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wandte, in dessen Mitte er lebte, und dem er, was er
niederschrieb, oft genug mündlich aussprach. Er behandelt in
seiner Schilderung gesellschaftlicher Zustände Männer zuweilen
wie persönlich Bekannte, die es weder waren noch sein konnten.
Aber er hatte doch die Luft selbst geathmet, in der auch sie
als Lebende noch athmeten. Julian Schmidt's „Deutsche
Literaturgeschichte" wird in ihren letzten Theilen mit den
Jahren immer mehr den Charakter zeitgenössischer Nieder-
schrift tragen und als solche unentbehrlich sein. Dadurch be-
kommt auch Treitschke's letzter Band zuweilen den Anschein
des Memoirenhafteu. Schmidt's Werk repräsentirt die Mei-
nung der gemäßigt liberalen Partei. Treitschke steigert sich
nicht selten zu einer seiner persönlichen Neigung oder Ab-
neigung entspringenden, scharf accentuirteu, beinahe dichte-
rischen Anschauung' Schmidt gibt in ruhigerer Sprache das
zu verantwortende Durchschnittsurtheil des einstigen constitu-
tionellen Publicums. Seine fünf Bände sind ein literarhisto-
risches Glaubensbekenntniß für die Zeiten nach 1848, wie
Gervinus' „Geschichte der deutschen Nationalliteratur" eins
für die Zeiten nach 1830 war. Beide Werke haben ihren
gesicherten Bestand. Sie dürfen in keiner Bibliothek fehlen.
Sie sind Zeugnisse. Ich möchte hier, meiner Neigung folgend,
ganze Reihen der von Julian Schmidt charakterisirten Män-
ner einzeln besprechen und, was von ihm über sie geurtheilt
worden ist, mit dem Urtheil anderer Historiker vergleichen.
Aber es muß genügen, hierauf hingewiesen zu haben. Ueber-
all wäre auf eine andere Mischung persönlichen intimen Ver-
ständnisses (oder auch Mißverständnisses, von denen ja auch
Treitschke nicht frei war) hinzuweifen, die sich in diesen
Schriften einer vergehenden Epoche ausspricht.
wandte, in dessen Mitte er lebte, und dem er, was er
niederschrieb, oft genug mündlich aussprach. Er behandelt in
seiner Schilderung gesellschaftlicher Zustände Männer zuweilen
wie persönlich Bekannte, die es weder waren noch sein konnten.
Aber er hatte doch die Luft selbst geathmet, in der auch sie
als Lebende noch athmeten. Julian Schmidt's „Deutsche
Literaturgeschichte" wird in ihren letzten Theilen mit den
Jahren immer mehr den Charakter zeitgenössischer Nieder-
schrift tragen und als solche unentbehrlich sein. Dadurch be-
kommt auch Treitschke's letzter Band zuweilen den Anschein
des Memoirenhafteu. Schmidt's Werk repräsentirt die Mei-
nung der gemäßigt liberalen Partei. Treitschke steigert sich
nicht selten zu einer seiner persönlichen Neigung oder Ab-
neigung entspringenden, scharf accentuirteu, beinahe dichte-
rischen Anschauung' Schmidt gibt in ruhigerer Sprache das
zu verantwortende Durchschnittsurtheil des einstigen constitu-
tionellen Publicums. Seine fünf Bände sind ein literarhisto-
risches Glaubensbekenntniß für die Zeiten nach 1848, wie
Gervinus' „Geschichte der deutschen Nationalliteratur" eins
für die Zeiten nach 1830 war. Beide Werke haben ihren
gesicherten Bestand. Sie dürfen in keiner Bibliothek fehlen.
Sie sind Zeugnisse. Ich möchte hier, meiner Neigung folgend,
ganze Reihen der von Julian Schmidt charakterisirten Män-
ner einzeln besprechen und, was von ihm über sie geurtheilt
worden ist, mit dem Urtheil anderer Historiker vergleichen.
Aber es muß genügen, hierauf hingewiesen zu haben. Ueber-
all wäre auf eine andere Mischung persönlichen intimen Ver-
ständnisses (oder auch Mißverständnisses, von denen ja auch
Treitschke nicht frei war) hinzuweifen, die sich in diesen
Schriften einer vergehenden Epoche ausspricht.