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Felder, Ekkehard [Hrsg.]; Bär, Jochen A. [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Sprache — Berlin, Heidelberg, 53.2009

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Kilian, Jörg: "Wie muß das heißen?"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11275#0153
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Jorg Kilian

das Neue die Ruhe im Staat gefahrde.10 Und so konnte es wohl geschehen,
dass nicht nur aufgrund struktureller Eigenheiten eines Lehrgegenstandes,
sondern auch aufgrund politisch-ideologischer Reichweiten bestimmte Me-
thoden, insbesondere bestimmte Kommunikationsverfahren, und bestimmte
Lehr-Lern-Gegenstande auf Ablehnung stieEen oder nur ausgewahlten Lerner-
gruppen vorbehalten wurden (vgl. Gessinger 1980: i5f.). Die zur Erhohung des
wirtschaftlichen Ertrags notwendige Ausbildung der landlichen Untertanen
wie der gewerbetreibenden Stadtbiirger, die zur Steigerung der Effizienz der
Verwaltung erwiinschte Modernisierung des Beamtenwesens und nicht zuletzt
auch die „Sozialdisziplinierung der landlichen Sozialschichten fur Gutsherr-
schaft und Militardienst" (Lundgreen 1980: 29) machten einen Wandel der
schulischen Unterweisung jedoch erforderlich. Die Verstaatlichung und Insti-
tutionalisierung des Schulwesens ist daher schon im Spiegel der Schulgesetz-
gebung auch zu lesen als Versuch, dem neuen Zeitalter die Bahn zu bereiten -
und zugleich die Richtung und die Geschwindigkeit zu bestimmen. Die nor-
mative Spracherziehung im Sinne der Sprecherziehung zum Hochdeutschen
spielte dabei eine wichtige Rolle, war gar auch Instrument der Sozialdiszipli-
nierung (vgl. auch Gessinger 1980: 33). Und so steht die Herausbildung und
Normierung der hochdeutschen Standardsprache im 17. und 18. Jahrhundert in
einem engen Zusammenhang mit der Wiederentdeckung und Einfiihrung des
Gesprachs als Lehr-Lern-Verfahren und seiner in der padagogischen Theorie
und Praxis dieser Zeit angestrengten Differenzierung und Optimierung. Mehr
noch: Die normative Herausbildung einer iiberregionalen deutschen Hoch-
sprache war in der Tat eine Voraussetzung dafiir, dass die deutsche Sprache
als Unterrichts- und Gesprachssprache auf gelehrten Schulen, Gymnasien und
Realschulen, Akademien und Universitaten Einzug halten und den Sprachen-
wechsel vom Lateinischen zum Deutschen bzw., in der „hauslichen Erziehung"
des Adels und GroEbiirgertums, vom Franzosischen zum Deutschen anstoEen
und bestehen konnte. Herders Aufruf in seiner Schulrede von 1798:

„Lernt Deutsch, ihr Junglinge, denn ihr seyd Deutsche; lernt es reden,
schreiben, in jeder Art schreiben! Lernt erzahlen, berichten, fragen und
antworten, zusammenhangend, andringend, klar, naturlich schreiben, ver-
nunftig Auszuge, Tabellen, Expositionen und Deductionen der Begriffe ma-
chen; [...]."11

ist nur vor diesem sprachlichen Hintergrund der gelehrten Bildung seiner Zeit
zu verstehen.

Die „hausliche Erziehung" in den unteren sozialen Schichten, so man hier
von „hauslicher Erziehung" iiberhaupt sprechen kann, sowie die Unterwei-
sung auf den „gemeinen Schulen", auf „Schreibschulen", „Landschulen" und

10 Vgl. z. B. v. Turk (1806:137), der argwohnt, „arme Madchen" wurden dem „Stand der Dienst-
boten" entzogen, wenn sie eine „ihrer Bestimmung unangemessene Bildung erhalten".

11 Herder: [„Vom Fortschreiten einer Schule mit der Zeit"] (1798); Werke 30,239-249, hier 242.
 
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