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DAS ORNAMENT

EINLEITUNG

Mit Ornament, dies Wort kommt von dem lateinischen Wort „ornare“ und bedeutet
schmücken, bezeichnen wir alle Formen, deren Gestaltung von einer ausgesprochenen
Gesetjmäßigkeit beherrscht wird und die zu allererst als Schmuck wirken soll.

Die Sitte der Völker, in ihre Waffen und Geräte geometrische Zeichen zu machen, also
sie zu verzieren, ist wohl so alt wie die Kultur überhaupt und geht in die unerforschte
Vorzeit zurück.

Die Anregung hierzu hat gewiß die Natur gegeben, deren gesetpnäßig schöne Werke
den Menschen zur Nachahmung angeregt haben mögen.

Wie kann man sich nun die Entwicklung des Ornaments vorstellen?

Ich denke mir die Sache folgendermaßen:

Neben den verschiedenen Geistesgahen, die dem Menschen gegeben sind, ist auch der
geheimnisvolle Kunsttrieb in seine Seele und seinen Geist gepflanzt worden. Dieser Trieb
mag zuerst aus dem Bedürfnis heraus entstanden sein, seine Waffen, seine Geräte von
anderen zu kennzeichnen, indem er Punkte und Striche darauf einritjte. Aus dieser Mar-
kierung oder Kennzeichnung entstand der Zierat. Die Sitte, in Form geometrischer Figuren
Zeichen zu machen, ist wohl ebenso alt wie die Menschheit und wurde um so mehr geübt,
je weniger die Schrift vollkommen oder doch Allgemeingut war, je mehr mit einem Zeichen
gesagt, beglaubigt, vorgestellt usw. wurde. Dieser Zierat beschränkte sich nicht nur auf das
Gerät, sondern wurde auch auf den Körper des Menschen, der vorgeschichtlichen Zeit natür-
lich, übertragen. Die Tätowierung oder Tatauierung, die wir heute noch bei einzelnen Natur-
völkern finden, war damals allgemein üblich.

Wenn uns auch keine Denkmäler der ältesten vorgeschichtlichen Menschen hinterlassen
sind, so werden sie doch nicht viel anders gewesen sein als die von der Kultur unberührten
Naturvölker Innerafrikas oder Polynesiens. Deren Kulturstufe dürfte im großen und ganzen
der der vorhistorischen Menschen gleich sein.

Ein mehr oder minder entwickelter Sinn für den Schmuck des Körpers, der Waffen, der
Hausgeräte ist allen diesen Naturvölkern eigen. Bei diesen Völkern, die in jahrtausende-
langer Abgeschlossenheit gelebt halten, finden wir auch dieselben ursprünglichen Ornamente,
die sogenannten geometrischen oder linearen Muster, wieder. Diese Linearmuster bestanden
anfangs wohl nur aus Punkten, Kreuzen, aus Zickzacklinien usw. und sind später erst durch
Hinzufügen von geschwungenen Linien und in noch weiterer Entwicklung aus halben und
ganzen Kreisen, der Spirale und am Ende gar aus mannigfaltigen Linienverschlingungen
zu Ornamenten geworden.

Erstaunlich ist es nun, daß diese Urformen des Ornaments bei allen Völkern fast die
gleichen sind.

Geometrische

Formen

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