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Felder, Ekkehard [Hrsg.]; Bär, Jochen A. [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Sprache — Berlin, Heidelberg, 53.2009

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Bremer, Katharina: Spracherwerb - Vielfältige Perspektiven gefragt
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https://doi.org/10.11588/diglit.11275#0354
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Spracherwerb - Vielfaltige Perspektiven gefragt

KATHARINA BREMER

Development, in my view, is the key
to understanding the adult mind.

Annette Karmiloff-Smith

i Zum Charakter der Aufgabe - und ihrer Losung

Es gibt einige Eigenschaften des Spracherwerbs, die man bei naherem Hin-
sehen erstaunlich finden kann: seinen friihen Beginn noch im Sauglingsalter,
seine Dauer iiber viele Jahre, die Vielschichtigkeit dessen, was erworben wer-
den muss - neben einem Wortschatz und der zugehorigen Grammatik auch
das Lautsystem seiner Muttersprache, daruberhinaus viele Prinzipien der Ver-
wendung von Sprache.

Besonders erstaunlich - angesichts der Komplexitat der Aufgabe - erscheint
die Robustheit, mit der dieser voraussetzungsreiche Prozess zum Erfolg fiihrt:
alle Kinder lernen ihre Muttersprache. Sprechen lernen ist das „Selbstverstand-
lichste von der Welt" (Klein 1989), es steht im Prinzip nicht in Frage,1 auch nicht
bei schlechten sozialen Bedingungen, nicht bei vergleichsweise eingeschrank-
ter Intelligenz. Als Ausnahmen, die diese Regel bestatigen, sind nur sehr wenige
Falle dokumentiert, in denen den betroffenen Kindern jeder Kontakt zu ande-
ren Menschen verwehrt blieb (sog. „Wolfskinder"). Diese Grenzfalle des Nicht-
Gelingens verweisen bereits auf eine grundlegende Voraussetzung, die aller-
dings gegeben sein muss: sprachliche Kommunikation mit anderen Menschen;
Ehlich (1996: 6) spricht in diesem Zusammenhang von der „unaufgebbaren
Kommunikationsgebundenheit des Spracherwerbs".

Vielleicht ebenso erstaunlich: Kinder lernen ihre Muttersprache ohne An-
strengung; sie erweitern ohne explizite Unterstiitzung ihr Repertoire an Aus-
drucksmitteln, sie empfinden im Verlauf dabei augenscheinlich kaum einen
deutlichen Mangel und machen nur selten wahrnehmbare Fehler (vgl. zum
letzten Punkt z. B. Weissenborn 2000) - verglichen mit den Frustrationen des
typischen Fremdsprachenlernens in der Schule fast ein Wunder. Wie ist das
moglich? Wie muss dieser spezielle Typ von Lernen beschaffen sein, dass er

1 Ich gehe hier nur auf den normalen Verlauf ein; naheres zu abweichenden Erwerbsverlaufen
vgl. z. B. Grimm 2000; Dittmann 2002.
 
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