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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0282
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Curtius ihm 1869 sein Buch gab: „Wenn Sie den Ent-
mickelungsgang eines Volkes schildern, das bei einer seltenen
Fülle geistiger Gaben durch Uneinigkeit der Fremdherrschaft
und inneren Zerrüttung anheimfällt, fo gebe ich mich der
Hoffnung hin, daß Ihre Darstellung dazu beitragen wird,
die Treue gegen das Deutsche Vaterland zu stärken und die
Nothwendigkeit nationalen Zusammenhaltens auch in weiteren
Kreisen zum lebendigen Bewußtsein zu bringen." Curtius
theilte gewiß diese Hoffnung: deshalb jedoch hatte er sein
Werk nicht unternommen. Für Ranke aber gab es kaum
solche Hintergedanken bei seinen Arbeiten. Das Deutschland
seiner Zeit wurde von den Diplomaten regiert. An den Höfen
und im Eschenheimer Palais zu Frankfurt wußten sie allein
die Geheimnisse unserer Politik. Sie allein sprachen entschei-
dende Worte über Deutschlands Schicksal, aber im Geheimen,
und wurden im Geheimen gehört. Die „Augsburger Allge-
meine Zeitung" empfing von Wien zuweilen ausgewählte
Orakel. Mehr als aus diesen Mittheilungen zu deuten war,
erfuhr das Publicum kaum. Ranke machte die Berichte der
Diplomaten früherer Epochen als Geschichtsquellen sicherster
Art zugänglich. Er schrieb einem vornehmen, wissenden Publi-
cum über hohe Persönlichkeiten als die weltbewegenden Ge-
walten, zu denen er selbst gesellschaftlich emporblickte, während
Treitschke auf sie herabsah.
Früher sterbend, aber der Zahl der Jahre nach noch
älter werdend als Curtius, vermochte Ranke in noch höherem
Grade als Curtius seine Epoche auszuleben. Auch er hat
keine unausgesprochenen Gedanken mit ins Grab genommen.
Seine glattgeschriebene Weltgeschichte wird von Einigen als
ein letztes Lebenszeichen seiner weiterforschenden Kraft ange-
 
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