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Brodersen, Kai; Holm-Hadulla, Rainer Matthias [Hrsg.]; Assmann, Jan [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Kreativität — Berlin, Heidelberg [u.a.], 44.2000

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https://doi.org/10.11588/diglit.4064#0010
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17 Wege zur Kreativität - Kin Überblick J

Die Familie Bach im Bereich der Musik und die Familie Bohr im Bereich der
Naturwissenschaften sind eher Ausnahmen, die die Regel bestätigen, dass
Genies fast nie geniale Kinder zeugen. Im Genie wirken viele Faktoren zu-
sammen, sowohl ererbte als auch erworbene. Das Zusammenwirken dieser
Faktoren auf der Ebene der Organismen ist immer noch ein Buch mit sieben
Siegeln. Die Schwierigkeit einer Unterscheidung ererbter und erworbener
Begabungen liegt darin, dass unser Zugang zum Genotyp der Phänotyp ist.
Dennoch hat die Molekularbiologie Fortschritte gemacht, die noch vor we-
nigen Jahren unvorstellbar waren. Dies ist auch in dem Beitrag von Peter
Krammer beschrieben. Der Züchtung von Kreativität sind dennoch enge
Grenzen gesetzt. Auch verbieten ethische Bedenken eine Vergewaltigung der
menschlichen Natur. Langfristig würde jede Vereinheitlichung einer biologi-
schen Spezies ihren Tod bedeuten. Individuelle Differenziertheit ist gerade
ein typisches Merkmal des Kreativen. Eine Nachbildung der „Anatomie des
Geistes" ist ohnedies wegen der gestalthaften Natur der in den Erregungs-
mustern des Gehirns gespeicherten Programme nicht möglich.

Die Unmöglichkeit Genialität naturwissenschaftlich festzulegen erläutert
Eigen an der Entwicklung der modernen Mathematik und der Musik. Be-
sonders Mozart ist ihm ein Lehrmeister der zeigt, dass die für die Musikali-
tät spezifischen Kennzeichen keineswegs ausreichend für musikalische
Kreativität sind. Die Fähigkeit zur gestalthaften Erfassung der musikalischen
Struktur, Einfallsreichtum und ein ständiges geistiges „Stirb und Werde"
sind Eigenschaften des schöpferischen Künstlers. Die in Harmonie von
Können und Wollen begründete innere Wahrhaftigkeit bedingt das Kunst-
werk. In den Naturwissenschaften kommen andere Eigenschaften hinzu.
Neben Konzentrationsvermögen, Disziplin und Fleiß geht es um ein klares
Augenmaß für das Wesentliche, richtige Einschätzung des Machbaren und
Weitsicht in der Beurteilung der Konsequenzen. Auch eine kongeniale Atmo-
sphäre in Forschungsgruppen ist von hoher Bedeutung. Als Fazit ergibt sich,
dass Höchstbegabungen selten sind und eine genetische Komponente haben.
Deswegen muss man Talente suchen, man kann sie nicht heranzüchten. Die
Vielzahl der beteiligten genetischen Komponenten und ihre Expression auf
der geistigen Ebene, auf der sie mit Erlerntem vermengt sind, machen es
unmöglich, aus Tests allein eindeutige Voraussagen über die zu erwartende
Leistungsfähigkeit herzuleiten. Weil Begabung sich nur in einem intellektu-
ell stimulierenden Feld entwickeln kann, sollte sich in den Schulen und Uni-
versitäten der allgemeine Anspruch auf Bildung mit einem Anreiz zu elitärer
Leistung paaren.

Die Oberbürgermeisterin der Stadt Heidelberg, Beate Weber, findet in
„Politik und Kreativität" ein Begriffspaar, in dem Anspruch und Wirklich-
keit aufeinanderprallen. Der Alltag setzt der Kreativität allzu oft Grenzen
durch Gesetze, Mehrheitsverhältnisse, Kompromisse und Beharrungsten-
 
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