Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Felder, Ekkehard [Hrsg.]; Bär, Jochen A. [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Sprache — Berlin, Heidelberg, 53.2009

DOI Artikel:
Hermanns, Fritz: Linguistische Hermeneutik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11275#0193
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
i8o

Fritz Hermanns

Teilfachs, das linguistische Hermeneutik oder auch Sprachhermeneutik heiften
konnte, einige Anregungen zu geben.1

l. Keine Linguistik ohne Hermeneutik

Manchmal denke ich, die Linguistik mtisste, um den eigenen Endzweck nicht zu
vergessen, an die Eingangspforten aller ihrer Seminarien und Institute schrei-
ben: Hier wird untersucht, wie Sprache funktioniert. Im Einzelnen wie auch
im Allgemeinen. Denn das ist es doch wohl, was Sprachwissenschaftlerlnnen
mehr als alles andere wissen wollen. In der Frage danach ist die andere mog-
liche Grundsatzfrage der Sprachwissenschaft - was Sprache ist - enthalten.
Sprache besteht darin, dass und wie sie funktioniert, das Funktionieren ist ihr
Wesen.

Wie Sprache funktioniert - auf diese Frage haben wir dank Wittgenstein
die Antwort: immer wieder anders. Namlich in verschiedensten Sprachspie-
len, die man einzeln untersuchen und beschreiben muss, wenn man erklaren
will, wie Sprache funktioniert. Es kann hier keine Ein-fiir-allemal-Erklarung
geben. Die Sprachspiele unterscheiden sich durch ihre Regeln (Sprachspiel-
Regeln, Sprach-Spielregeln) und ihre Funktionen (usuelle Zwecke, erwartbare
Ergebnisse) und ihre Kontexte, denn man spielt sie in hochst verschiedenen
„Funktionskreisen" (Ortner 1992: 28iff.) sprachlichen und nicht-sprachlichen
Handelns und Geschehens. Aber trotz der Vielfalt und der Vielzahl der Funktio-
nen und Funktionsweisen von Sprache lasst sich dariiber, wie Sprache funktio-
niert, doch auch einiges Generelles sagen. So z. B., dass bei jedem sprachlichen
Kommunizieren einerseits Zeichen gegeben werden, andererseits auf Zeichen
reagiert wird; darum ist die Linguistik im System der Wissenschaften ein Teil-
fach der Semiotik. Oder dass sprachliche Zeichen etwas sozial Gelerntes sind;
weshalb die Linguistik eine Kulturwissenschaft ist. Zu dem Allgemeinsten, was
man iiber Sprache sagen kann, gehort nun aber auch, worauf es bei der Frage
nach der Relevanz der Hermeneutik fur die Linguistik und der Frage nach
Relevanz der Linguistik fur die Hermeneutik ankommt: Sprache funktioniert
- immer und nur - durch Zu-verstehen-Geben und Verstehen. Sprachliches
Verhalten kann unubersehbar viele Zwecke und Funktionen haben, aber ein
Zweck (Zwischenzweck) ist dabei immer: Es zielt auf Verstanden-Werden. Auf
der Adressatenseite sind die uberhaupt moglichen Reaktionen auf ein sprach-
liches Verhalten ebenfalls unubersehbar viele, aber sie sind allesamt vermittelt
durch Verstehen. Deshalb wird man ohne Ubertreibung sagen konnen: Das
Verstehen ist das A und O von Sprache.

Und aus diesem Grunde wiederum kann die gesamte Linguistik - nicht nur,
aber doch auch - als Verstehenslehre angesehen werden. Auch lasst sich von ihr

1 Dazu habe ich selbst Anregungen, Hinweise und Ratschlage bekommen von den Herausge-
berlnnen des Bandes Sprache und mehr - namentlich Angelika Linke, Hanspeter Ortner und
Paul R. Portmann-Tselikas - und von Werner Holly, wofiir ich mich hier bedanken mochte.
 
Annotationen