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Felder, Ekkehard [Hrsg.]; Bär, Jochen A. [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Sprache — Berlin, Heidelberg, 53.2009

DOI Artikel:
Müller, Marcus: Zur Ikonisierung komplexer Sprachzeichen in der Medienwelt - das Beispiel Infografik
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https://doi.org/10.11588/diglit.11275#0331
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Marcus Miiller

die Quellenangabe der Schluss nahe liegt, dass es sich bei der in Frage ste-
henden Konstruktion um eine Uberschrift handelt. Falls bei der Einordnung
der Beispiele dennoch Verzogerungen oder Irritationen auftreten, dann mag
das daran liegen, dass das Beispiel aus seinem urspriinglich visuellen Kontext
gerissen ist. Wenn wir solche „ungrammatischen" Konstruktionen als vertraut
einordnen, dann nur, weil wir in der Lage sind, sie visuell zu kontextualisieren,
d.h. in diesem Fall, sie auf Grund von Mustern zu interpretieren, die nicht
im engeren Sinne sprachlich sind aber dennoch die Disposition sprachlicher
Formen im Raum regeln. Wenn die Einordnung des obigen Beispiels nur leicht
verzogert gelingt, so ist dasselbe Beispiel im visuellen Originalkontext (Abb. 1)
sofort und ohne jede reflexive Verzogerung als ,Exemplar' einer ,Gattung', nam-
lich als Uberschrift zu erkennen.

Kreml-Turme (im Vordergrund), Neubauten in Moskau: „Ober Moskau gibt es nur den Kreml und Liber dem Kreml nur Gort"

Sowjet-Union: Eine Glocke, die me lautet

Die Olympia-Stadt Moskau ist vorbereitet auf die Spiele der Kontrollen

Es sollten die „reprasentativsten Olympischen Spiele den zu den Spielen kommen, die am Wochenende in der
aller Zeiien" werden, in einer Stadt, die sich mit Milliar- Sowjel-Hauptstadt beginnen. Was sie sehen, bestimmt
den-Betragen eigens dafiir herausgepufcrt haite. Doch die Touristen-Organisation „lrrtourist": eine frisch gestri-
nur ein Bruchteil der erwarteten 300 000 Auslander wer- chene Fassade, kaum ein Stuck Moskauer Wirklichkert.

Abb. i. Ausschnitt aus: DER SPIEGEL 29/1980, S. 110

Als Uberschrift wird der Schriftzug deshalb identifiziert, weil er groEer und
fett gesetzt ist, aber auch, weil er iiber dem FlieEtext steht, den Satzspiegel des
FlieEtextes durchbricht und weil der Zeilenabstand vor und nach ihm groEer
ist als sonst auf der Seite. Man stelle sich stattdessen folgende Disposition vor:

Sowjet-Union: Eine Glocke, die nie lautet

Die Olympia-Stadt Moskau ist vorbereitet
auf die Spiele der Kontrollen

Abb. 2. Typographische Variante der Spiegel-Uberschriften

In dieser Variante wird automatisch die vormalige Unteruberschrift als
Hauptuberschrift und die vormalige Hauptuberschrift als Dachzeile wahrge-
nommen. Bei der Zeitungslektiire scheinen wir uns auf eine Konvention zu
stiitzen, die besagt: Was grofier ist, ist wichtiger. Dieses Prinzip scheint das
konkurrierende was oberhalb steht, ist wichtiger zu ,schlagen'. Das ist ein we-
nig spektakularer Befund - er demonstriert aber, dass das Verstandnis selbst
solcher schriftsprachlicher Formen, die uns als reine Textphanomene erschei-
nen, die Einiibung in Konventionen voraussetzt, die keine originaren Sprach-,
 
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