Fauriel: Poesie provengale.
185
Wir müssen gestehen, dass die Beweise des Verf. für den Ursprung
der epischen Literatur in der Provence nicht so stark sind, um uns ganz
zu überzeugen. Er spricht fast nur von verlornen Dokumenten, und
weiss nicht zu sagen, ob sie etwas mehr als poetisch übertriebene Er-
zählungen der Heldenthaten Einzelner sind. Die alten rohern Epen und
Volkstraditionen, welche in den Tagen der gewaltigen Kämpfe im sechs-
ten bis neunten Jahrhundert entstanden sind, wurden in einer spätem
Kampfepoche, zur Zeit der Kreuzzüge künstlich bearbeitet, und je nach-
dem eine Nation den alten kräftigem Geist bewahrt hatte, herrschte in
diesen Bearbeitungen mehr das Aechtritterliche, die Thatkraft ohne ro-
mantische Ausschweifungen vor, und fanden solche Bearbeitungen auch
im Volk grossen Anklang. Dass aber um die Zeit der Kreuzziige die
alten Epen und dichterischen Bearbeitungen der Volkstraditionen grade
in der Provence vergessen wurden und verloren gingen, beweist mit der
gleichzeitigen Erscheinung der so enthusiastisch kultivirten und gekünstel-
ten Lyrik, dass dort nicht die Heimath der Epen war. Wenn die Pro-
vence gleich andern Ländern ihr Ritterthum hatte, so lässt sich anneh-
men, dass dort entweder der Ileldeusinn und Thatendurst nie so allge-
mein und kräftig war, oder dass er noch vor den Kreuzzügen einer
weichlichem Sinnesart Platz gemacht habe, und dies ist kein Boden für
die Pflege der Epen. Wir erblicken in vielen Gedichten der Provenzalen
einen ziemlichen Widerwillen , ihr schönes Land, ihre angenehme weiche
Lebensart zu verlassen, um das heilige Grab von den Arabern zu be-
freien. Bei den zwei ersten Kreuzzügen Hessen sie sich gar nicht hören.
Der dritte aber fällt in die Bliithezeit der provenzalischen Poesie, und
erzeugte einen Regen von Gedichten. Aber welcher Art waren sie?
Entweder Ermunterungen an Andere, das Kreuz zu nehmen, oder sie
sprechen dia eignen Gedanken und Empfindungen der Dichter aus. Mei-
stens aber scheint der Kreuzzug nur benutzt zu sein, um eine Abwechs-
lung in die gewöhnlichen Liebesgedichte zu machen. Denn es gibt we-
nige von diesen Kreuzzuggedichten, in welchen die Galanterie nicht eine
Rolle spielt. Bald ist es das Bedauern über den Verlust seiner Dame,
was den Sänger nach Jerusalem und in den Tod treibt, bald will er
sich trösten über die Härte oder Untreue seiner Dame, bald geht er
auf Befehl seiner Dame, bald in der Hoffnung, durch diese Probe
von Ergebenheit ihre Gunst zu gewinnen. Die erstere Art aber, die
Ermunterungspredigten an Andre, das Kreuz zu nehmen, war die ver-
breitetste, und hierin Hessen sich die Troubadours brauchen wie die
Pfaffen, auch waren Form und Inhalt dieser Gedichte, welche in allen
185
Wir müssen gestehen, dass die Beweise des Verf. für den Ursprung
der epischen Literatur in der Provence nicht so stark sind, um uns ganz
zu überzeugen. Er spricht fast nur von verlornen Dokumenten, und
weiss nicht zu sagen, ob sie etwas mehr als poetisch übertriebene Er-
zählungen der Heldenthaten Einzelner sind. Die alten rohern Epen und
Volkstraditionen, welche in den Tagen der gewaltigen Kämpfe im sechs-
ten bis neunten Jahrhundert entstanden sind, wurden in einer spätem
Kampfepoche, zur Zeit der Kreuzzüge künstlich bearbeitet, und je nach-
dem eine Nation den alten kräftigem Geist bewahrt hatte, herrschte in
diesen Bearbeitungen mehr das Aechtritterliche, die Thatkraft ohne ro-
mantische Ausschweifungen vor, und fanden solche Bearbeitungen auch
im Volk grossen Anklang. Dass aber um die Zeit der Kreuzziige die
alten Epen und dichterischen Bearbeitungen der Volkstraditionen grade
in der Provence vergessen wurden und verloren gingen, beweist mit der
gleichzeitigen Erscheinung der so enthusiastisch kultivirten und gekünstel-
ten Lyrik, dass dort nicht die Heimath der Epen war. Wenn die Pro-
vence gleich andern Ländern ihr Ritterthum hatte, so lässt sich anneh-
men, dass dort entweder der Ileldeusinn und Thatendurst nie so allge-
mein und kräftig war, oder dass er noch vor den Kreuzzügen einer
weichlichem Sinnesart Platz gemacht habe, und dies ist kein Boden für
die Pflege der Epen. Wir erblicken in vielen Gedichten der Provenzalen
einen ziemlichen Widerwillen , ihr schönes Land, ihre angenehme weiche
Lebensart zu verlassen, um das heilige Grab von den Arabern zu be-
freien. Bei den zwei ersten Kreuzzügen Hessen sie sich gar nicht hören.
Der dritte aber fällt in die Bliithezeit der provenzalischen Poesie, und
erzeugte einen Regen von Gedichten. Aber welcher Art waren sie?
Entweder Ermunterungen an Andere, das Kreuz zu nehmen, oder sie
sprechen dia eignen Gedanken und Empfindungen der Dichter aus. Mei-
stens aber scheint der Kreuzzug nur benutzt zu sein, um eine Abwechs-
lung in die gewöhnlichen Liebesgedichte zu machen. Denn es gibt we-
nige von diesen Kreuzzuggedichten, in welchen die Galanterie nicht eine
Rolle spielt. Bald ist es das Bedauern über den Verlust seiner Dame,
was den Sänger nach Jerusalem und in den Tod treibt, bald will er
sich trösten über die Härte oder Untreue seiner Dame, bald geht er
auf Befehl seiner Dame, bald in der Hoffnung, durch diese Probe
von Ergebenheit ihre Gunst zu gewinnen. Die erstere Art aber, die
Ermunterungspredigten an Andre, das Kreuz zu nehmen, war die ver-
breitetste, und hierin Hessen sich die Troubadours brauchen wie die
Pfaffen, auch waren Form und Inhalt dieser Gedichte, welche in allen