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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0014

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2 Klaus Kempter

Nachkriegsbooms, dem Ende des „Goldenen Zeitalters" (Eric }. Hobsbawm),
beständig an. Konservative Publizisten erhoben mahnende Zeigefinger ob des
Verlusts an kulturellem Wissen, an Sittlichkeit und Anstand. Und auch Helmut
Kohls „Wende", die 1982 eingeleitete oder zumindest angekündigte „geistig-
moralische Erneuerung", speiste ihre Legitimation in der Bevölkerung nicht
zuletzt aus dem Gefühl, es sei des Guten (respektive des Schlechten) in Sa-
chen „Emanzipation" auch im Bildungsbereich zu viel getan worden. Kohl
selbst hatte des Öfteren gegen die von ihm so genannte „Konflikt-Pädagogik"
polemisiert und sich den Appellen angeschlossen, die „Mut zur Erziehung" ver-
langten. Zu einem breiten Debattenstrom liefen die unterschiedlichen Klagen
über kulturelle Modernisierungsverluste jedoch erst seit Ende der neunziger
Jahre zusammen.

Dabei waren und sind die Argumente des konservativen Lagers, anders
als es lange Zeit von seinen Gegenspielern dargestellt wurde, nicht bloß Ideo-
logie. Die gesellschaftliche Praxis, jedenfalls die Nachrichten darüber, schei-
nen die Warner zunehmend zu bestätigen: Unternehmer klagen immer hör-
barer über die mangelnden Kenntnisse derjenigen, die sich bei ihnen um eine
Ausbildung bewerben, die erste PISA-Studie1 von 2001 bescheinigte den deut-
schen Schülern im internationalen Durchschnitt weniger als mittelmäßige Fä-
higkeiten im Hinblick unter anderem auf Lesekompetenz und Textverständ-
nis, 2 Universitätsprofessoren raufen sich angesichts der Wissenslücken ihrer
Studenten die Haare und fordern Propädeutische Jahre, und vergleichende Be-
wertungen der internationalen Hochschullandschaft erweisen die Mittelmä-
ßigkeit der deutschen Universitäten. Vor dem Hintergrund einer allgemeinen
Krisenstimmung, die sich wesentlich aus den Wirtschaftsdaten - Arbeitslo-
sigkeit, geringes Wachstum, Finanznot der Sozialversicherungssysteme und
der öffentlichen Haushalte -, der offenbaren Überforderung der politischen
Elite und dem Alarmismus der Medien ableitet, steht das gesamte deutsche
Bildungssystem mehr und mehr unter öffentlicher Beobachtung: Es scheint
Konsens zu sein, dass einer der wenigen Standortvorteile der - rohstoffar-
men - deutschen Volkswirtschaft bislang der hohe Bildungs-, besser gesagt:
Qualifikationsstand seiner erwerbstätigen Bevölkerung war, und dass nun
auch dieser Wettbewerbsvorteil im Schwinden begriffen ist. Die jüngeren po-
litischen Bildungsdebatten finden unter den genannten Auspizien statt: Eli-
teuniversitäten, Studiengebühren, Einführung von Bachelor- und Masterstu-
diengängen, achtjähriges Gymnasium, Ganztagsschulen, Vereinbarkeit von Be-
ruf und Familie, Englischunterricht in der Grundschule und Förderung von
Kleinkindern im Vorschulalter - in Anlehnung an die französischen Ecoles
Maternelles beispielsweise oder durch Einführung von Pflichtkindergarten-

„PISA": Programme for International Students Assessment.

Die Studie wird allerdings von verschiedenen Seiten als fehlerhaft und wenig aussagekräftig

kritisiert. Siehe zuletzt Kraus 2005.
 
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