Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Horn s und Chamisso’s Leben und Schriften. 563
Während Chamisso als Franzose in seinem Stammsitze ohne
Ahnung seines künftigen deutschen Schriftstellerthums bis zum
Sturm der Revolution friedlich aufwuchs, ward Franz Horn von
einer alten deutschen Schulmeisterin mit einem Rohrscepter regiert
und in das deutsche ABO eingeweiht, und allerlei sonderbare Re-
densarten, Sprüchwörter, geistliche und weltliche Liederverse wur-
den seinem Knabengedäcbtniss eingeprägt; eine alte treue Magd
am Spinnrocken und der Sonntagsbesuch einer greisen Nachbarin
nährte seine Phantasie mit Harzsagen und andern vaterländischen
Mährchen, so dass ihn frühzeitig der Schauer einer geheimen Poe-
sie anwehte. Den Tod der Mutter empfand der Knabe mit über-
wältigender Heftigkeit; der erste und bleibende Schatten wurde
dadurch über sein eignes Leben geworfen; schon jetzt begannen
bei ihm die an Schlaf verkürzten Nächte und eine sich überzei-
tigende Geist- und Seelenentwicklung. Dennoch blieb er bis jetzt
körperlich gesund und kräftig.
Bei Chamisso kamen die ersten Lebensstörungen von aus-
sen. Die Revolution brach aus; Boncourt wurde dem Boden gleich
gemacht, und aus der Zerstörung von vielen Schätzen nichts,
selbst nicht der Degen des Marschalls, den dieser am Vorabend
einer entscheidenden Schlacht dem Grossvater für einen muthigen
Botendienst durch Feindeslager (1738) geschenkt hatte, gerettet.
Chamisso’s Brüder setzten ihr Leben für den unglücklichen Lud-
wig XVI. als Pagen aufs Spiel: Adelbert war als Knabe nachdenk-
lich und wortkarg, liebte sich abzusondern und zu raeditiren. Er
selbst schildert sich, wie er damals Insekten erspähte, neue Pflan-
zen fand, die Gewitternächte anschauend und sinnend am offenen
Fenster durchwachte, wie alle seine Spiele, sein Schaffen und Zer-
stören auf physikalische Experimente und nach Forschen der Ge-
setze der Natur ausging (I., 56). So spiegelte sich in Beider
Kindheit ihre künftige Bestimmung. Als neunjährig verliess Cha-
misso mit den verarmten Aeltern und Geschwistern Frankreich um
1790. Die flüchtige Familie wandte sich anfangs nach den Nie-
derlanden, dann ins südliche Deutschland, und während Franz
Horn zu Braunschweig über den Classikern brütete, und als Le-
benswürze das periodisch in der Vaterstadt erscheinende Theater
genoss, finden wir Chamisso’n zu Würzburg (1795) als vier-
zehnjährig eifrig den zeichnenden Künsten ergeben und zwischen
ihm und dem nachmals berühmt gewordenen Martin Wagner, dem
Berichterstatter über die Aegineten, ein Freundschaftsbündnis» ge-
schlossen.
 
Annotationen