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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0217
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Diese Art historischer Beurtheilung der Männer und
Verhältnisse ist fast schon abgekommen. Heute beruft man sich
bei Charakteristiken auf das, was Andere gesagt hätten. Eine
mehr rechthaberische Hervorhebung einzelner notizenhaft ab-
gegrenzter Thatfachen ist eingetreten, der nur zu entnehmen
ist, daß über gewisse Fragen einzelne Leute im Streite liegen,
und daß ein Richter, bei dessen Spruche man sich beruhigen
könne, fehlt. Ich verfolge das nicht weiter. —
Es ist meine Art, in zufällig freien Augenblicken zu-
weilen Bücher in die Hand zu nehmen und auf gut Glück zu
öffnen, ob man sich weiter zu lesen veranlaßt fühle. Fasse
ich zufällig einen Band unserer zahlreichen Literaturgeschichten,
so erlahnit meine Neugier meist rasch, weil ich zu genau
weiß, was kommt. Julian Schmidt's Geschichte der Deut-
schen Literatur aber hat etwas dauernd Erfrischendes. Die
Person des Berichterstatters tritt dicht an uns heran. Wir
erfreuen uns seines Hellen Blickes. Seines Hinwegeilens über
das Gleichgültige. Seines Beharrens beim Jnhaltreichen.
In Summa, des Zusammenseins mit einem Manne, der sich
unbefangen im Gefühle aussprach, einer von den Mitarbei-
tenden zu sein, die sicherlich Gehör finden. Er bildete die
Mitte eines Kreises. Als Denkmal dieses Kreises mag der
Schreibtisch dienen, der Julian Schmidt bei seinem sechzigsten
Geburtstage von seinen Freunden geschenkt ward und eine
silberne Platte mit ihren Namen trägt. Es ist kein bloßer
Schicksalseinfall, wenn ein Mann in Berlin das Centrum
eines Kreises bildet. All' diese Leute um Julian waren
etwas und wurden noch mehr. Worauf war die Theilnahme,
die sie für ihn hegten, begründet? Wo lag dieses Mannes
Schwerpunkt? Weshalb fiel sein Urtheil ins Gewicht?
Herman Grimm, Fragmente. 13
 
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