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zunächst von Bern.

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reite um den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts Anton Un-
ternährer aus Schöpfheim im Kanton Luzern gegeben, „Wenn
Jemand44^ lehrte er, „sich dünkct weise zu seyn, der werde ein
Narr! Barum heisse ich Unternährer, weil ich neben andern
der närrischste aller Menschen auf Erden bin44 (S. 12). Aehn-
lieh redeten bekanntlich die Heilandsschreier Savonarolas: „ogni
gridi com’ io grido, sempre pazzo, pazzo, pazzo!44 (Jeder schreie,
wie ich schreie, ein Narr macht leicht tausend dreie!). Die Sucht,
um Jesu willen ein Narr zu werden oder die Muck er ei,
leitet Herrn Zyro für den Kanton Bern auf die sogeheissenen
Brüggeler um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zurück.
Aber diese liebliche Narrheit, gewöhnlich von Schuldentilgung,
Weiber- und Gütergemeinschaft begleitet, ist weit älter; sie springt,
Tendenzen des Mittelalters zu übergeben, klar in den Wieder-
täufern, den Ultra-Jacobinern der Reformation, hervor*) und
hat, geläutert durch die Zeit, allen Stürmen der Verfolgungen ge-
trotzt, bald als geordnete Wiedertäuferei, bald als regellose, vom
gröbsten Sensualismus und feinsten Spiritualismus umge-
bene Sectirerei. Ihr gehörte auch Michel an, dermalen in einem
Gefängniss des Bernischen Oberlandes mit mehren Glaubensgenos-
sen wohnhaft und in gerader Linie dem von Herrn Zyro weit-
läufiger geschilderten Anton Unternährer entsprossen. Die-
ser, ein geborner Katholik, Geisterbanner und Abentheurer, warb
in den verschiedenen Krisen der Helvetischen Revolution aus Wei-
bern und Männern einen beträchtlichen Anhang, welcher mit dem
in der Haft zu Luzern verstorbenen Meister (1894) und Heiland
keineswegs endigte, sondern in allerlei Gestalten fortwirkte. Un-
ternährer war übrigens kein gewöhnlicher Kopf; er kannte die
Schwächen des Landvolks und wusste sie auszubeuten, wie denn
die häufigen politischen Wechsel, getäuschten Wünsche und Hoff-
nungen die Phantasie spannen, dem Wunder- und Propheteoglau-
ben Wege und Stege ebnen, den von Steuern und Einquartierun-
gen geplagten Landmann für geistliche Gaukeleien empfänglich
machen mussten. Ist es doch gegenwärtig nicht anders, jedoch
mit dem bedeutenden Unterschiede, dass damals die Schweiz ihre
Zionswächter und Messiasverkündiger als eigenes Gewächs zog*,
jetzt aber bei steigender Parteiohnmacht einen Albr echt in Bern,
*) S. BulliLngcr, der Widertäufferen Ursprung etc. 1510. auf Seite 9.
und anderswo.
 
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