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Brodersen, Kai; Holm-Hadulla, Rainer Matthias [Editor]; Assmann, Jan [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Kreativität — Berlin, Heidelberg [u.a.], 44.2000

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4064#0253
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246 Maria-Sibylla Lotter

gibt, das von Wert ist. Sofern man überhaupt ein Ziel hat, kann es nur in der
Selbsterkenntnis, der Ermittlung der „blinden Prägung" bestehen, die alle
eigenen Handlungen tragen. Dieses Ziel kann zumindest beschäftigen, das
„Weiterleben" von einem Moment zum nächsten ermöglichen, das scheint
Larkin mit dem Titel seines Gedichts ausdrücken zu wollen. Aber kann es
unserer endlichen Existenz einen Sinn geben? Der Larkins offenbar nicht.
Die „blinde Prägung" ausdrücken zu wollen, die sich in allem Handeln zeigt,
verliert für ihn ihre Bedeutung, wenn er an den „grünen Abend" seines To-
des denkt; denn schließlich „galt sie nur einmal, nur für einen Menschen,
und der liegt im Sterben."

Es liegt nahe, Larkins Gedicht auf dessen eigene Situation zu beziehen: auf
die Situation des Künstlers, der in jeder Lebenslage das Ziel verfolgt, einen
angemessenen sprachlichen Ausdruck für die eigene Individualität zu fin-
den. „Hätte ein einzelner Mensch nun die Aufrichtigkeit und Treue, sich
selbst zu zeichnen, ganz, wie er sich kennet und fühlet, hätte er Muts genug,
in den tiefen Abgrund platonischer Erinnerung hineinzuschauen und sich
nichts zu verschweigen, Mut genug, sich durch seinen ganzen belebten Bau,
durch sein ganzes Leben zu verfolgen -[...] Kein Teil, glaube ich, kein Glied
wäre ohne Beitrag und Bedeutung," schreibt Johann Gottfried Herder vor
mehr als zweihundert Jahren.1 Gerade nicht in allgemeinen Weisheiten, in
der Langeweile philosophischer „Wortnebel" liegt ihm und den Frühroman-
tikern zufolge die Aufgabe der Kunst, sondern in einem getreuen Ausdruck
der Individualität. Denn nicht in der Formulierung allgemeiner Behauptun-

Abb. 1. Johann Gottfried Herder [i]

Herder (1982), S. 355.
 
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