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Heidelberger Familienblätter — 1863

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Nr. 1 - Nr. 12 (4. Januar - 30. Januar)
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Heidelberger Familienblätter.

Nr. 1. Sonntag, den 4. Januar. * 1863.

Der Greis.
Novelle von Hermann Schmid.

(Fortſetzung.) ö
Der neue Meiſter war verheirathet und die Frau ſchaltete und waltete
ſo rührig und luſtig, als wenn es nie anders geweſen wäre. Die alte
Meiſterin, Adams Mutter, hatte ſich von der neuen Haushaltung in ein
Kämmerchen zurückgezogen, das ſie wenig mehr verließ und in welchem
ſie, der langgewohnten Thätigkeit entbehrend, raſch geiſtig und körperlich
eingeſchrumpft war, ſo daß ſie jetzt faſt Mühe hatte, ſich ihres jüngſten
Sohnes zu erinnern. ö
Unter ſolchen Umſtänden war das Leben Adams in ſeiner alten
Heimat nicht nur kein angenehmes — es fehlte geradezu der Grund, auf
dem er es für die Zukunft gedeihlich einrichten konnte. Der halbgelähmte
Arm machte ihm den Erwerb durch Mufik ſchwer, denn die meiſten In-
ſtrumente verlangen eine gleichmäßige Brauchbarkeit beider Hände. Wenn
er ſich alſo auch hätte entſchließen wollen, auf Tanzmuſiken und Hochzeiten
mit der Geige oder Clarinette herumzuziehen, oder bei Kindstaufen und
Jahrtagen mit der Trompete dem Zuge voranzublaſen, ſo wäre ihm auch
dieſer ſaure Verdienſt bald unmöglich geworden. Das widerte ihn aber
an, denn es war ein ſchlichter, aber tüchtiger Kern in ihm, der ſich dehnt
und drängte und in die Höhe wollte. ö ö
In dieſer Verlegenheit kam ihm die Nachricht ſehr erwünſcht, daß
bei dem Hoftheater in München die Tenoriſten ſelten ſeien und dort für
gute Stimmen prächtige Ausſicht ſich öfſne. Das war ein Wink von oben!
Hatte er doch, was man dazu brauchte, eine wenn auch nicht große, doch
markige und angenehme Tenorſtimme. Hatte er doch bei dem Chorregenten
Lodermaier ſingen gelernt — es war gewiß, auf dieſem Wege konnte er
es noch weit bringen, dabei war der Arm ihm nur wenig hinderlich. —
So konnte die Prophezeiung des Alten doch noch wahr werden und die
Bekanntſchaft mit demſelben ihm Glück bringen. Der Entſchluß war bald
gefaßt und ebenſo ſchnell ausgeführt, und wenige Tage ſpäter ſtand Adam
auf dem Theaterplatze zu Munchen, wie wir ihn eben ſtehen fahen.
„So bin ich denn hergewandert,“ ſchloß er ſeine Erzählung, „und
mein erſter Gang war ins Theater. Ich meinte eben, es brauche nichts,
als hingehen und ſagen: da bin ich! — Aber die Noth an Tenoriſten muß
doch ſo gar groß nicht ſein, als man mir's daheim vorgemacht hat. Anſtatt
mir ein Compliment bis auf den Boden zu machen und mich ſchnurſtracks
zum Intendanten zu führen, ſchlug mir der Portier die Thüre vor der
Naſe zu und ſchrie mir durchs Guckloch heraus: der Intendant ſei mit
der neuen Oper vollauf beſchäftigt — es könne niemand zu ihm — und
Tenoriſten hätte man hier ſchon genug!“ —
 
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