit Vorsicht, Weitsicht und Voraussicht leitete. Eigenschaften,
die ihn als würdigen Schüler Goethe's dastehen lassen.
 
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