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Gluck's Iphigenie in Tauris erschienen, ans der wir das
Verhältnis^ Frankreichs — in Paris wurde die Oper zuerst
aufgeführt — zu Iphigeniens Gestalt erkennen. Im selben
Frühling 1802 wurde Gluck's Werk in Weimar aufgeführt,
eine lyrische Tragödie nennt Goethe sie. Weder er aber noch
Schiller ziehen Vergleiche zwischen beiden. Gluck's Iphigenie
wird heute seltener noch als die Goethe'sche dem Publicum
vorgeführt'). Beide vertragen sich mit einander und ergänzen
sich. Und drittens muß noch dies in Betracht kommen.
Iphigenie hatte 1802 mit den Problemen nichts mehr zu thun,
die ein Vierteljahrhundert früher Goethe's Seele durchwogten.
Aber auch diese Zeiten sind dann doch nur ein Uebergang zu
anders gearteten gewesen, und in den Jahren des Alters trat
das Stück wieder näher an ihn heran. Eckermann hörte von
Goethe das Geständniß, er habe nie eine vollendete Vorstellung
Iphigeniens gesehen: dieser Aeußerung entnehmen wir, wie
hohe Ansprüche Goethe zuletzt wieder für sie machte.
V.
Jni zweiten Aufzuge erst, als Orest und Pylades ein-
treten, erfahren wir aus deren Gespräche, wie es in Aga-
memnon's Hause uach seiner Ermordung zuging; Ereignisse,
die Iphigenie noch nicht kennt, aber zu ahnen scheint. Für
sie, die Trägerin einer schuldbeschwerten Vergangenheit ist die
Zukunft bereits verwirkt. Als sei Glück unmöglich und das
Furchtbarste noch zu erwarten.
0 Ich fragte neulich einen unserer besten jüngeren Musiker nach
seinem Urtheil über die Oper: er kannte sie überhaupt nicht. Auch
Goethe's Werk findet nur selten innerhalb unserer Schauspielhäuser Ver-
ehrung und Verständnih.
Gluck's Iphigenie in Tauris erschienen, ans der wir das
Verhältnis^ Frankreichs — in Paris wurde die Oper zuerst
aufgeführt — zu Iphigeniens Gestalt erkennen. Im selben
Frühling 1802 wurde Gluck's Werk in Weimar aufgeführt,
eine lyrische Tragödie nennt Goethe sie. Weder er aber noch
Schiller ziehen Vergleiche zwischen beiden. Gluck's Iphigenie
wird heute seltener noch als die Goethe'sche dem Publicum
vorgeführt'). Beide vertragen sich mit einander und ergänzen
sich. Und drittens muß noch dies in Betracht kommen.
Iphigenie hatte 1802 mit den Problemen nichts mehr zu thun,
die ein Vierteljahrhundert früher Goethe's Seele durchwogten.
Aber auch diese Zeiten sind dann doch nur ein Uebergang zu
anders gearteten gewesen, und in den Jahren des Alters trat
das Stück wieder näher an ihn heran. Eckermann hörte von
Goethe das Geständniß, er habe nie eine vollendete Vorstellung
Iphigeniens gesehen: dieser Aeußerung entnehmen wir, wie
hohe Ansprüche Goethe zuletzt wieder für sie machte.
V.
Jni zweiten Aufzuge erst, als Orest und Pylades ein-
treten, erfahren wir aus deren Gespräche, wie es in Aga-
memnon's Hause uach seiner Ermordung zuging; Ereignisse,
die Iphigenie noch nicht kennt, aber zu ahnen scheint. Für
sie, die Trägerin einer schuldbeschwerten Vergangenheit ist die
Zukunft bereits verwirkt. Als sei Glück unmöglich und das
Furchtbarste noch zu erwarten.
0 Ich fragte neulich einen unserer besten jüngeren Musiker nach
seinem Urtheil über die Oper: er kannte sie überhaupt nicht. Auch
Goethe's Werk findet nur selten innerhalb unserer Schauspielhäuser Ver-
ehrung und Verständnih.