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Felder, Ekkehard [Editor]; Bär, Jochen A. [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Sprache — Berlin, Heidelberg, 53.2009

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Kilian, Jörg: "Wie muß das heißen?"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11275#0151
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i38

Jorg Kilian

nes Sprachwandels im Wege des die Generationen iibergreifenden Unterrichts
durchaus fur alle Mundartgebiete Deutschlands und auch fur die landlichen
Schulen gelesen werden. Sie sei daher etwas ausfuhrlicher zitiert:

„Indessen mufi ich noch einer Sache erwahnen, die keinen angenehmen
Eindruck auf mich machte, der jedoch nicht auf Rechnung irgend eines
Mangels der Anstalt [„Leipziger Burger=Schule", J. K.] gesetzt werden darf.
Es ist das Ziehende und Singende des Leipziger Dialects. Die Ausdriicke: O
je - das wird mit einem weichen? d, das mit einem harten? t geschrieben,
klingen mir noch in den Ohren. In den Schulen Nieder=Sachsens findet
man eine reinere Aussprache; indessen sehe ich die Schwierigkeit, welche
es haben wiirde, wenn man in und durch offentliche Schulen eine vollkom-
men reine Aussprache einfiihren, alle eigenthumlichen Dialecte verbannen
wollte, vollkommen ein. Die Lehrer selbst haben nur selten eine vollkom-
men reine und richtige Aussprache - diese scheint mir eine nothwendige
Bedingung zu seyn, wenn wir verlangen, daE die Kinder, denen sie den
Sprach=Unterricht ertheilen, eine fehlerfreie Aussprache annehmen sollen.
[... ] Doch aber scheint mir das Beispiel des Lehrers fur die jetzige Lage der
Sache das wirksamste Mittel zu seyn, um uberall Provincialismen, fehler-
hafte Dialecte zu verbannen und endlich eine reine deutsche Aussprache
allenthalben zu verbreiten. [...]" (v. Turk 1806: 56f.)

Der Dialog ist schlieElich zugleich Ort des Sprachwandels. Die historische Dia-
logforschung vermag im Rahmen der Rekonstruktion gesprochener Sprache
im 18. Jahrhundert die Verwandtschaft, aber doch auch die Fremdheit; die
Nahe, aber doch auch die Distanz; das Bewahrte, aber doch auch die Verande-
rung im Vergleich zur gesprochenen deutschen Standardsprache im Gesprach
der Gegenwart aufzuzeigen. Dies beginnt bei den kleinsten Aussprachecha-
rakteristika der gesprochenen Sprache, deren Kontinuitat und Wandel nur im
Gesprach fassbar werden, und es setzt sich fort bei den kleinsten dialogprag-
matischen Einheiten, den Gesprachswortern, wie schon ein mit gegenwartigen
Verhaltnissen vergleichender Blick in die „Deutsche Encyclopadie" von 1793
rasch offenbart:

„Die Empfindung des Schmerzens aussert sich durch ein ach! weh! vae;
der schnellen Verwunderung durch oh! ey! des Widerwillens durch pfui!
fi! pouah! der geringen Verwunderung durch hum, horn; der Freude durch
ha! ho! und dergl." (DE 17,1793: 744 [s.v. Interjectiones])

In der deutschen Gegenwartssprache sind viele der hier genannten Gesprachs-
worter in dieser Form nicht mehr moglich (z. B. hum, horn).

Auf der nachsthoheren Ebene sind im Gesprach Veranderungen im Rah-
men kleinerer syntaktischer Glieder zuerst greifbar: Der Sprachforscher Jo-
hann Christoph Adelung etwa riigte 1793 den noch iiblichen, schlieftlich aber
auch in der gesprochenen Sprache getilgten Gebrauch der Proposition bei mit
 
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