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Brodersen, Kai; Holm-Hadulla, Rainer Matthias [Hrsg.]; Assmann, Jan [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Kreativität — Berlin, Heidelberg [u.a.], 44.2000

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https://doi.org/10.11588/diglit.4064#0009
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2 Rainer M. Holm-Hadulla

explosionsartige Wissenszuwachs in den Naturwissenschaften habe nach
dem i. Weltkrieg alle Bereiche des modernen Lebens erfasst. Im Rahmen der
„Big Science" werden Entdeckungen zunehmend von Großgruppen oder von
Forscherkonsortien gemacht. Dies ermöglicht, dass in Kürze der Bauplan
des menschlichen Lebens vorliegen wird. Mit der individuellen Genanalyse
lässt sich möglicherweise dann der genetisch vererbbare Anteil der Kreativi-
tät genauer bestimmen. Im Vergleich mit der Kunst dauert der Erwerb der
Grundlagen für Kreativität in den Naturwissenschaften länger, dennoch sind
auch hier spielerische Freude, gedankliche Freiheit und Phantasie von Be-
deutung. Kreativ ist der Wissenschaftler, wenn er Bestehendes herausfordert,
neue verblüffende Hypothesen formuliert und sie ggf. experimentell beweist.
Die individuelle Kreativität benötigt ein förderliches Arbeitsklima, um sich
der Sache selbst lustvoll widmen zu können. Sorgenfreiheit, flache Hierar-
chien, spontane Kommunikation und sinnvolles Elitebewusstsein sind wich-
tige Rahmenbedingungen.

In der Suche nach tieferen Wurzeln naturwissenschaftlicher Kreativität
geht Krammer von der Vorstellung aus, „den Schleier des Verborgenen der
Natur zu lüften". Trotz dieser Intention bleibt dem Wissenschafter immer
der letzte Blick verwehrt und dies ist der Blick über den Tod hinaus. Die ver-
zweifelte Abwehr des Unabänderlichen, des Todes, kann Kreativität mobili-
sieren. Hiermit nähert sich Krammer psychodynamischen und existenzphi-
losophischen Konzeptionen der Kreativität, die im Beitrag von Holm-Hadulla
geschildert werden. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die tieferen Wur-
zeln der Kreativität des Naturwissenschaftlers nicht von denjenigen anderer
Menschen. Kreative Forscher drücken „ihre" Todesabwehr dadurch aus,
dass sie Forscher geworden sind. Als Naturwissenschaftler, der sich mit dem
programmierten Tod von Zellen auseinandersetzt, begründet dies Krammer
durch eine Reflexion von Schuberts Quartett „Der Tod und das Mädchen":
Auch in den rational strukturierten Naturwissenschaften liegt im Span-
nungsfeld zwischen Erotik und Tod die Quelle unserer Kreativität verbor-
gen. Der Beitrag legt die Ansicht nahe, dass Kreativität gefördert werden
kann, wenn die Ausbildung genügend Freiraum zu echter Forschung lässt.
Dies unterstreicht auch Gisbert Freiherr zu Putlitz in einem Geleitwort,
wenn er betont, dass die Erhaltung von Ausbildung durch Forschung eines
der vordringlichsten Ziele der Universitätspolitik ist.

In seinem grundlegenden Beitrag „Mozart - oder unser Unvermögen, das
Genie zu begreifen" setzt sich der Naturwissenschaftler und Nobelpreisträ-
ger Manfred Eigen mit den genetischen Bedingungen der Kreativität ausein-
ander. In seinem immer noch höchst aktuellen Beitrag geht er davon aus,
dass Genialität ein genetisches Erbe der Menschheit ist und ohne die Vielfalt
genialer Leistungen unser Leben öd und leer wäre. Erstaunlich ist aus gene-
tischer Sicht, dass herausragende Kreativität als solche nicht vererbbar ist.
 
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