Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0098

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
86 Otfried Hoffe

Eine Gesellschaft ist primär eine Rechtsgemeinschaft. 2. Die doppelte Gestalt,
in der das Recht auftritt, ist auch für andere Werte zu erwarten. Als personaler
Wert, als Rechtssinn, zeichnet das Recht Personen aus, als ein institutioneller
Wert dagegen, als Rechtsordnung, die Institutionen, insbesondere die Institu-
tion zweiter Stufe, das Gemeinwesen. 3. Gemäß der mittleren Göttin Eirene ist
die Gesellschaft eine Kooperationsgemeinschaft, die das wirtschaftliche und
kulturelle, heute auch das wissenschaftlich-technische Wohl sucht.

Ein Zeitalter der Globalisierung entnimmt seine Werte nicht einer parti-
kularen Kultur. Im Gegensatz zu dem oft befürchteten Euro-, noch eher Ame-
ricozentrismus lässt es sich auf eine die Kulturen teils vermittelnde, teils sie
überprüfende Rechtfertigung, also auf einen interkulturellen und transkul-
turellen Diskurs ein.4 Seinetwegen wandern wir in die Ferne und werfen -
zweiter Gipfel - einen Blick nach Indien und China, ins Alte Ägypten und nach
Alt-Israel. Im Vorübergehen, auf dem Weg nach Indien und China, nehmen wir
ein Gesetzbuch aus dem Alten Orient wahr, den Kodex Hammurapi, in dem
wir die drei altgriechischen Werte wieder finden, hier als Recht, als Gerechtig-
keit und als Sorge für das Wohlergehen des Menschen.5 In Indien und China
selbst gehen wir einen sachlichen Schritt weiter und suchen einen Kern allen
Rechts auf, der, allen kulturellen Unterschieden entzogen, zwischen den Kultu-
ren unstrittig gültig ist. Er findet sich im Grundsatz der Wechselseitigkeit, der
Goldenen Regel. Im indischen Nationalepos Mahabharata (6.Jh.v.Chr.) lesen
wir: „Was ein Mensch sich nicht von anderen angetan wünscht, das füge er auch
nicht anderen zu." 6 Etwa zur selben Zeit lehrt Konfuzius: „Was man mir nicht
antun soll, will ich auch nicht anderen Menschen zufügen."7 Zwei Jahrhunder-
te später heißt es in einem ägyptischen Weisheitsbuch: „Tue niemandem etwas
Böses an, / um nicht heraufzubeschwören, dass ein anderer es dir antue."8 Und
das Neue Testament bestätigt: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun
sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten." 9

Israel könnte von Ägypten abhängen, Indien und China tun es zweifel-
los nicht. Damit zeichnet sich ein Stück interkultureller, sogar globaler Wer-
tegemeinschaft ab: Schon weit vordemokratische Gesellschaften achten auf
den Wert der Gegenseitigkeit und Wechselseitigkeit; die Goldene Regel gehört
zum gemeinsamen Erbe der Menschheit. Gemeinsam ist zwar zunächst nur
die moralische Forderung („Behandle alle ..."), während in der persönlichen
und sozialen, sogar der rechtlichen Praxis vielerorts sogar strenge Hierarchien
als auch zum Teil eklatante Privilegierungen und Diskriminierungen vorherr-
schen. Überdies kann sich die Binnenmoral von der nach außen gepflegten Mo-

Vgl. Hoffe 1996, Kapitel i, und Hoffe 1999.
Für Belege s. Hoffe 2002b, Nr. 14.
Ebd., Nr. 27.
Ebd., Nr. 30.
Ebd., Nr. 8.
Mt 7,12.
 
Annotationen