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Felder, Ekkehard [Hrsg.]; Bär, Jochen A. [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Sprache — Berlin, Heidelberg, 53.2009

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Berend, Nina: Standardsprache - Alltagssprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.11275#0229
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Nina Berend

deutschen Sprachraum durchaus moglich. Als Beispiel kann der offentliche
Sprachgebrauch bekannter Politiker in Deutschland dienen. So ist z. B. Alt-
kanzler Schroder nach seinen „Spirantisierungen" ([g] > [x] [c]) eindeutig in
den norddeutschen GroBraum einzuordnen (wie auch iibrigens Bundeskanzle-
rin Angela Merkel). Als eindeutiger Hinweis ist z. B. die Aussprache des Wortes
Bundestag als Bundestach ausreichend. Andere Politiker sind anhand des pala-
talisierten s (s > sch) in den siidwestdeutschen Sprachraum einzuordnen (wie
z. B. Innenminister Wolfgang Schauble mit den Aussprachebeispielen Polizischt
und isch (fur ist). Es gibt zahlreiche ahnliche Beispiele fur die Regionalausspra-
che von Politikern im offentlichen Sprachgebrauch.

Aber nicht nur die Aussprache, sondern auch die Lexik, Grammatik und
andere Sprachebenen (wie Syntax, Morphologie, Pragmatik) weisen in der
gesprochenen Standardsprache regionale Unterschiede auf. Jedem Leser sind
sicherlich die lexikalischen Varianten Samstag und Sonnabend bekannt, die
jeweils als slid- und norddeutsche Varianten gelten. Als allgemein bekanntes
grammatisches Merkmal kann der Unterschied im Gebrauch der Hilfsverben
haben und sein gelten, ein Unterschied, der im Allgemeinen auch als Nord/Siid-
Differenzierung betrachtet wird. Uberhaupt ist die sprachliche Nord/Siid-
Grenze - auch als Weifiwurstdquator bekannt - im Bewusstsein der Sprecher
eine konstante GroEe. In Wirklichkeit ist die regionale Variation im Deutschen
viel komplexer und differenzierter als die Trennung zwischen Nord und Slid. Es
gibt auch Variation und Unterschiede innerhalb Nord- und Siiddeutschlands,
man denke nur an die Unterschiede zwischen dem bairischen und schwabi-
schen Hochdeutsch oder die standardsprachlichen Unterschiede im Freistaat
Bayern selbst (bairisches, frankisches und schwabisches Hochdeutsch). Au-
fterdem gibt es im gesprochenen Deutsch, d.h. im Alltags-Standarddeutschen,
auch Neuerungen, die sich gegenwartig nicht bzw. nicht mehr so eindeutig
einem bestimmten Sprachraum zuordnen lassen. Als Beispiel sei hier eine syn-
taktische Konstruktion mit besonderer Wortstellung angefiihrt, die sog. Dis-
tanzstellung (getrennte Pronominaladverbien wie dafiir oder davon, z. B. da
kann ich nichtsfur). Das ist eine Konstruktion, die ursprunglich nur im nord-
deutschen Raum verbreitet war und die sich jetzt auch in anderen Gebieten
des deutschen Sprachraums auszubreiten scheint. Ein ahnliches Beispiel ist die
Form des unbestimmten Artikels ne (fur eine, Nom. und Akk. Sg. Fern.). Diese
Form kann einerseits als typische Artikelvariante im norddeutschen Sprach-
raum betrachtet werden (andere Regionen haben dafiir a, eld oder en, vgl.
Eichhoff 2000, Karte 4/66). In der jiingsten Zeit hat sich diese Artikelform
aber auch in anderen Regionen ausgebreitet und kann daher eigentlich nicht
mehr als eindeutig norddeutsch betrachtet werden.1 Wir haben also einerseits
sehr bekannte, definitiv regional identifizierbare Varianten und andererseits

1 Zum Beispiel im Siidwesten, vgl. dazu Berend 2005, Karte eine auf S. 153.
 
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